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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0055
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Vor allem in Antwerpen, der damals bedeutendsten Stadt des westlichen
Europa, wurden ungeheure Mengen von Kupserstichen erzeugt. Repro-
duktionen von Werken der italienischen Akademiker und ihrer nieder-
ländischen Nachahmer, Bibel-und Legenden-Illustrationen, Heiligenbilder,
im Auftrag der Jesuiten für Europa und ihre Missionsgebiete gemacht,
Landkarten, Illustrationen von Geschichtswerken, Topographien und
Reisebeschreibungen, Darstellungen von Prozessionen und allerhand
öfsentlichem Schaugepränge, Porträte, einzeln und in Folgen, allegorische
und emblematische Titelblätter, dekorative Umrahmungen, Vorlagen für
Architekten, Bildhauer, Tischler und Goldschmiede, das waren damals
die vom Kupferstich behandelten Themen. In der zweiten Hälfte des XVI.
und zu Beginn des XVII. Jahrhunderts waren, was den handwerksmäßigen
Betrieb besonders gut veranschaulicht, in den Niederlanden mehrere
Stecherdynastien tätig: die Wierix, die Sadeler, die De Bry und die
De Passe. Alle Stiche waren in dem falschen Stil der italienischen Flamen
und der italienischen Deutschen gehalten. (Die Blätter nach Hieronymus
Bosch und Pieter Brueghel d. ä. bilden eine wohltuende Ausnahme.)
Nur das Porträt hielt sich auf einer verhältnismäßig hohen Stufe. Von
der größten Bedeutung war das um die Mitte des XVI. Jahrhunderts
entstandene und hauptsächlich durch den Kupferstich verbreitete Orna-
ment, das sich aus dem Rollwerk und der Groteske zusammensetzte.
1540 druckte der Arzt Thomas Raynald in London ein Buch über
die Hebammenkunst The Byrih of ManJiynde. Es ist ein Nachdruck von
Roeßlins bei Egenolph in Frankfurt erschienenem Werke »De Partu
hominis«. Raynalds Buch nun enthält die ersten inEngland entstandenen
Kupferstiche. Von wem die künstlerisch nichtssagenden Arbeiten her-
rühren, ist unbekannt. Der erste in England tätige und dem Namen nach
bekannte Kupferstecher ist der am englischen Hofe bedienstete flämische
Wundarzt Tho mas Geminus. Sein 1545 in London erschienenes Buch
ist betitelt COMPENDIOSA jtotius Anatomie delineatio, aerej exarata:
per Thomam Geminum und enthält schwache Kupferstichkopien nach
den meisterhaften Holzschnitten von Johannes van Calcar in des Vesalius
1543 bei Oporinus in Basel gedrucktem Werke »De fabrica humani cor-
poris« und der »Epitome« daraus vom selben Jahre. (Vesalius, der sich
ösfentlich erboten hatte, für Drucke seines Werkes in anderen Ländern
seine Holzstöcke herzuleihen, beklagte sich bitter, nicht über den ihm
widerfahrenen literarischen Diebstahl, sondern über die Unbill, die durch
Unkenntnis und Ungenauigkeit des Kopisten seinen Abbildungen angetan
worden war.) Die nächsten in England entstandenen Kupferstiche
rühren von einem Engländer, Thomas Shute, her. Es sind die Illu-
strationen zu seinen 1563 erschienenen First and Chief Groundes of
Architecture. Ihm folgen die beiden flämischen Brüder Franciscus
und Remigius Hogenberg, die zum Beispiel für die Bishops' Bible
(die von Matthew Parker, dem Erzbischof von Canterbury, geleitete
Bibelübersetzung) arbeiteten und die beiden Ansichten der 1569 von
Gresham erbauten neuen Börse in London stachen. Bezeichnend für
Englands wachsende Seemacht ist die Gruppe von Chart-gravers, von
Landkartenstechern. Dazu gehören: Humphray Cole, der 1572 eine
Karte des heiligen Landes stach, Richard Lyne, der Caius' Geschichte
der Universität Cambridge (1574) illustrierte, Augustine Ryther, der
1589 die die Niederlage der Armada verewigenden Platten schuf, und
Benjamin Wright, der, wenngleich ein patriotischer Engländer, so
doch zumeist im Ausland arbeitete. Nun tritt eine Reihe fremder Stecher
auf, die nach England auf Besuch kamen oder dorthin übersiedelten : der
vielseitige Marcus Gheraerts, ein Protestant, der 1568 durch Alba
aus seiner Vaterstadt Brügge vertrieben wurde und die Prozession des
Hosenbandordens im Jahre 1576 in einer Serie von Stichen festhielt. Der
geschmackvolle Lütticher Theo dor de Bry, der 1587 den Leichenzug
Sir Philip Sidneys, des berühmten Verfassers des Schäferromans Arcadia,
in Kupfer stach. Johannes Rutlinger, ein Deutscher, und Jodocus
Hondius, ein Flame, arbeiteten beide unter De Bry für AsbXeys Mariner's
Mirrour, eine Übersetzung von des Holländers Lucas Wagenaer von
Enkhuizen »Spieghel derZeevaardt«. Hondius stach Karten von Amerika,
England und Frankreich und Weltkarten und vollendete schließlich in Am-
sterdam Mercators berühmten Atlas Major (1596). William Rogers;
von ihm stammt der früheste bekannte Porträtstich, der von einem
gebürtigen Engländer ausgeführt, signiert und datiert ist. Es ist das

Bildnis der Königin Elisabeth vom Jahre 1589. Rogers ist der einzige
englische Kupferstecher, der sich damals mit den Künstlern seines Faches
auf dem Kontinent messen konnte. Thomas Cockson, vermutlich
ein Engländer, der die Illustrationen zu der von dem Hofmann John
Harington im Auftrag der Königin Elisabeth unternommenen Über-
setzung von Ariosts Rasendem Roland schuf. Den Schluß der vor dem
Bürgerkrieg endigenden Periode machen ein paar in den letzten fünf
Jahren Elisabeths und den ersten sieben Jakobs I. auftauchende Stecher:
ein Dilettant, der Student der Physik Richard Haydock, der Lomazzos
Trattato della Pittura übersetzte und mit Kupferstichen schmückte, die
er selbst entworfen und gestochen hatte, Laurence Johnson, Cri-
stopher Switzer und William Kip.
