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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0429
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Kegelform, verkürzt sie sich rasch wie beim Lindenblatt und -bäum, so tritt ein rundlicherer Abschluss
ein. Auch die Zunahme der Rippenlängen im Fussteile des Fiederblattes findet seine Parallele in der
Längenzunahme der Verzweigung am unteren Teile des Pflanzenschaftes; wie aber beim Blatt seine
grösste Breite bald näher dem Fusse, bald näher dem Kopfe liegt, so wechselt auch die grösste Breiten-
ausdehnung der ganzen Pflanze oder des Baumes in Bezug auf ihre Höhenlage am Stamme. Bei der
Tanne und der spindelförmigen Cypresse liegt die grösste Breitenausdehnung wie beim Blatte der
Taubenessel tief, bei der Pinie wie bei den spatelförmigen Blattformen aber hoch.
Die Beziehung zwischen den Massverhältnissen der Rippen und den Rippenzwischenräumen, die
wir am fiedernervigen Blatt gefunden haben, findet ihr Vorbild in dem Pflanzenschaft; mit der Länge
der seitlichen Äste des Stengels nehmen nach oben auch die Masse der Zwischenknotenstücke ab ver-
gleiche die Tafeln 77, 78, 81, 82), während am Fussteile des Stengels ebenfalls eine Zunahme der Ver-
zweigungszwischenräume stattfindet. Nicht alle Pflanzen zeigen dieses proportionelle Verhalten gleich
rein ausgesprochen — haben ja manche Pflanzen überhaupt nur einen einzigen Stengelteil — wiederum
sind es aber jene urweltlichen Pflanzentypen, welche die Proportionen ihres Wuchses am deutlichsten
sehen lassen: so z. B. der Sumpfschachtelhalm und zwar das nicht fruchttragende Equisetum palustre^
dessen eingehendes Studium allen denen empfohlen sei, welche sich Architektur und Proportion der
Pflanze anschaulich machen wollen. Er zeigt in reinem Bilde: die proportionelle Verjüngung des
Stengels, die Entasis seiner Stengelteile und die allmähliche Zahlverringerung ihrer Kanneluren; die
Längenzunahme seiner untersten Zwischenknotenstücke und die langsam fortschreitende Abnahme ihrer
Grösse gegen seine Spitze; die dementsprechende Zahl- und Längenzunahme der untersten Ver-
zweigungen und ihre allmähliche Abnahme in der Richtung nach oben; die später zu besprechende
Zunahme der steileren Stellung der seitlichen Organe am oberen Teile des Schaftes gegenüber ihrer
wagerechteren Lage am unteren Teile desselben; er zeigt ferner aber auch das gleich regelmässige
Wachsen und Abnehmen der Proportionen innerhalb der einfachen Glieder seiner seitlichen Verzweigung.
In seiner jugendlichen Erscheinung lässt er gleichzeitig am besten die konische, flammenförmige
Silhouette seines Gesamtbildes sehen, welche sich aus den beiderseitigen Verbindungslinien der End-
punkte seiner seitlichen Verzweigung ergiebt und in diesen Kurvenlinien erkennen, dass auch in der Ge-
samterscheinung der Pflanze die Zu- und Abnahme der seitlichen Verzweigungslängen nicht auf Addition
und Subtraktion gleicher Zahlenwerte, sondern auf progressiven Verhältnissen beruht, in deren mathe-
matische Ergründung die botanische Wissenschaft selbst wohl kaum genügend eingedrungen ist. Für die
wechselnden Kurven der Pflanzensilhouette kommen jedenfalls nicht nur diese Verhältnisse der Glieder-
längen selbst, sondern auch die der Internodien in Betracht. Um diese, bei den häufigen Wuchsstörungen
in der Pflanze überhaupt schwer erkennbaren gegenseitigen Massverhältnisse der Verzweigungen und
ihrer Zwischenräume richtig darzustellen, müsste der Mathematiker den Künstler unterstützen, dessen
Gefühl für Proportion dieselben nur annähernd wiedergeben kann.
In welcher Weise die seitlichen Organe am Stamme ansetzen, sahen wir früher. Was die Ver-
zweigung in sich selbst anlangt, so finden wir, dass in seiner Allgemeinerscheinung sich der Zweig dem
Stengel gegenüber verhält, wie dieser zur Erde. Steht dieser senkrecht zu der horizontalen Ebene des
Bodens, so steht der Zweig senkrecht zum Stengel, also in einer Ebene mit der Erde. Nun lehrt uns
 
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