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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0339
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Abt in. Tafel 59. Zapfenformen.
Föhre, Pinus siluestris. Seestrandskiefer, Pinus Pinaster. Pinie, Pinus Pinea.
Die Zapfen (weiblichen Blüten) der Nadelhölzer gewinnen mit der Reife ihrer Samenknospen
konsistentere Beschaffenheit: die Schuppen derselben schliessen sich fest aneinander und verholzen
gleich der Spindelachse, an welcher sie in schraubenförmigen Reihungen ansetzen. Die Windungen
derselben sind aber so flach, dass die eigentliche Wuchsschraube (primäre Schraube) kaum zu er-
kennen ist, dagegen machen sich die »sekundären Spiralen« um so fühlbarer. (Zum Verständniss des
schraubenförmigen Wachstums der seitlichen Pflanzenorgane vergl. das Vorwort zu nächster Ab-
teilung.)
Der Pinienzapfen (vergl. Textzeichnung) ordnet seine sechskantigen, kräftig gewölbten
Schuppen nach einer 713 Schraube, d. h. innerhalb von 5 Umdrehungen stehen 13 Schuppen an der
Spindel, die vierzehnte kommt wieder über die erste zu stehen. Auf der Textzeichnung repräsentieren
also z. B. die Zahlen 6, 19, 32, 45, 58, 71 eine gerade Reihe. Sichtbar werden erst die sekundären
Schrauben, deren eine z. B. in der Reihenfolge der Zahlen 17, 22, 27, 32, 37, 42 zu verfolgen ist; die
steileren »tertiären« Schrauben (von rechts nach links wendend) sind erkennbar in den Zahlen 16. 24.
32. 40. 48. 56. 64. 72. 80. Die eigentliche Grundspirale, welche durch die fortlaufenden Zahlen 1. 2. 3.
u. s. w. bezeichnet ist, lässt sich nicht verfolgen, weil die Schuppen, durch welche sie gebildet wird, zu
weit auseinander stehen.
In gleicher Spirale wie der Pinienzapfen wächst der flachschuppige Conus der Seestrands-
kiefer (Tafel: oben rechts); der danebenstehende Zapfen des Pinus siluestris, welcher sich in Natur
ebenfalls schraubenförmig gliedert, ist hier in der Weise gezeichnet, wie die Antike ornamentale Zapfen-
formen darstellt: nämlich ohne Berücksichtigung ihres spiraligen Baues.
Der Zapfen ist eine häufig wiederkehrende Form freier Endigungen in der antiken Kunst und
ein drastisches Beispiel dafür, wie eine Naturform aus ihrem Gebrauche und durch den Dienst, welche
sie dem Menschen leistet, zunächst symbolische und in der Folge künstlerische Bedeutung gewinnt.
Der Zapfen der Pinie, mit deren Sprossen der Grieche den Wein resinierte, erhielt durch diese enge
Beziehung zum Geschenke des Bacchus seine Bedeutung im Kult des Rebenspenders: die Frucht der
Pinie wurde zum Schmuck der Thyrsusstäbe, die man bei seinen Festen schwang. Bald aber übertrug sich
die Form, welche man zunächst in ihrer natürlichen Erscheinung zur freien Endigung des bacchischen
Herrscherstabes benutzte, als künstlich gebildetes Symbol in den ornamentalen Schmuck der Weih-
gefässe und Geräte sowie als freie Endigung in die krönenden Architekturformen der Heiligtümer
des Gottes.
Die konisch ausklingende Idee des Zapfens im Zusammenhänge mit seiner kräftigen Gliederung
machte ihn zu wirksamsten Bilde cyklischer Abschlüsse: es liegt aber kein Grund vor, die gefällige
Spiralordnung seiner Elemente, welche seine Gesamtform nicht alteriert, wohl aber die Höhenrichtung
derselben durch die Aufwärtsdrehung des Lineamentes noch verschärft, künstlerisch nicht auszunutzen.
 
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