Abb. 66. Venezianische Stucktruhe im South Kensington-Museum zu London.
II. Venedig und die terra ferma.
TA er venezianische Hausrat war zu allen
Zeiten abhängig vom venezianischen
Wohnhaus. Dieses hat infolge der Lage
Venedigs mitten im Meer, auf einer
Reihe von kleinen, durch zahllose Kanäle
durchschnittenen Inseln, sehr eigenartige
Formen und Grundriss. Dadurch sind
auch die venezianischen Möbel sehr eigen-
artig, von denen des übrigen Italiens mehr
oder weniger abweichend.
Das Haus des vornehmen und des
wohlhabenden Venezianers lag und liegt
heute noch mit seiner Hauptseite nach
einem Kanal — womöglich nach dem
Kanal, dem canale grande, — mit der
Rückseite nach einer Strasse. Von beiden
Seiten hat es einen Eingang; der Haupt-
eingang ist aber der vom Kanal aus, denn
die Gondel ist das eigentliche Verkehrs-
mittel Venedigs; der Strasseneingang führt
über den kleinen Hof oder daneben her.
Diese Eingänge leiteten beiderseits in den
langen niedrigen Vorraum, der vom Kanal
bis zum Hof durchs ganze Haus gerade
durchgeht, und zu dessen Seiten alle Wirt-
schaftsräume liegen. An einer Seite führt
die Treppe, nicht ganz so schmal aber
fast ebenso steil wie in den Palästen von
Florenz, zum Hauptgeschoss, das in der
gleichen Weise disponiert ist. lieber der
Eingangshalle, richtiger dem Korridor, liegt
in gleicher Form und Ausdehnung der
grosse Hauptraum, wesentlich höher als im
Erdgeschoss und sehr viel heller, da er nach
beiden Seiten mit hohen Arkadenfenstern
abschliesst; ein Vorraum für die beider-
seits anschliessenden kleineren Wohnräume
und zugleich Empfangs- und Festhalle,
der Lieblingsaufenthalt der Venezianer
und dementsprechend an den langen
Seitenwänden galerieartig mit Gemälden
oder Gobelins geschmückt. Im Ober-
geschoss sind die Schlafzimmer und andere
Nebenräume. Fehlte es, in den ältesten
und beschränktesten Teilen der Stadt, an
Raum, so legte man die Treppe auch
wohl in den Hof: als Freitreppe bis in
das oberste Stock hinauf oder turmartig
als Wendeltreppe.
Einfachheit und Grossräumigkeit, die
den Grundzug dieses Planes bilden, war
auch bei der Möblierung des Hauses mass-
gebend, in gotischer Zeit wie zur Zeit der
Renaissance, des Barocks und Rokoko.
Die alte Einrichtung einiger Säle im
Dogenpalast und in einzelnen Scuole, so-
wie, aus späterer Zeit freilich, in einigen
wenigen Palästen geben uns heute noch
ein ziemlich treues Bild der Ausstattung
der venezianischen Paläste der Renaissance.
Keine Einbauten, keine grossen Möbel
oder ganze Etablissements hinderten den