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Baceio Baldini.
Beziehung zur Früh-Renaissance ist das Werk
von vorzüglichem Interesse.
Von welchem Meister diese Bll. gestochen
sind, darüber herrscht, wie schon in der Einlei-
tung bemerkt wurde, eine große Verschiedenheit
der Meinungen. Die älteren Kunsthistoriker
erklärten sie unbedenklich für Werke von Fini-
guerra und Mantegna. Zani wagt nicht einen
speziellen Künstler als Autor zu bezeichnen, ist
aber der Ansicht, dass sie von einem Stecher
der venezianischen oder paduanischen Schule
herrühren, wobei er sich auf den venezianischen
Dialekt in den Unterschriften einzelner Bll. be-
ruft. Harzen gibt sie dem Marco Zoppo aus
Bologna, Mantegna’s Mitschüler im Atelier des
Francesco Squarcione. Ottley endlich schreibt sie
dem Baldini zu, und Galichon theilt seine An-
sicht. Das ungemein Anmutige und Elegante
der bisweilen etwas manierirten, aber stets an-
ziehenden Figuren, der Charakter der hübschen
Frauengesichter und der würdigen Männerköpfe,
die Vorliebe für Profilirung, die häufige Feinheit
der Zeichnung in Händen und Füßen, der ge-
schmackvolle Wurf der Gewänder sind unzwei-
felhafte Kennzeichen florentinischer Kunst. Die
Bll. sind vollkommen gleichmäßig ausgeführt,
jedenfalls von einem und demselben Stecher.
In der Komposition und Zeichnung machen sich
jedoch Ungleichheiten bemerklich, die anneh-
men lassen, dass die Vorbilder der Stiche von
verschiedenen Händen herrühren. Die Vereini-
gung der Bilderreihen in ein Ganzes wird man
als das Werk des Stechers betrachten müssen,
der die Zeichnungen dazu von verschiedenen
Seiten hernahm und bei seiner Arbeit jedesmal
das vorliegende geringere oder bessere Muster
festhielt. In Rücksicht auf Technik haben diese
Bll. offenbar nahe Verwandtschaft mit den dem
B. herkömmlich zugeschriebenen Propheten und
Sibyllen und den Goldschmiedverzierungen;
auch hier die kalte, eintönige Schattirung mit
engen Lagen feiner, in verschiedenen Winkeln
gekreuzter Striche; aber der Stich hat zugleich,
wenn auch nicht mehr Schwung und Wechsel,
doch mehr Schärfe und Sicherheit des Vortrags,
mehr Weichheit und Biegsamkeit der Zeichnung,
die sich in einigen Blättern, namentlich in dem
Engel des Primo Mobile (I, No. 11'2) zu solcher
Vortrefflichkeit steigert, dass sie unmittelbar an
die ausgebildete Renaissancekunst hinanreicht.
Die gelungensten Bll. sind daher wol aus späterer
Zeit, als die Propheten und Goldschmiedverzie-
rungen, etwa aus den Jahren 1490—1495. Frei-
lich soll, nach der gewöhnlichen Annahme, Bal-
dini damals nicht mehr thätig gewesen sein;
doch ist das ja nur Vermutung. Diese Stiche
könnten ihm immer noch angehören; jedenfalls
erinnert die schöne Zeichnung und Erfindung
bei manchen auf’s lebhafteste an Botticelli.
Der Stecher arbeitete wol mehrere Jahre an
diesem Werke, und liess vielleicht von einzelnen
Platten oder Bilderreihen Abdrücke erscheinen,
bevor er sie alle vereinigt herausgab. Jedes Bl.
führt im Unterrande links den Buchstaben, der
seine Reihe bezeichnet (e, d, c, b, a), in der
Mitte den Namen der dargestellten Figur, sowie
eine römische Ziffer als Ordnungsnummer, und
rechts die gleichbedeutende arabische Zahl.
