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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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16

Monatshefte für Kunstwissenschaft


Abb. 6. Madonna □
Blaubeurer Hochaltar

Körper hinauf, um ungehemmt durch wagrechte Schichtungen, in jenen des Schleiers,
den Langfalten des fliegenden Engelkleides, fortzuschwingen, während unten die Kurve
der Sichel die Bewegung aufnimmt, sie teilend,
weiterleitet.
Es scheint, daß jede Madonna des Meisters
ihren eigenen Klang hatte, so sehr er sich selbst
in jeder verriet. Auch die Blaubeurin hat das
Sinnende; die Lider sind aufgeschlagen und
drücken dennoch auf die Augensterne. Wer
weiter vergleicht, wird die Figur in einigem der
Berliner, in anderem der Augsburger Statue be-
sonders nahe finden, während manches allen
Dreien gemeinsam ist, z. B. das offene Mündchen
des Kindes, das die Zähne sehen läßt, die feinen
Rillen am Halse der Madonna.1) Im übrigen ist
das Blaubeurer Kind dem in Berlin am engsten
verwandt, im Kopf, dem kräftigen Gelock, dem
kräftigen Körper, an dessen Leib, in Nabelhöhe,
eine, in Augsburg nicht vorhandene, Abplattung
auffällt, der Beule eines Kessels gleich.2)
Das Antlitz der Blaubeurer Madonna anderer-
seits steht dem der Augsburgerin am nächsten;
nur diese zwei haben die eigen aufgestülpte
Oberlippe, so daß zwischen Nase und Mund
eine dreieckige Grube sich bildet. Und selbst-
verständlich bietet die in ihren Mantel gehüllte
Augsburger Figur die besten Vergleichspunkte
für die Falten. Die wulstigen, an den Enden
sich spaltenden, gekehlten Rücken sind charakte-
ristisch"), am Halse der geschweifte Umschlag
des Mantels. Der letztere war vergoldet, mit-
samt seinen breiten Bordüren, wie der in Blau-
beuren.
Am Schreine des Hochaltars fehlen die
kleinen Statuetten, die zwischen den großen
Figuren an den Pfeilern und der Rückwand
standen. Doch sind die Hauptfiguren von wunder-
barer Erhaltung, die Bemalung unberührt, von
leichter Politur; erst mit der Lupe gewahrt man

g Die Partie am Halse ist bei der Augsburgerin übergangen.

2) Das edle, in die Mondsichel gebettete weibliche Antlitz ist am Blaubeurer Altar wie in
Berlin von einem Stirntuch mit feingetollten Säumen vielfach umwunden.

3) Auf dem rechten Oberschenkel.
 
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