Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0066
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gegenüberstel-
lung der Kunst-
und Naturformen
im Unterrichte.

Mündliche
Unterweisung i:
Anschluss
an praktische
Übungen.

Unterweisung dem Schüler für die Gestaltungsgesetze und den künstlerischen Wert der Pflanze ein-
zuflössen vermag, wird der hindernde Dünkel schwinden, der durch unser Kastenwesen in der Kunst
gross gezogen worden ist: mit vermehrter Erkenntnis der Pflanzenformen aber auch seine ornamentale
Gestaltungslust und Fähigkeit wieder wachsen.
Das wirksame Mittel, dieses Interesse des Schülers zu gewinnen, bleibt die vergleichende Heran-
ziehung der besten Ornamente der Vergangenheit und Gegenwart, an welchen ihm die Verwendung seiner
Studien anschaulich wird. Die Sichtbarmachung des Zieles, die Erkenntnis der künstlerischen Leistung,
welche in einer vollendet schönen Anwendung der Naturformen liegt, wird den Schüler am leichtesten
für die Mühen gewinnen, welche die Vorbereitung für diese Aufgabe erfordert. Der Lehrer sollte
daher die Gelegenheit, die unsere Vorbildersammlungen in hinreichendem Masse auch in den Provinzen
gewähren, nach Möglichkeit nutzen, um wenigstens beim Zeichnen nach denjenigen pflanzlichen Vor-
bildern, welche in der Kunst eine vorwiegende Rolle gespielt haben, die mustergültigsten Beispiele ihrer
stilistischen Verwertung in den überlieferten Kunstformen der Antike, des Mittelalters und der Renais-
sance dem Schüler vor Augen zu halten. Er wird dabei immer die Erfahrung machen, dass sich das
Interesse für die natürliche Form mit dem Augenblick steigert, in welchem der Schüler an einem schla-
genden Beispiele ihren Wert und ihre eigentümliche Verwendung als künstlerisches Vorbild erkennt.
Sind die Vorbilder der antiken Kunst zur Erklärung der Ausdrucksfähigkeit pflanzlicher Formen für die
statischen und konstruktiven Gedanken der architektonischen Kunstformen ganz unentbehrlich, so
ist zur Erkenntnis der eigentümlichen Bedingungen, welche das Studium dem Flachornamentiker auf-
erlegt, nicht minder die Vorführung des orientalischen Ornamentes von Nutzen, nicht zum letzten
des der japanischen Kunst, welche ein so hochentwickeltes Gefühl für eine sozusagen naturalistisch-
stilistische Anschauung der Pflanze zeigen. Die scharfe Beobachtungsgabe, welche der Japaner für die
Gestaltungsgesetze tierischer und pflanzlicher Formen besitzt, und die künstlerische Knappheit, mit
welcher er das Wesentliche ihres Organismus hervorhebt, giebt seiner Formensprache einen besonderen
Wert als Erziehungsmittel zu einer mustergültigen Übertragung der natürlichen Erscheinungen in das
Flachornament. Diese mittelbare Anregung, welche die, von unserer Zeit mit Recht so geschätzte
japanische Kunst für das eigene, selbständige Studium der Pflanze gewährt, wird dauerndere Wirkung
haben, als das unmittelbare Kopieren ihrer Formen, dessen wir, wie so mancher anderer Stilwieder-
holungen, nur zu bald überdrüssig geworden sind.
Alle stilistischen Forderungen, welche sich für die Verwertung der Pflanze aus dem Zwecke und
dem Massstabe des Kunstwerkes ergeben, können nur durch die Vorführung von entsprechenden Kunst-
formen erschlossen werden. In erhöhtem Masse ist dies in Bezug auf Material und Technik der Fall.
Der Nachweis an mustergültigen überlieferten Stilformen, wie die gleiche Naturform für die einzelnen
Werkstoffe und ihre jeweilige Behandlungsweise verschiedenartig aufgefasst und umgebildet wurde,
bietet der Schule sogar das einzige Mittel, das Gefühl für die materiellen Stilbedingungen zu wecken,
wenn die Beschränkung des Unterrichtes auf eine allgemeine Vorbildung es unmöglich macht, ihre
Berücksichtigung bei der handwerklichen Thätigkeit selbst zu lehren.
Aus diesem Grunde wird es sich empfehlen, mit dem praktischen Unterrichte eine mündliche
Unterweisung zu verknüpfen. Ob dieselbe als ein kurzer Vortrag dem Unterrichte verbunden wird,
oder sich von Fall zu Fall an das Studium der einzelnen Formen knüpft, wird von der Neigung des
Lehrers und mancherlei Bedingungen abhängen. Da der Klassenunterricht nicht bloss durch die Folge

50
 
Annotationen