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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.4233#0043
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Differenzen in der Benennung einzelner Blätter werden ohnehin nicht
ganz zu vermeiden sein. So ist der Streit über den Titel von H. 231
»Bettler auf den Hörnern eines Stieres« noch nicht geschlichtet. Die Prado-
Zeichnung zu dieser Radierung (publiziert durch von Loga, Graphische
Künste, 1908, Heft 1, Seite 8) trägt eine Aufschrift von Goyas Hand, die
Dr. Hofmann übersetzt: »Bezahl's Gott-, die aber von Dr. von Loga
übertragen wurde: »Gott weiß, ob er mit dem Leben zahlen muß«.
Letzterer liest also: »Dios se lo pague a vita«, ersterer (Dr. Hofmann):
»Dios se lo pague a uste«, wobei er dem Vorgang Leforts folgt. Gramma-
tikalisch und orthographisch lassen sich Einwendungen gegen Logas
Lesung machen, denn se hinter Dios müßte schon als vulgäre Form für
sabe aufgefaßt werden, um als er (Gott) weiß genommen zu werden;
und mit dem Leben heißt a viiia nicht vita. Anderseits ist die Hofmann-
Lefortsche Lesung auch nur zu verteidigen, wenn man einen Irrtum Leforts
annimmt, der Goyas se für te gelesen und dann a uste(d) als Ihnen
aufgelöst hätte, wobei noch immer der Pleonasmus te und a uste . . .
stehen geblieben wäre. Sachlich einleuchtend ist aber wohl die Hofmann-
sche Auslegung, daß ein Blinder, der von einem Stier ergriffen wird,
glaubt, ein Mitleidiger habe ihn über die Straße gehoben, und nun sein
»Vergelts Gott« sagt. Die von Logasche Deutung mit der bangen Frage
des Zusehauers scheint mir deshalb weniger treffend, weil das Mitleid
dieser Art mit seinen Geschöpfen sonst nicht Goyas Sache ist und weil
auch die Situation für eine Gefahr auf Leben und Tod zu wenig akut
wirkt. Die Titelverbesserung, die Hofmann gegen Lefort mit H. 203, einem
Blatt der Desastres, vornimmt, gestehe ich nicht glücklich zu finden. Zu
einer Gruppe Elender tritt eine Frau, die einem von den unglücklichen
Geschöpfen zu trinken gibt. Darunter steht: »De que sirve una taza?«,
was Lefort mit »A quoi sert une pauvre tasse? übersetzt, wogegen
Hofmann sagt: »Wozu dient eine Tasse?« Hier wäre doch wohl prägnanter:
>Was kann eine Schale nützen?« Im übrigen ist es bei Goya, so illustra-
tiv der ganze Charakter seiner Kunst auch sein mag, nicht angebracht,
den Sinn seiner Darstellungen allzusehr zu pressen. Der Aufsatz Foersters

»Goya und Philostrat« (Zeitschrift für bildende Kunst, 1908, Dezember-
heft Seite 45 ff.) kann lehren, wie man es nicht machen darf. Wenn
behauptet wird, es bestünden zwischen Goya und Philostrat Zusammen-
hänge, nämlich in bezug auf die Zeichnung im Besitz von Don Aureliano
de Beruete: »Gran Coloso dormido« (abgebildet in jenem Aufsatz) und wenn
gesagt wird, Goya habe das Thema nicht aus Alciat, Vigenere, Polizian
oder Goethe genommen, auch sei er nicht durch Rekonstruktionen von
Cranach oder Rubens dazu angeregt worden ; wenn dann nach diesen
seminaristischen Betrachtungen uns das Geheimnis verraten wird, das
Blatt stelle gar nicht Herakles und die Pygmäen dar wie das Philostra-
tische Bild, sondern Gulliver und die Liliputaner, dann schmeckt der
ganze Aufsatz doch etwas nach der »Omelette ä bruit«, und der Leser
fragt sich verwundert, ob der Verfasser denn (außer von Logas Goya-Buch)
nicht auch von Logas Aufsatz über Goyas Zeichnungen (Graphische
Künste, 1908, Heft 1) gelesen habe, wo diese Foerstersche Entdeckung
schon in zwei bescheidenen Zeilen publiziert war i. Wegen solcher Vor-
kommnisse ist Vorsicht bei der Deutung Goyascher Blätter geboten, weil man
mit allzuviel Gelehrsamkeit Unrecht tut und seine Naivität verschleiert.

Die nun hier folgenden Zusätze und Ergänzungen zu Hofmanns
höchst wertvollem Katalog beziehen sich im wesentlichen auf das Ver-
zeichnis der Aufbewahrungsorte seltener Blätter. Manches, was auf der
Auktion Burty in London 1876 versteigert und seitdem vermißt wurde,
gelangte durch Lauser und Thibeaudau (der einen Teil seiner Ankäufe
dem British Museum vermittelte, wie Campbell Dodgson in seinen
Ergänzungen mitteilt2), in den Besitz des verstorbenen bremischen

1 Während des Satzes dieser Rezension ist in der Kunstchronik
(Nr. 13. S. 208) eine Replik Gottfried Eißlers auf den Foersterschen Auf-
satz erschienen, die sich gegen Foersters falsche Lesung der Aufschrift
des Gulliver-Blattes wendet.

2 Graphische Künste, 1907. Mitteilungen, Seite 59-61.
 
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