Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0118
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wesen. Dies ist greifbar da, mit allen Details, sachlich, leibhaftig.
Über den schlanken Beinchen (in glatten Strümpfen von dumpfem
Dunkelblau) sitzt das kokette Röckchen, blau und weiß kariert;
darüber prall das Trikot im Blau der Strümpfe, und darauf
das Köpfchen im goldigsten Duft des Orange. Dieselben Farben
kommen immer wieder, in starken und in feinsten Kontrasten.
Sähe man sie außerhalb des Bildes nebeneinander, so würde man
es für unmöglich halten, aus dieser krassen Buntheit, fast ohne
Mischung, ein Zimmer mit Menschen zu schaffen, von so subtilen
Eigenschaften, wie sie das lesende Mädchen zeigt. Der Verteilung
gelingt alles. Sie läßt die aus Orange und Rot gewonnene Farbe
des Haares des ältesten Backfisches in dem spiegelnden Parkett
wiederkommen, wiederholt das Orange, zu Rot und Grün gestellt,
in den Gardinen und, dunkler durchwirkt, in der Tischdecke.
Und, wohl verstanden, alles das mit einer äußerst beschränkten
Anzahl von Tönen, mit einer derben pastosen Materie. Mit
Abtönungen ist alles erreichbar. Nie aber wäre mit ihnen
der starke Klang des Bildes gelungen. Renoir beschränkt
die Töne innerhalb derselben Farbe auf ein Minimum. Nur

das Blau ist reich degradiert. Es geht vom tiefsten Ton
in dem Blumentopf mit den grünroten Blumen zu der lichten
Wand, aber ist fast identisch als farbiges Stilmittel wiederholt
in allen Augen der Gesichter, hier von einem reinen Ultra-
marin, das wie frisch gebrochener Stein wirkt. Die Orange, Rosa
und Rot werden im wesentlichen nur durch die Mengen und die
Kontraste modifiziert und haben wenig Töne. Das Orange ver-
schärft sich nur in dem gelben Stuhl, behält sonst ungefähr den-
selben Tonwert. Auch das Grün bewegt sich im Zimmer auf
annähernd gleicher Höhe. Jenseits des Fensters aber zaubert der
Impressionist daraus einen Reichtum lichter Töne, die, ohne bestimmte
Dinge zu umkleiden, die Vorstellung lachender Natur erwecken.

In den Figuren, abgesehen etwa von dem Mädchen auf dem
Sofa, das sich um eine merkbare Nuance von den anderen unter-
scheidet, ist von einem auflösenden Impressionismus nichts zu
spüren. In ihnen kommt wieder der Maler der „Baigneuses“ zum
Wort, und es ist merkwürdig, wie er neben dem Koloristen,
ja, mit Hilfe des Koloristen, Geltung gewinnt. Die festen runden
Gestalten der Gruppe wurden ganz synthetisch geschaffen. Die

114
 
Annotationen