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Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0114
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stolzere Plastik, an eine Diane de Poitiers, an die schlanken Linien
einer stolzeren Malerei, an jenes lichte, jugendfrische Bild eines
Unbekannten des siebzehnten Jahrhunderts, das als seltenes Kleinod
einer verschollenen Schule den Louvre ziert: die jagende Diana.
Es gibt Bilder, die wie Wecker wirken, die mit ihrer Kraft ganze
Reihen vergessener Beziehungen aufdecken. Es ist, als trete ein
junger Fürst in den lange verlassenen Saal der Ahnen und nähme
mit seiner frohen Stimme allein den Staub von den Wänden.
Der Wald von Fontainebleau, in dem der junge Renoir die „Lise“
malte, lichtet sich und läßt das zinnenreiche Schloß des pracht-
liebenden Franz I. erkennen, der aus Italien die Künstler zu sich
rief. Wir erblicken hinter Primaticcio, dem Führer der alten Schule
von Fontainebleau, die großen Meister des Schwesterlandes. Sie
scheinen in neuem Gewände aufzustehen, von einem Hauch jener
Frische belebt, die das Werk des Enkels bewegt. Alles Große
der lateinischen Kunst, das sich mit lichter Freude am Dasein
vereint —- und was ließe sich in jener frohen Kunst nicht mit ihr
vereinen! — scheint lebendig zu werden.

In den „Baigneuses“ drängt der Schwung der Renaissance
die spielerischen Reize späterer Zeiten in den Hintergrund. Er
unterdrückt sie nicht, wir fühlen sie in der Landschaft, die dem
Bilde die wallende Harmonie, den Gestalten die unentbehrliche
Luft zum Atmen gibt. Aber er ist die Dominante des Bildes.
Alles Dekorative, das so viele Bilder der Zeit ziert, tritt zurück,
und wir genießen eine seltene Gabe der modernen Malerei, die
uns mit den Eigenheiten der zeitgenössischen Kunst nur schwer
vereinbar erscheint: das Monumentale.

Täuschen wir uns nicht über den Begriff der modernen Kunst.
Der Impressionismus hat nicht alle künstlerischen Absichten
unserer Zeit absorbiert. Als Renoir dieses Bild malte, hatte Puvis
de Chavannes bereits seinen Ruf als Monumentalmaler begründet.
In England saßen die Präraffaeliten in ihrer sicheren Festung.
Deutschland hatte seinen Böcklin. In Skandinavien regten sich
andere Stilisten. Und bald begann in allen Ländern die Reaktion
auf den Impressionismus. In Frankreich versuchten Künstler, die
aus dem Impressionismus hervorgegangen waren, wie Seurat,
Gauguin und van Gogh, gewisse Besitztümer ihrer Lehrer zu
erhalten und in neuen Schulen fortzupflanzen. Die Stilbewegung

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