Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0434
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sich das mannigfaltig wechselnde Bild dieser Blütenstände als eine Vereinigung von Ähren in einer
Trauben- oder Rispenform, eines Köpfchens in Rispen- oder Doldentraubenform u. s. w.

Dem freien Spiele des Flächenschmuckes bieten sich die wechselnden Erscheinungen der pflanz-
lichen Verzweigungen und Blütenstände in unmittelbarster Weise zu Vorbildern; alle Wuchseigen-
schaften, Linien- und Formelemente derselben sind von den verschiedenen Kulturvölkern und Stil-
perioden ornamental verwertet worden. Wie ihre Verzweigung wurde aber auch das Gesamtbild der
Pflanze seit frühesten Zeiten stilistisch in das Flachornament übertragen. In frühasiatischen und ägyp-
tischen Wandmalereien und Flachreliefs, in Bemalungen von Gerät und Gefäss, in der Stoff- und Tep-
pichweberei der Orientalen bis herab in die kleinen Formen der »Bäumchen« im Stickwerk des Mittel-
alters ist die Darstellung ganzer Bäume und Pflanzen ein oft gewähltes Motiv, welches sich mehr oder
weniger unmittelbar an die Einzelerscheinung bestimmter Pflanzen anschliesst. Bei vielen Völkern, wie
bei den Indern, Assyrern, Hebräern, Ägyptern und Griechen spielt in solchen Darstellungen die symbo-
lische und die Bedeutung der Gewächse im religiösen Dienste eine grosse Rolle. Platische Nachbil-
dungen heiliger Bäume in edlen Metallen wurden in Griechenland als Weihgeschenke den Heiligtümern
der Gottheiten gestiftet; Palmen schmückten die goldenen Wände des salomonischen Jehovahtempels
und Bilder von Cypressen die Treppenaufgänge der Paläste von Persepolis; Bilder heiliger Bäume
haben die Bildwerke aus Ninive und Korshabad erhalten.
In ähnlich symbolischem Sinne tritt im Mittelalter und in der Renaissance der Stamm- und
Wappenbaum in ornamentale Erscheinung; zu rein dekorativem Zwecke macht dagegen das Cinque-
cento von der Darstellung der ganzen Pflanze mannigfachen Gebrauch für den Füllungsschmuck auf-
steigender Architekturglieder oder Wandteilungen.
Liess sich die Pflanze als ganze Erscheinung und in ihrer natürlichen Gliederfolge dem Flächen-
schmucke in vielen Fällen ohne Schwierigkeit anpassen, so konnte sie zur Ausbildung der Eigenform
plastischer Kunstwerke nur ausnahmsweise herangezogen werden und zwar nur in solchen Fällen, wo
ihre Formen und deren Reihung dem Zwecke und den konstruktiven Bedingungen des Kunstwerkes
unmittelbar entsprachen. Wenn auch selten, so ist aber auch dies geschehen und zwar bei Geräten,
welche wie gewisse Hänge- und Standleuchter nicht nur die Anordnung einer stammartigen Haupt-
achse, sondern auch eine zweigartige Verteilung seitlicher Glieder notwendig machen. Der Tempel-
leuchter der Hebräer, dessen Gestalt die biblische Beschreibung und ein Relief des Titusbogens ver-
gegenwärtigt, hat uns ein frühes Beispiel solcher Bildungen überliefert. Ebenso zeigt die Kleinkunst der
Antike namentlich auf dem Gebiete der Metallotechnik schon Anläufe zu ähnlichen Formen, in zu-
sammenhängender Benutzung des pflanzlichen Vorbildes gelangte dieses Motiv aber erst im Mittelalter
zur völligen Ausbildung. Zwar wurde, wie wir schon sahen, die bewegliche Öllampe des Altertums
bereits durch einen Blumenschaft getragen, derselbe stand aber noch in stilistischer Abhängigkeit von
dem Wesen der Säule. Auch die dekorativen Marmorkandelaber der Antike reihen zwar Einzelglieder
der Pflanze aneinander, verzichten aber darauf, die pflanzliche Verzweigung vollständig und im
 
Annotationen