Eine geflochtene Bordüre, von der Art wie die
Einfassung der Etruskischen Skarabäen, schliesst
jedes Bl. ein; jede Bordüre zeigt in den Ecken
oben und unten ein Loch, das bei den Platten
für Stifte, Nägel oder Schrauben zur Befestigung
auf ein Bret oder sonstige Unterlage bestimmt
war, um das Hin- und Herrutschen der Platte
beim Arbeiten zu verhüten. Unrichtigerweise
folgert man gewöhnlich aus dem Vorhandensein
dieser Löcher, die Abdrücke seien mittelst des
Reibers oder Cylinders hergestellt worden; sie
wurden von der Presse abgezogen. Die Ein-
drücke des Plattenrandes zeigen sich sehr stark
und deutlich; freilich hatte es die Druckerkunst
bei diesen Bll. noch nicht weit gebracht, doch
sind sie besser und sauberer gedruckt, als die
Kupfer zum Monte Sancto di Dio und zum
Dante.
Mit Recht steht diese Kupferstichfolge sowol
hinsichtlich ihrer Mannichfaltigkeit und Schön-
heit, als wegen ihrer Altertümlichkeit und Sel-
tenheit in hohem Wert. Sie ist vollständig mit
allen ihren 50 Bll. kopirt in dem nur in wenigen
Exemplaren gedruckten Werk: Jeux de cartes
tarots et de cartes numerales du XIVme au
XVIII1116 siede, representes en 100 planches d’a-
pres les originaux, publies par la Societe des
Bibliophiles framjais. Paris, 1844. Fol. Ein-
zelne Blätter trifft man zuweilen in Privat- und
öffentlichen Sammlungen, aber vollständige
Exemplare sind nur in sehr geringer Anzahl
übrig. Herr Galichon in Paris besitzt ein kom-
plettes Prachtexemplar von frischestem Druck
und trefflichster Erhaltung; es hat einen alten,
aus der Zeit der Stiche stammenden Einband
und ist in bläulicher Farbe abgedruckt. Da man
beim Drucken die Platten nur unvollkommen ab-
wischte und eine dünne Schicht der Druckfarbe
übrig liess, so erhielt das Papier eine bläuliche
Nüance, so dass man meint, Abdrücke von Ton-
platten vor sich zu haben. In seiner Art ist die-
ses Exemplar sicherlich ein Unicum. Es wurde
in der Verst. Serati zu London, 1816, für 43Pfd.
Sterling, in der Verst. Mark Sykes ebendaselbst,
1824, für 78 Pfd. 5 Shill. verkauft; Herr Ga-
lichon erwarb es 1860 für 10,000 Franken. Die
Bll. des Exemplars in dem Kupferstichkabinet
zu Paris haben einen 28 Mill, breiten Rand, und
an den Haaren und Flügeln, Kleidersäumen und
Gürteln der Figuren, so wie an den Gerätschaf-
ten, Attributen, Waffen, Bäumen, Gebäuden und
andern Gegenständen eine mit dem Pinsel fein
aufgetragene Vergoldung, die man, wie ich glaube,
nur bei Abdrücken von bereits angegriffenen
Platten anbrachte. Ob die Wiener und Ham-
burger Exemplare in beiden Beziehungen dem
Pariser gleichen, kann ich nicht sagen.
Mehrere Kopien vom Ende des 15. und dem
Anfang des 16. Jahrh. beweisen, dass diese
Kupferstichfolge damals sehr beliebt war; sie
sind zugleich ein Argument mehr, dass die Bll.
nicht die Bestimmung eines Kartenspiels hatten.
Bartsch erwähnt zwei Kopien. Bei einer Ver-
gleichung ergibt sich aber, dass die von ihm
unter den altitalienischen anonymen Kupfer-
stichen (XIII. 131 — 138) beschriebene und
für Kopie gehaltene Folge ein Original ist, wo-
gegen das sogenannte Original bei Bartsch (XIII.
120—131) für eine schlechte Kopie mit willkür-
lichen, sehr missratenen Veränderungen erklärt
werden muss. Die Stichart dieser Bll. zeigt nicht,
wie Bartsch meint, den Charakter des Alterthüm-
Baceio Baldini.
