Er gewinnt aus seiner kleinen Farbenskala eine Fülle von Tönen,
die kein Rubens besitzt, und die den Mangel an den Tiefen Dela-
croix’ vollkommen überwindet. Wohlverstanden, dieses Mittel
wäre durchaus unzureichend, sollte es zu einer auch noch so ver-
steckten Konkurrenz mit den Vorstellungen eines Rubens oder
eines Delacroix gebraucht werden. Renoir hat noch einmal, drei
Jahre nach dem Bilde mit den verkleideten Pariserinnen, — diesmal
aus äußerem Anlaß — eine unmittelbare Annäherung an Dela-
croix gewagt, als er auf Veranlassung seines Freundes Dollfus
die „Noce juive“ des Louvre kopierte. Er versuchte das Vorbild
in seine Palette zu übertragen. Tatsächlich finden wir alle
Farben Renoirs in der Kopie, die sicher zu den für die Genesis
des Meisters interessantesten Dokumenten gehört*), und können
im einzelnen feststellen, wie verwandt gewisse Farben Renoirs
mit gewissen Farben Delacroix’ sind. Mancher Freund der
Modernen mag in der Pracht der Renoirschen Details einen Er-
satz für die von der Zeit verdorbenen Teile des Originals finden.
Der Freund Delacroix’ wird das, was ihm als eigentlicher Inhalt
der „Noce juive“ erscheint, den Geist ihres Schöpfers, in diesem
scheinbar verjüngten Abbild vergebens suchen. Die Farben
hindern den auch in dieser Bildruine gewaltigen Flügelschlag des
Genius. Ihre Buntheit bringt in die orientalische Szene einen
neuen, gar zu vorlauten Orient hinein. Der Mangel an Tiefen stört
so empfindlich, daß man sich lieber mit den geplatzten Asphalt-
stellen des Originals abfindet. Man kann einwenden, daß 1875,
als die Kopie entstand, Renoir seine moderne Palette noch nicht
vollständig beherrschte, und der Einwand ist berechtigt. Aber
ich bin nicht sicher, ob in einer späteren Zeit ein mit gleicher Ab-
sicht unternommener Versuch alle Mängel dieses verunglückten
vermieden hätte, ob Renoir z. B. das Bild so sicher zu übertragen
vermocht hätte wie die reizende Landschaft Corots, die er 1898
in wenigen Stunden kopierte**). Das Bildchen dokumentiert eine
leichter faßbare Beziehung Renoirs zu einem seiner Vorgänger. Es
*) Sammlung- Dollfus, Paris.
**) Der Corot und die Kopie waren in der Sammlung- Durand Ruels, die
Kopie ist noch heute dort; hier abg-ebildet. Eine andere kleinere und flüchtig-ere
Kopie nach einem Corot, den Renoir besitzt, befindet sich in der Sammlung
Gangnat in Paris.
32
die kein Rubens besitzt, und die den Mangel an den Tiefen Dela-
croix’ vollkommen überwindet. Wohlverstanden, dieses Mittel
wäre durchaus unzureichend, sollte es zu einer auch noch so ver-
steckten Konkurrenz mit den Vorstellungen eines Rubens oder
eines Delacroix gebraucht werden. Renoir hat noch einmal, drei
Jahre nach dem Bilde mit den verkleideten Pariserinnen, — diesmal
aus äußerem Anlaß — eine unmittelbare Annäherung an Dela-
croix gewagt, als er auf Veranlassung seines Freundes Dollfus
die „Noce juive“ des Louvre kopierte. Er versuchte das Vorbild
in seine Palette zu übertragen. Tatsächlich finden wir alle
Farben Renoirs in der Kopie, die sicher zu den für die Genesis
des Meisters interessantesten Dokumenten gehört*), und können
im einzelnen feststellen, wie verwandt gewisse Farben Renoirs
mit gewissen Farben Delacroix’ sind. Mancher Freund der
Modernen mag in der Pracht der Renoirschen Details einen Er-
satz für die von der Zeit verdorbenen Teile des Originals finden.
Der Freund Delacroix’ wird das, was ihm als eigentlicher Inhalt
der „Noce juive“ erscheint, den Geist ihres Schöpfers, in diesem
scheinbar verjüngten Abbild vergebens suchen. Die Farben
hindern den auch in dieser Bildruine gewaltigen Flügelschlag des
Genius. Ihre Buntheit bringt in die orientalische Szene einen
neuen, gar zu vorlauten Orient hinein. Der Mangel an Tiefen stört
so empfindlich, daß man sich lieber mit den geplatzten Asphalt-
stellen des Originals abfindet. Man kann einwenden, daß 1875,
als die Kopie entstand, Renoir seine moderne Palette noch nicht
vollständig beherrschte, und der Einwand ist berechtigt. Aber
ich bin nicht sicher, ob in einer späteren Zeit ein mit gleicher Ab-
sicht unternommener Versuch alle Mängel dieses verunglückten
vermieden hätte, ob Renoir z. B. das Bild so sicher zu übertragen
vermocht hätte wie die reizende Landschaft Corots, die er 1898
in wenigen Stunden kopierte**). Das Bildchen dokumentiert eine
leichter faßbare Beziehung Renoirs zu einem seiner Vorgänger. Es
*) Sammlung- Dollfus, Paris.
**) Der Corot und die Kopie waren in der Sammlung- Durand Ruels, die
Kopie ist noch heute dort; hier abg-ebildet. Eine andere kleinere und flüchtig-ere
Kopie nach einem Corot, den Renoir besitzt, befindet sich in der Sammlung
Gangnat in Paris.
32