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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI article:
Vollrath, Hanna,: Lauter Gerüchte? Canossa aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0154

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HANNA VOLLRATH

Lauter Gerüchte?
Canossa aus kommunikationsgeschichtlicher Sicht

Heinrichs IV. Büßgang nach Canossa im Januar 1077 ist einer der ganz wenigen
deutschen Erinnerungsorte aus dem Mittelalter1, den die Brüche und Katastro-
phen der deutschen Geschichte in der Neuzeit nicht aus dem allgemeinen Ge-
dächtnis verdrängt haben. Die Rede von einem Canossagang wird bis in die Tages-
presse hinein als Symbol für eine demütige Unterwerfung verwandt mit dem
Beigeschmack des Ungehörigen, Schimpflichen2. Die Rezeptionsgeschichte wurde
entsprechend gründlich untersucht, und die Sicht der Zeitgenossen wurde dabei
natürlich ebenso gewürdigt. Insbesondere ist die Sicht der schreibenden Zeitge-
nossen, der Historiographen, gut bekannt, denn vor allem ihre Berichte sind un-
sere Quellen, sie sind die Grundlage für die vielen, in ihrer großen Zahl kaum
noch zu überblickenden geschichtswissenschaftlichen Darstellungen über den In-
vestiturstreit und damit über Canossa. Die bekannten Quellentexte werden mit
der bewährten Methode der Quellenkritik analysiert, und es wird das als Material
für die je eigene Darstellung herausgefiltert, was durch eine vergleichende Quel-
lenanalyse als zuverlässig gilt. Das, was sich bei einem Autor durch kritischen Ver-
gleich als Fehlinformation herausstellt, ist bestenfalls eine Notiz in den Anmer-
kungen wert, und dass ein Historiograph etwas, was anderswo überliefert wird,
mit Schweigen übergeht, wird, wenn es sich nicht um ein ganz spektakuläres Er-
eignis handelt, gar nicht thematisiert3. Darüber hinaus gibt es übergreifende Dar-

1 Zur Konzeption der „Erinnerungsorte" allgemein am Beispiel Frankreichs: Les Lieux de Mé-
moire, hg. von Pierre Nora u. a., 3 Bde. in 6 T., Paris 1984-1992. Für die Anwendung dieses
Konzepts auf Deutschland: Deutsche Erinnerungsorte, hg. von Etienne François/Hagen
Schulze, 2 Bde., München 2001; zu Canossa als ein „deutscher Erinnerungsort" siehe Otto
Gerhard Oexle, in: Canossa, ebd. Bd. 1, S. 56-67.
2 Für die Verwendung der Redensart im Laufe der Jahrhunderte siehe Harald Zimmermann,
Der Canossagang von 1077. Wirkungen und Wirklichkeit (Akademie der Wissenschaften und
der Literatur Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1975,
Nr. 5), Mainz 1975.
3 Das vermutlich bekannteste Beispiel für das Fehlen eines zentralen Ereignisses in einer Ge-
schichtsdarstellung des früheren deutschen Mittelalters ist, dass Widukind von Corvey, der
wichtigste und sehr gut informierte Historiograph der Ottonen, eines der bekanntesten Ereig-
nisse der Ottonenzeit, die römische Kaiserkrönung Ottos des Großen, nicht erwähnt, eine Tat-
sache, die zu vielfachen Deutungen geführt hat. Zu Widukinds Vorstellungswelt sowie zum
gesamten Komplex der Vorstellungsgeschichte bahnbrechend Helmut Beumann, Widukind
 
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