Beziehung zur Früh-Renaissance ist das Werk
von vorzüglichem Interesse.
Von welchem Meister diese Bll. gestochen
sind, darüber herrscht, wie schon in der Einlei-
tung bemerkt wurde, eine große Verschiedenheit
der Meinungen. Die älteren Kunsthistoriker
erklärten sie unbedenklich für Werke von Fini-
guerra und Mantegna. Zani wagt nicht einen
speziellen Künstler als Autor zu bezeichnen, ist
aber der Ansicht, dass sie von einem Stecher
der venezianischen oder paduanischen Schule
herrühren, wobei er sich auf den venezianischen
Dialekt in den Unterschriften einzelner Bll. be-
ruft. Harzen gibt sie dem Marco Zoppo aus
Bologna, Mantegna’s Mitschüler im Atelier des
Francesco Squarcione. Ottley endlich schreibt sie
dem Baldini zu, und Galichon theilt seine An-
sicht. Das ungemein Anmutige und Elegante
der bisweilen etwas manierirten, aber stets an-
ziehenden Figuren, der Charakter der hübschen
Frauengesichter und der würdigen Männerköpfe,
die Vorliebe für Profilirung, die häufige Feinheit
der Zeichnung in Händen und Füßen, der ge-
schmackvolle Wurf der Gewänder sind unzwei-
felhafte Kennzeichen florentinischer Kunst. Die
Bll. sind vollkommen gleichmäßig ausgeführt,
jedenfalls von einem und demselben Stecher.
In der Komposition und Zeichnung machen sich
jedoch Ungleichheiten bemerklich, die anneh-
men lassen, dass die Vorbilder der Stiche von
verschiedenen Händen herrühren. Die Vereini-
gung der Bilderreihen in ein Ganzes wird man
als das Werk des Stechers betrachten müssen,
der die Zeichnungen dazu von verschiedenen
Seiten hernahm und bei seiner Arbeit jedesmal
das vorliegende geringere oder bessere Muster
festhielt. In Rücksicht auf Technik haben diese
Bll. offenbar nahe Verwandtschaft mit den dem
B. herkömmlich zugeschriebenen Propheten und
Sibyllen und den Goldschmiedverzierungen;
auch hier die kalte, eintönige Schattirung mit
engen Lagen feiner, in verschiedenen Winkeln
gekreuzter Striche; aber der Stich hat zugleich,
wenn auch nicht mehr Schwung und Wechsel,
doch mehr Schärfe und Sicherheit des Vortrags,
mehr Weichheit und Biegsamkeit der Zeichnung,
die sich in einigen Blättern, namentlich in dem
Engel des Primo Mobile (I, No. 11'2) zu solcher
Vortrefflichkeit steigert, dass sie unmittelbar an
die ausgebildete Renaissancekunst hinanreicht.
Die gelungensten Bll. sind daher wol aus späterer
Zeit, als die Propheten und Goldschmiedverzie-
rungen, etwa aus den Jahren 1490—1495. Frei-
lich soll, nach der gewöhnlichen Annahme, Bal-
dini damals nicht mehr thätig gewesen sein;
doch ist das ja nur Vermutung. Diese Stiche
könnten ihm immer noch angehören; jedenfalls
erinnert die schöne Zeichnung und Erfindung
bei manchen auf’s lebhafteste an Botticelli.
Der Stecher arbeitete wol mehrere Jahre an
diesem Werke, und liess vielleicht von einzelnen
Platten oder Bilderreihen Abdrücke erscheinen,
bevor er sie alle vereinigt herausgab. Jedes Bl.
führt im Unterrande links den Buchstaben, der
seine Reihe bezeichnet (e, d, c, b, a), in der
Mitte den Namen der dargestellten Figur, sowie
eine römische Ziffer als Ordnungsnummer, und
rechts die gleichbedeutende arabische Zahl.
