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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 4
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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Will Bradley: ein amerikanischer Wohnungskünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0153
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- Will Bradley, ein amerikanischer Wohnungskünstler

blieben ohne Zierart; die Wirkung des Ganzen be-
ruht auf dem Verhältnis der Massen; auch weiss
er, was sehr viele zünftige Baumeister nicht wissen,
dass zu einem richtigen Haus ein richtiges Dach
gehört. So ein kräftig wirkender Hut auf die
Mauern gesetzt, reimt sich allerdings nicht leicht
zusammen mit Säulenordnungen und dem übrigen
Rüstzeug klassischer Architektur, aber er ist für
nordisch klimatische Verhältnisse wichtiger als
diese. Die Giebel sind durchweg einfach ausge-
bildet, die Schnittflächen des Daches so angeordnet,
dass nirgends Versitzwinkel für Regenwasser und
Schnee entstehen. Im Innern ist zwar an Aus-
stattungsmaterial nicht gespart; indes ist aber auch
nichts von dem vergessen, was eine Wohnung
wohnlich macht, so z. B. die für das amerikanische
Einfamilienhaus bezeichnenden zahlreichen Sitz-
gelegenheiten, die man in der deutschen „Villa"
meist vergeblich sucht. Im deutschen, im schwei-
zerischen Bauernhause findet man sie, weil dieses
den Stempel der Zweckmässigkeit oft in viel höhe-
rem Grade trägt als das Haus des wohlhabenden
Städters. V
V Dass in einem Lande, wo die herrlichsten Holz-
gattungen um billiges Geld zuhaben sind (lange wird's
freilich bei der jetzigen, völlig widersinnigen Wald-
wirtschaftin den Vereinigten Staaten nimmer dauern),
die Verwendung solcher Materalien beim innern
Ausbau eine wesentliche Rolle spielen, erscheint
selbstverständlich. Und da man köstliches Werk-
holz, Bretter, Stämme haben kann, die in Europa
der hohen Preise wegen allenfalls zu Fournieren,
nicht aber in massiven Stücken verarbeitet werden,
so ist es auch ganz natürlich, dass ein eigentlicher
Bretterstil entstehen konnte. Technische Schwierig-
keiten sind es gewiss nicht, die eine Bevorzugung
geradliniger Möbelerscheinungen nach sich zogen,
vielleicht eher Arbeitspreis-Rücksichten. Bezüg-
lich der Brauchbarkeit und Bequemlichkeit ergibt
die Verwendung gebogener Flächen und Linien
keine höher gearteten Resultate; schliesslich be-
dingt auch die gerade Linie, die gerade Fläche
nicht jene komplizierteren konstruktiven Rücksicht-
nahmen, welche sich bei der Zusammensetzung
kurvierter Werkstücke ganz von selbst ergeben.
Es wäre also grundfalsch, die manchmal etwas mas-
siven Formen amerikanischer Möbel auf einen
Mangel an schreinerlichem Können zurückzuführen.
Ebensowenig ist die Einfachheit dieser Bretter-
möbel als eine Reaktion gegen die Auswüchse und
Verwilderungen anzusehen, die vielen Orts in Europa
eine hervorragende Rolle spielten, nachdem man
vom Kopieren alter Vorbilder sich abgewandt hatte
und „den neuen Stil" suchte, In Amerika grassierte

diese Kinderkrankheit nicht, mithin brauchte man
auch deren Erscheinungen nicht abzustreifen, um
zu zweckmässigen Erkenntnissen zu kommen. Man
liebt sie, diese handfesten Möbel, wie sie denn
übrigens auch in England es sei nur an die
Arbeiten von Baillie Scott erinnert, von dem Brad-
ley viel gelernt hat — keine untergeordnete Rolle
spielen trotz Chippendale und Sheraton, deren Ein-
fluss und Arbeiten man übrigens auch in Nord-
amerika in genügendem Masse vorfindet. Sie sind
durchweg konstruktiv richtig gedacht und stellen nir-
gends an den Techniker abnorme Anforderungen,
wie das z. B. bei sehr vielen Möbelerscheinungen
die durch ein Abweichen von einfachen Prinzipien,
originell und „neuzeitlich" wirken sollen, der Fall ist.
Ebenso entbehren sie aber jenes billigen Aufputzes
mit aufgeleimten Gesimsen, Profilen und ausge-
schnittenen Ornamenten, die viele Leute als uner-
lässlich für eine stilechte Erscheinung halten, nicht
nur in Europa — nein, solches Zeug wird auch in
Amerika auf den Markt gebracht, aber nicht für
Kulturmenschen. Bradley ist konsequent in seinen
Möbeln bei einer durchaus einfachen geradlinigen
Formenentwicklung geblieben. Merkwürdig ist das
immerhin, wenn man damit seine Plakate, seine
Illustrationen vergleicht, wo er der Mann der Kurve
par excellence ist. Freilich hatte er es da nur
mit Flächen, im andern Falle mit körperhaften Ge-
bilden zu tun, die übrigens auch als Erscheinungen
stark variieren. Während die Bibliothek etwas
ausserordentlich Massives, Schweres an sich hat,
weist das Damenzimmer, das Boudoir den Cha-
rakter höchster Elegance auf. An Bequemlich-
keit fehlt es beiden nicht. Allem ist der Stempel
der Zweckform aufgedrückt. Dass diese, weder
der Erscheinung des Materials, noch der Wohn-
lichkeit irgendwie den Weg vertritt, braucht heute
wohl kaum mehr gesagt zu werden. Die Erkennt-
nis dieser Wahrheit beginnt auch allmählich bei den
Anhängern des Ancien regime aufzudämmern. V
V Nirgends werden Bradleys Arbeiten aus dem
Gebiete der Wohnungskunst von einer „wilden"
Phantasie beherrscht, wenn es auch hin und wieder
wünschenswert erschiene, den Reichtum der deko-
rativstark sprechenden Elemente, gemusterter Stoffe
aller Art, etwas weniger ausgiebig angewandt zu
sehen. Er weiss jedoch überall dem von ihm vor-
zugsweise verwendeten Holz eine kräftig farbig
wirkende Note entgegen zu stellen, so im Ess-
zimmer durch den farbigen Kachelfries unter der
Decke, im Treppenhaus durch das grossblumige
Wandmuster u. s. w. Der wesentliche Reiz der
Räume besteht im Vermeiden der rein viereckigen
Form. Ueberall schliessen sich kleine Neben-
 
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