STUDIEN UND FORSCHUNGEN
ZWEI ALTTIROLER TAFELBILDER
DER LANDES-BILDERGALERIE IN
GRAZ.
Von Anton Reichel.
In der Gemäldegalerie des steiermärkischen
Landesmuseums „Joanneum" in Graz befinden
sich zwei Tafelbilder (Katal. Nr. 12 u. 13), die
bisher trotz der Beachtung, die ihnen seitens
der lokalen Kunstforscher geschenkt wurde, noch
keine Bearbeitung erfahren haben. Ihre Be-
deutung rechtfertigt zur Genüge den Versuch,
ihre kunstgeschichtliche Stellung zu fixieren.
AufSeite8 des Grazer Galerie-Kataloges (1903)
lesen wir:
„12. Michael Pacher, geb. zu Bruneck
zwischen 1430 und 1440, gest. 1498. St. Stanis-
laus auf der Bahre. Holz, 44—44. (Geschenk
Ign. Graf Attems 1861.)" (vd. Abb. 1.)
und
„13. Michael Pacher. Martyrium des heil.
Stanislaus von Polen. Holz 44—44. (Geschenk
Ign. Graf Attems 1861.)" (vd. Abb. 3.)
Dazu ist zu bemerken, daß die beiden Bilder
keine Signatur tragen und daß beide auf der
Rückseite Bemalung aufweisen, und zwar ge-
wahren wir auf der Rückseite von Nr. 12 das
Symbol des Evangelisten Lukas (Stier mit auf-
geschlagenem Buch) und auf der von Nr. 13
das Symbol des Evangelisten Markus (Löwe
mit Buch); beidemale auf gepresstem Goldgrunde.
Zur Geschichte der beiden Bilder sei weiter
erwähnt, daß sie aus dem Besitze der Grafen
Attems stammen. Wie mir Herr Dr. Ignaz Graf
Attems die Liebentwürdigkeit hatte mitzuteilen,
brachte dessen Großvater, der Herr Ignaz Graf
Attems (f 1861) und sein Urgroßvater, Ferdinand
Graf Attems (f 1821), die Sammlung zusammen,
aus der die beiden Tafeln von 1819—1861 unter
Wahrung des Eigentums, seit 1861 als Geschenk
an die Grazer Gemäldesammlung kamen. Auf-
zeichnungen über die Bilder, welche Aufschlüsse
über ihre Herkunft geben könnten existieren
nicht.
Die Darstellungen der beiden Tafeln werden
heute als der Stanislauslegende angehörig ge-
deutet; diese Bestimmung erfolgte vermutlich
vom Galeriedirek'or Professor Schwach, da sie
im ersten gedruckten Führer (Schwach, 1898) als
solche genannt werden. Diese Benennung wurde
auch von Dr. E. Dietz, der anläßlich der Neu-
aufstellung der Galerie einen nur zu wenig be-
rücksichtigten Katalog verfaßte, beibehalten.
Von 1819-1898 erscheinen dagegen Nr. 12 als
„hlg. Evangelist Lucas auf der Bahre" und
Nr. 13 als „Tod des Evangelisten Markus",
während als Künstler Grünwald genannt wird.1)
Zur Beurteilung der Frage, inwieweit diese
Angaben den Tatsachen entsprechen, stehen uns
keine anderen Kriteren zur Verfügung als die,
die uns die Bilder selbst an die Hand geben.
Auf diese wollen wir daher zuvörderst unser
Augenmeik lenken.
Tafel Nr. 12. In einer gotischen Halle ge-
wahren wir eine Tragbahre mit einem Todten,
um die sich knieende und stehende Gestalten
gruppieren, während von oben herab drei Engel
schweben. — Der in grauen Tönen gehaltene
Raum ist schräg gegen den Beschauer gestellt
und läßt vor- und zurücktretende Partien er-
kennen, die im Hintergründe mit Spitzgewölben
geschlossene Nischen zeigen. Die Quaderstruktur
ist mit hellen Strichen auf dem dunklen Grunde
verdeutlicht. Das Licht fällt rechts durch ziem-
lich hoch angebrachte Fenster in den Raum.
Ungefähr in der Mitte des Hintergrundes ge-
währt eine weite, bogengekrönte, geöffnete Tür
freie Aussicht auf eine mit einem Torturm ab-
geschlossene Straße, deren Giebelhäuser rote
und grüne Dächer erkennen lassen, und die von
kleinen roten und weißen Figürchen belebt wird.
In einer Nische des Hintergrundes befindet sich
ein Altar. Der Fußboden des Raumes ist mit
abwechselnd bräunlichroten, grünen und weißen
Steinfließen in regelmäßiger Musterung belegt
und weist kräftige Schlagschatten der darauf-
stehenden Figuren und Gegenstände auf.
In der Mitte der Bildfläche steht, der schrägen
Richtung der Halle folgend, eine braune, ziem-
lich roh gezimmerte Bahre, auf der ein mit
bischöflichen Insignien bekleideter Todter ruht;
sein Kopf liegt auf einem weißen Polster, der
Körper ist mit einem schwarzen, mit einem
goldenen Kreuze versehenen Bahrtuche bedeckt.
Überaus kühn erscheint die vollendete Wieder-
gabe der sich perspektivisch verjüngenden Bahre
und das von rückwärts ebenfalls in scharfer
Verkürzung gesehene Gesicht des Todten. Rechts
von der Bahre stehen fünf in weiße, faltenreiche
Gewänder gekleidete Männer; der äußerste
rechts mit roter Mütze und ebensolcher Ver-
9 Vgl. das Inventar der Grazer Galerie.
ZWEI ALTTIROLER TAFELBILDER
DER LANDES-BILDERGALERIE IN
GRAZ.