Eine geflochtene Bordüre, von der Art wie die
Einfassung der Etruskischen Skarabäen, schliesst
jedes Bl. ein; jede Bordüre zeigt in den Ecken
oben und unten ein Loch, das bei den Platten
für Stifte, Nägel oder Schrauben zur Befestigung
auf ein Bret oder sonstige Unterlage bestimmt
war, um das Hin- und Herrutschen der Platte
beim Arbeiten zu verhüten. Unrichtigerweise
folgert man gewöhnlich aus dem Vorhandensein
dieser Löcher, die Abdrücke seien mittelst des
Reibers oder Cylinders hergestellt worden; sie
wurden von der Presse abgezogen. Die Ein-
drücke des Plattenrandes zeigen sich sehr stark
und deutlich; freilich hatte es die Druckerkunst
bei diesen Bll. noch nicht weit gebracht, doch
sind sie besser und sauberer gedruckt, als die
Kupfer zum Monte Sancto di Dio und zum
Dante.
Mit Recht steht diese Kupferstichfolge sowol
hinsichtlich ihrer Mannichfaltigkeit und Schön-
heit, als wegen ihrer Altertümlichkeit und Sel-
tenheit in hohem Wert. Sie ist vollständig mit
allen ihren 50 Bll. kopirt in dem nur in wenigen
Exemplaren gedruckten Werk: Jeux de cartes
tarots et de cartes numerales du XIVme au
XVIII1116 siede, representes en 100 planches d’a-
pres les originaux, publies par la Societe des
Bibliophiles framjais. Paris, 1844. Fol. Ein-
zelne Blätter trifft man zuweilen in Privat- und
öffentlichen Sammlungen, aber vollständige
Exemplare sind nur in sehr geringer Anzahl
übrig. Herr Galichon in Paris besitzt ein kom-
plettes Prachtexemplar von frischestem Druck
und trefflichster Erhaltung; es hat einen alten,
aus der Zeit der Stiche stammenden Einband
und ist in bläulicher Farbe abgedruckt. Da man
beim Drucken die Platten nur unvollkommen ab-
wischte und eine dünne Schicht der Druckfarbe
übrig liess, so erhielt das Papier eine bläuliche
Nüance, so dass man meint, Abdrücke von Ton-
platten vor sich zu haben. In seiner Art ist die-
ses Exemplar sicherlich ein Unicum. Es wurde
in der Verst. Serati zu London, 1816, für 43Pfd.
Sterling, in der Verst. Mark Sykes ebendaselbst,
1824, für 78 Pfd. 5 Shill. verkauft; Herr Ga-
lichon erwarb es 1860 für 10,000 Franken. Die
Bll. des Exemplars in dem Kupferstichkabinet
zu Paris haben einen 28 Mill, breiten Rand, und
an den Haaren und Flügeln, Kleidersäumen und
Gürteln der Figuren, so wie an den Gerätschaf-
ten, Attributen, Waffen, Bäumen, Gebäuden und
andern Gegenständen eine mit dem Pinsel fein
aufgetragene Vergoldung, die man, wie ich glaube,
nur bei Abdrücken von bereits angegriffenen
Platten anbrachte. Ob die Wiener und Ham-
burger Exemplare in beiden Beziehungen dem
Pariser gleichen, kann ich nicht sagen.
Mehrere Kopien vom Ende des 15. und dem
Anfang des 16. Jahrh. beweisen, dass diese
Kupferstichfolge damals sehr beliebt war; sie
sind zugleich ein Argument mehr, dass die Bll.
nicht die Bestimmung eines Kartenspiels hatten.
Bartsch erwähnt zwei Kopien. Bei einer Ver-
gleichung ergibt sich aber, dass die von ihm
unter den altitalienischen anonymen Kupfer-
stichen (XIII. 131 — 138) beschriebene und
für Kopie gehaltene Folge ein Original ist, wo-
gegen das sogenannte Original bei Bartsch (XIII.
120—131) für eine schlechte Kopie mit willkür-
lichen, sehr missratenen Veränderungen erklärt
werden muss. Die Stichart dieser Bll. zeigt nicht,
wie Bartsch meint, den Charakter des Alterthüm-