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Zweite Vorlesung.

eine unziemliche That in der Nähe von Heiligenbildern
begehen wollten, so deckten sie Tücher über die Bilder,
damit dieselben nichts davon sähen. Ja ein russischer
Bauer, der eine schlechtere Ernte gehabt als sein Nach-
bar, borgte von diesem dessen Heiligenbild und stellte es
beim Ackern auf den Pflug, um so einen reicheren Ertrag
zu erzielen.1

• Alle diese Erscheinungen würden von einem Fremden
der ihre Entstehung nicht kennt oder errathen kann, ein-
fach als Fetischismus behandelt werden, während wir eine
unendliche Reihe von Antecedentien erblicken, durch die
allein es möglich wurde, dass das Bild einer Jungfrau
oder eines Heiligen an den Mast gebunden werden konnte,
um günstigen AVind zu bringen. Muss es denn in Afrika
so ganz anders gewesen sein? Warum sollen diese Fetische
keine Geschichte, keine Entwickelung gehabt haben,
sondern so wie sie sind aus der Erde gesprungen sein?
Um es kurz zu sagen, wenn wir sehen, dass Alles, was
Fetisch genannt werden kann, in anderen uns bekannten
Religionen secundär ist, warum sollen alle Fetische in
Afrika primär gewesen sein? Wenn ein Fetisch überall
Voraussetzungen hat, wenn er überall von mehr oder
weniger entwickelten religiösen Ideen begleitet ist, warum
soll er in Afrika den Anfang aller Religion gebildet haben?
Anstatt den Fetischismus in allen anderen Religionen,
deren Entwickelung wir theilweis kennen, durch den Feti-
schismus der Neger, dessen Entwickelung wir nicht kennen,
zu erklären, warum nicht umgekehrt den Fetischismus
Afrikas durch den Fetischismus Europas zu verstehen
suchen?

1 F. Schultze, Fetischismus, S. 176. Vergleiche Rigveda, IV,
24, 10.
 
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