Diezweite in demWerkebehandelteEpoche des englischen Kupfer-
stichs, die mit den ersten Stuarts beginnt, charakterisiert sich vor allem
durch eine gesteigerte Nachfrage. In John Sudbury, George Humble und
Compton Holland begegnen die ersten professionellen englischen Buch-
händler. Wieder werden hauptsächlich Porträte hervorgebracht. Auch
die Beliebtheit der emblematischen Frontispices, mit oder ohne Porträt,
mitoder ohne Titel, wächst. DieseStiche gewinnen dadurch an Bedeutung,
daß sie die Erstausgaben der Klassiker der englischen Literatur im XVII. Jahr-
hundert schmücken: die autorisierte Bibelübersetzung, Bacons Instau-
ratio Magna, Raleighs History ofthe World, Chapmans Homer, Draytons
Poly-Olbion, Burtons Anatomy ofMelaticoly,\Vü\iamBrovmesBrilannia's
Pastorats, die gesammelten Dramen Ben Jonsons (1616), die erste Folio-
ausgabe der Shakespeare-Stücke, John Miltons Poems (1645), Herricks
Hesperides, Sir Thomas Brownes Religio Medici, Jeremy Taylors Holy
Living und Holy Dying. Das Interesse am Kupferstich wird ein Teil der
allgemeinen Bildung: Burton empfiehlt als ein Hauptmittel gegen die
Melancholie die Betrachtung von Kupferstichen, namentlich in geogra-
phischen Werken und Reisebeschreibungen, Peacham bewundertin seinem
Compleat Gentleman die Stiche von Hendrick Goltzius. Die Rubens und
Van Dyck erwiesenen Ehren lassen auch auf die Stecher einen Abglanz
fallen: der Earl of Arundel zieht Lucas Vorsterman und Wenzel Hollar
nach London und der Prinz Ruprecht von der Pfalz führt selbst die eben
erlernte schwarze Kunst in England ein. Was aber in den Niederlanden
von den Rubens-Stechern, was in Frankreich von Mellan, Nanteuil
Edelinck und den Audran geleistet wird, hallt wegen der Bürgerkriege
nur schwach in England wider. Den großen Faithorne ausgenommen,
wird das Beste von Ausländern gemacht. Der für das England des
XVII. Jahrhunderts so außerordentlich wichtige Hollar findet als Radierer
in dem Werke keine Berücksichtigung.
Renold Eistrack, ein Engländer, der am Beginn von Jakobs I.
Regierung ihm und dessen Familie zu Ehren etliche Gruppen und Doppel-
bildnisse macht, und Francis Delaram, vermutlich ein französischer
Flame, arbeiten beide für das umfangreiche 1618 erschienene Porträt-
werk, die Baziliuilogia. Größe und Gestalt dieser Bildnisse wird typisch.
William Hole ist ein Engländer und, wie es scheint, ein Mann von
Stand. Er illustriert nur die Bücher hervorragender Autoren, z. B.
Chapmans, Draytons und Ben Jonsons, und ist Spezialist für Musikwerke.
Die flämischen Brüder Simon und Willem van de Passe, deren
Vater Crispin bereits Beziehungen zu England hatte, arbeiten für die
Baziliwlogia und die oben genannten drei großen Verleger. Die Herwologia
Anglica, ebenfalls ein großes Porträtwerk, ist von Willem und seiner
Schwester Magdalena illustriert. Willem ist der Schöpfer des großen
Blattes, das den Herzog von Buckingham zu Pferde darstellt und von
1625 datiert ist. Von John Payne, dem besten englischen Schüler der
Van de Passe, rührt das große Blatt mit dem Schlachtschiff Soveraigne
ofthe Seas her. Michael Droeshout und seine Söhne John und
Martin entstammen einer niederländischen Familie, von der schon um
die Wende des XVI. Jahrhunderts viele Mitglieder in London ansässig
waren. Martin genießt durch sein schlechtes Porträt Shakespeares in
der ersten Folioausgabe der Plays von 1623 eine zweifelhafte Berühmtheit.
Auch ein satirisches Blatt von ihm: Dr. Panurgus hat seinen Namen
bekannt gemacht. Fremde Kupferstecher, die unter Jakob I. und Karl I.
nach England kamen, sind: der Antwerpener Cornelis Bol, der wahr-
scheinlich ebenfalls aus Antwerpen stammende Jan Barrä, Lucas
Vorsterman, der nach seinem Bruche mit Rubens nach England kam

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