Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0062
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
überläßt, leitet das Tanzbild den Sinn des Betrachters auf eine
wie Neuheit wirkende Natur. Das Fleisch wird nicht mehr wie
in den früheren Werken sauber modelliert, sondern wird Teil einer
mehr pantheistischen Anschauung-. Wie in der „Lise“, in dem
Mädchen der Nationalgalerie, in dem „Menage Sisley“ und so vielen
anderen Bildern sehen wir Menschen im Freien, aber es scheint
fast, als ob das Freie vorher ein übernommener Begriff gewesen
wäre, für einen dekorativen Hintergrund geeignet, während es jetzt
ein Kosmos ist mit Luft und Licht, in dem sich Menschen bev/egen.
Der Pinsel trifft die Leinwand wie die Sonne die unter den Bäumen
tanzende Menge. Dieser Vertiefung des Natürlichen dient die Reini-
gung der Palette. Wie in jedem gelungenen Gemälde bindet die
Farbenverteilung die Vielheit der Erscheinungen. Dieses ordnende,
d. h. rhythmische Element gelangt, wie schon Delacroix zeigte, da,
wo reine Farben als Basis dienen, zu einer viel ausgiebigeren
Wirkung, als die alte Methode, weil innerhalb reiner Farben die
Variationen der Harmonien ohne Gefährdung der Einheitlichkeit
viel weiter getrieben werden können. Freilich stützt sich die Ein-
heitlichkeit auf andere Elemente als in den früheren Bildern. Der
Farbenfleck wird der Träger der Wirkung. Was vorher fest zu-
sammengefügt war, wird geteilt. Die Auflösung der vorher erlangten
Form zugunsten einer neuen geht zunächst nicht ohne Opfer vor
sich. Es wogt von Farben in diesem fröhlichen Tanz, wo die Sonne
mitzutanzen scheint, aber man wird eine gewisse Unruhe nicht los,
wenn man der Geschlossenheit der früheren Werke gedenkt, und
nicht jeder Betrachter findet gleich in der Einsicht, daß neue Zwecke
neue Formen bedingen, vollen Ersatz. Man muß sich hineinsehen.
Es ist dazu eine Art jenes guten Willens erforderlich, dessen man
beim Eintritt in so eine tanzende Gesellschaft bedarf. Man muß
mitmachen, will man nicht in einer Ecke Trübsal blasen. Es ist
ein kleiner Ruck erforderlich, um die Welt so, wie sie hier gesehen
wird, zu sehen. Aber ich weiß keinen Modernen, dem man diese
aktive Teilnahme leichter gewährte, der mit dem Strudel seiner
Laune so viele Möglichkeiten des Anschlusses bringt, in dessen
Rhythmen man so leicht die lichte Menschlichkeit ihres Schöpfers
erkennt. Fast scheint die Frohheit des Betrachters allein zu
genügen, um solche Bilder, auch die späteren, die viel höhere
Ansprüche stellen, zu begreifen.

58
 
Annotationen