Von Anton Reichel.
In der Gemäldegalerie des steiermärkischen
Landesmuseums „Joanneum" in Graz befinden
sich zwei Tafelbilder (Katal. Nr. 12 u. 13), die
bisher trotz der Beachtung, die ihnen seitens
der lokalen Kunstforscher geschenkt wurde, noch
keine Bearbeitung erfahren haben. Ihre Be-
deutung rechtfertigt zur Genüge den Versuch,
ihre kunstgeschichtliche Stellung zu fixieren.
AufSeite8 des Grazer Galerie-Kataloges (1903)
lesen wir:
„12. Michael Pacher, geb. zu Bruneck
zwischen 1430 und 1440, gest. 1498. St. Stanis-
laus auf der Bahre. Holz, 44—44. (Geschenk
Ign. Graf Attems 1861.)" (vd. Abb. 1.)
und
„13. Michael Pacher. Martyrium des heil.
Stanislaus von Polen. Holz 44—44. (Geschenk
Ign. Graf Attems 1861.)" (vd. Abb. 3.)
Dazu ist zu bemerken, daß die beiden Bilder
keine Signatur tragen und daß beide auf der
Rückseite Bemalung aufweisen, und zwar ge-
wahren wir auf der Rückseite von Nr. 12 das
Symbol des Evangelisten Lukas (Stier mit auf-
geschlagenem Buch) und auf der von Nr. 13
das Symbol des Evangelisten Markus (Löwe
mit Buch); beidemale auf gepresstem Goldgrunde.
Zur Geschichte der beiden Bilder sei weiter
erwähnt, daß sie aus dem Besitze der Grafen
Attems stammen. Wie mir Herr Dr. Ignaz Graf
Attems die Liebentwürdigkeit hatte mitzuteilen,
brachte dessen Großvater, der Herr Ignaz Graf
Attems (f 1861) und sein Urgroßvater, Ferdinand
Graf Attems (f 1821), die Sammlung zusammen,
aus der die beiden Tafeln von 1819—1861 unter
Wahrung des Eigentums, seit 1861 als Geschenk
an die Grazer Gemäldesammlung kamen. Auf-
zeichnungen über die Bilder, welche Aufschlüsse
über ihre Herkunft geben könnten existieren
nicht.
Die Darstellungen der beiden Tafeln werden
heute als der Stanislauslegende angehörig ge-
deutet; diese Bestimmung erfolgte vermutlich
vom Galeriedirek'or Professor Schwach, da sie
im ersten gedruckten Führer (Schwach, 1898) als
solche genannt werden. Diese Benennung wurde
auch von Dr. E. Dietz, der anläßlich der Neu-
aufstellung der Galerie einen nur zu wenig be-
rücksichtigten Katalog verfaßte, beibehalten.
Von 1819-1898 erscheinen dagegen Nr. 12 als
„hlg. Evangelist Lucas auf der Bahre" und
Nr. 13 als „Tod des Evangelisten Markus",
während als Künstler Grünwald genannt wird.1)
Zur Beurteilung der Frage, inwieweit diese
Angaben den Tatsachen entsprechen, stehen uns
keine anderen Kriteren zur Verfügung als die,
die uns die Bilder selbst an die Hand geben.
Auf diese wollen wir daher zuvörderst unser
Augenmeik lenken.
Tafel Nr. 12. In einer gotischen Halle ge-
wahren wir eine Tragbahre mit einem Todten,
um die sich knieende und stehende Gestalten
gruppieren, während von oben herab drei Engel
schweben. — Der in grauen Tönen gehaltene
Raum ist schräg gegen den Beschauer gestellt
und läßt vor- und zurücktretende Partien er-
kennen, die im Hintergründe mit Spitzgewölben
geschlossene Nischen zeigen. Die Quaderstruktur
ist mit hellen Strichen auf dem dunklen Grunde
verdeutlicht. Das Licht fällt rechts durch ziem-
lich hoch angebrachte Fenster in den Raum.
Ungefähr in der Mitte des Hintergrundes ge-
währt eine weite, bogengekrönte, geöffnete Tür
freie Aussicht auf eine mit einem Torturm ab-
geschlossene Straße, deren Giebelhäuser rote
und grüne Dächer erkennen lassen, und die von
kleinen roten und weißen Figürchen belebt wird.
In einer Nische des Hintergrundes befindet sich
ein Altar. Der Fußboden des Raumes ist mit
abwechselnd bräunlichroten, grünen und weißen
Steinfließen in regelmäßiger Musterung belegt
und weist kräftige Schlagschatten der darauf-
stehenden Figuren und Gegenstände auf.
In der Mitte der Bildfläche steht, der schrägen
Richtung der Halle folgend, eine braune, ziem-
lich roh gezimmerte Bahre, auf der ein mit
bischöflichen Insignien bekleideter Todter ruht;
sein Kopf liegt auf einem weißen Polster, der
Körper ist mit einem schwarzen, mit einem
goldenen Kreuze versehenen Bahrtuche bedeckt.
Überaus kühn erscheint die vollendete Wieder-
gabe der sich perspektivisch verjüngenden Bahre
und das von rückwärts ebenfalls in scharfer
Verkürzung gesehene Gesicht des Todten. Rechts
von der Bahre stehen fünf in weiße, faltenreiche
Gewänder gekleidete Männer; der äußerste
rechts mit roter Mütze und ebensolcher Ver-
9 Vgl. das Inventar der Grazer Galerie.