seiner spartanischen Lebensweise, für die es keinen materiellen
Genuß gab, gelang es nicht immer, der Sorge zu entlaufen. Das
kleine Selbstbildnis der Sammlung Donop de Monchy, das aus
der Mitte der siebziger Jahre stammen dürfte, zeigt einen mit
äußerster Energie ringenden Menschen. Es ergänzt die Charak-
teristik, die wir der Feder des Bruders verdanken*). Die scharfen
Linien des Gesichtes verraten kaum noch Spuren der weichen
Züge, die dem sorglosen Gast der Mere Anthony gehörten. Wieder
mag man über die seltene Art des Naiven nachdenken, die sich
hinter diesem Gesichte verbarg. Die Züge wurden hart, nicht die
Bilder. Die Bilder wurden immer froher und weicher.
Die Entwicklung geht zunächst in die Richtung der Farbe.
Renoir sucht die von allen möglichen Reminiszenzen durchsetzte
Palette zu reinigen und Monets Forderung einer chromatischen
Harmonie besser als vorher zu erfüllen. Man muß sich diese
Entwicklung nicht als mechanische Prozedur vorstellen. Der
Unterschied zwischen der „Loge“ und dem großen Bild im Musee
du Luxembourg, „Moulin de la Galette“**), von 1876, erschöpft
sich nicht mit der objektiven Reinigung der Farben. Denn
diese wird erst bei der Analyse des Bildes offenbar, bestimmt
nicht die Totalität des Eindrucks, ganz abgesehen davon, daß die
absolute Reinheit in dem Gemälde noch lange nicht erreicht ist.
Noch schwankt die Basis zwischen ungelöstem Schwarz und Blau.
Was in die Augen springt, ist die größere Lebendigkeit des Ganzen.
Die vielen Gestalten sind viel weniger porträtiert als das magistral
präsentierte Paar in der Loge. Während man sich bei diesem der
Wollust der Erinnerung an alle je vor Bildern genossenen Freuden
*) In dem oben erwähnten Aufsatz der „Vie moderne“ von 1879 schildert
Ed. Renoir so den Bruder in jungen Jahren: „L’air pensif, songeur, sombre, le
front courbe, l’oeil perdu, vous l’avez vu vingt fois traverser en courant le
boulevard; oublieux, desordonne, il reviendra dix fois pour la meme chose sans
penser ä la faire; toujours courant dans la rue, toujours immobile dans l’interieur,
il restera des heures sans bouger, sans parier; ofi est son esprit? Au tableau
qu’il fait ou au tableau qu’il va faire; ne parle peinture que le moins possible.
Mais si vous voulez voir son visage s’illuminer, si vous voulez l’entendre —
o miräcle — chansonner quelque gai refrain, ne le cherchez pas ä table, ni dans
les endroits ou l’on s’amuse, mais tächez de le surprendre en train de travailler.
**) Eine sehr weitgetriebene Skizze (oder Wiederholung kleineren Umfangs)
von großer Schönheit befindet sich in der Sammlung Prince Wagram.
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Genuß gab, gelang es nicht immer, der Sorge zu entlaufen. Das
kleine Selbstbildnis der Sammlung Donop de Monchy, das aus
der Mitte der siebziger Jahre stammen dürfte, zeigt einen mit
äußerster Energie ringenden Menschen. Es ergänzt die Charak-
teristik, die wir der Feder des Bruders verdanken*). Die scharfen
Linien des Gesichtes verraten kaum noch Spuren der weichen
Züge, die dem sorglosen Gast der Mere Anthony gehörten. Wieder
mag man über die seltene Art des Naiven nachdenken, die sich
hinter diesem Gesichte verbarg. Die Züge wurden hart, nicht die
Bilder. Die Bilder wurden immer froher und weicher.
Die Entwicklung geht zunächst in die Richtung der Farbe.
Renoir sucht die von allen möglichen Reminiszenzen durchsetzte
Palette zu reinigen und Monets Forderung einer chromatischen
Harmonie besser als vorher zu erfüllen. Man muß sich diese
Entwicklung nicht als mechanische Prozedur vorstellen. Der
Unterschied zwischen der „Loge“ und dem großen Bild im Musee
du Luxembourg, „Moulin de la Galette“**), von 1876, erschöpft
sich nicht mit der objektiven Reinigung der Farben. Denn
diese wird erst bei der Analyse des Bildes offenbar, bestimmt
nicht die Totalität des Eindrucks, ganz abgesehen davon, daß die
absolute Reinheit in dem Gemälde noch lange nicht erreicht ist.
Noch schwankt die Basis zwischen ungelöstem Schwarz und Blau.
Was in die Augen springt, ist die größere Lebendigkeit des Ganzen.
Die vielen Gestalten sind viel weniger porträtiert als das magistral
präsentierte Paar in der Loge. Während man sich bei diesem der
Wollust der Erinnerung an alle je vor Bildern genossenen Freuden
*) In dem oben erwähnten Aufsatz der „Vie moderne“ von 1879 schildert
Ed. Renoir so den Bruder in jungen Jahren: „L’air pensif, songeur, sombre, le
front courbe, l’oeil perdu, vous l’avez vu vingt fois traverser en courant le
boulevard; oublieux, desordonne, il reviendra dix fois pour la meme chose sans
penser ä la faire; toujours courant dans la rue, toujours immobile dans l’interieur,
il restera des heures sans bouger, sans parier; ofi est son esprit? Au tableau
qu’il fait ou au tableau qu’il va faire; ne parle peinture que le moins possible.
Mais si vous voulez voir son visage s’illuminer, si vous voulez l’entendre —
o miräcle — chansonner quelque gai refrain, ne le cherchez pas ä table, ni dans
les endroits ou l’on s’amuse, mais tächez de le surprendre en train de travailler.
**) Eine sehr weitgetriebene Skizze (oder Wiederholung kleineren Umfangs)
von großer Schönheit befindet sich in der Sammlung Prince Wagram.
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