Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pazaurek, Gustav Edmund
Gläser der Empire- und Biedermeierzeit — Monographien des Kunstgewerbes, Band 13/​15: Leipzig: Verlag von Klinkhardt & Biermann, 1923

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62689#0013
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Allgemeines.
Der Biedermeiergeschmack ist die bürgerliche Fortsetzung des Empirestils, kein
selbständiger Zeitstil. Mögen auch die romantischen Elemente, in erster Reihe die
unverstandene und naiv verwendete Gotik, in der Zeit zwischen den napoleonischen
Kriegen und dem Revolutionsjahr 1848 dem immer noch weiter sich behauptenden
Klassizismus stärker beigemischt sein, vorbereitet war dieser Zug bereits im aus-
gehenden 18. Jahrhundert, nicht nur in der Dichtung, auch in der Architektur und
im Kunstgewerbe. Auch der orientalische Einschlag ist nichts Neues, wenn auch an
Stelle Ägyptens wieder wie früher mehr China, Persien und auch ein wenig Indien
mitklingen.
Gegenüber der formalen Romantik, der Keimzelle der noch unbestimmten „alt-
deutschen“ Richtung, die erst in den siebziger Jahren zur konsequenteren Wieder-
belebung der deutschen Renaissance führt, hat das inhaltlich „romantische“ Element
einen schweren Stand. Es bildet — man erinnere sich nur des Bauernfeld-Lust-
spieles „Bürgerlich und Romantisch“ (Uraufführung im Wiener Burgtheater am
7. September 1835) — den Gegenpol zum bürgerlich Philiströsen, das sich vielleicht
zu keiner Zeit so breitspurig ausgelebt hat, wie in den Tagen der Metternichschen
Reaktion, die auch in Harmlosigkeiten etwas Staatsgefährliches wittern zu sollen
glaubte und dem staunenswert geduldigen „Untertan“ am liebsten alles Denken polizei-
lich verboten hätte1). Waren somit auch der künstlerischen Phantasie und Ge-
staltungskraft manche harten Fesseln auferlegt, so wurde doch anderseits sehr viel
geistige Energie, die sich politisch nicht betätigen durfte, für das praktische Erwerbs-
leben frei, und die Völker arbeiteten mit rastlosem Fleiß, um den industriellen Eng-
ländern, den einzigen Kriegsgewinnlern nach dem allgemeinen europäischen Zu-
sammenbruch der Napoleon-Ara, wenigstens einigermaßen nachkommen zu können.
Erfindungen von weitestgehender Bedeutung und Entwicklungsfähigkeit folgten
einander, wie nie zuvor, fast Schlag auf Schlag, und wenn auch überall der tech-
nische Fortschritt im Vordergründe stand, kam dieser doch vielfach mittelbar auch
der Kunstindustrie und dem Kunstgewerbe zu statten. Darin lag die eigentliche
geistige Bedeutung der Zeit, der wahre Hochflug ihrer Gedanken, also in gewissem
Sinne auch eine Romantik, die über das Spießbürgerliche, Kleinliche, Geängstigte
schließlich triumphierte.
Die Lebensäußerungen des Alltags ließen noch wenig davon merken. Die
emsige Arbeit — allerdings noch in keinem fieberhaften Tempo — und die Spar-
samkeit, zu der uns die langwierigen, fast über den ganzen Kontinent ausgedehnten
„Freiheitskriege“ zwangen, erzeugten eine Gesamtstimmung kleinlicher Nüchternheit,
die das praktisch Konstruktive unter Hintansetzung phantasievoller Ausgestaltung
stark unterstreicht, zugleich aber auch die Vorzüge des Materials entsprechend zur
Geltung zu bringen bemüht war. —
*) Vgl. die Einleitung in G. E. Pazaurek, Biedermeier-Wünsche (Stuttgart, Jul. Hoffmanns
Verlag, 1908).
 
Annotationen