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Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst — 1.1906

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Habich, Georg: Anadyomene
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https://doi.org/10.11588/diglit.67745#0130
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Anadyomene.

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Was den Bildhauer zur Abänderung des gemalten Vorbildes veranlaßte,
waren auch hier nur natürliche Forderungen feiner Kunft und feiner Technik.1)
Einen naheliegenden Anhaltspunkt bei diefen feinen Umbildungen gab dem
Künftler die klafftfche Statue des Diadumenos.
Von dem urfprünglichen Bewegungsmotiv der Anadyomene im Bilde des
Apelles ift dagegen, wie ich glaube, ein anderes Bildwerk imstande, eine reinere,
unmittelbarere Vorftellung zu geben: die kleine Gruppe einer Aphrodite mit
einem Triton zu Füßen, die [ich feit 1894 im Dresdener Albertinum befindet.
Eine „Anadyomene“ von ähnlich entwickelten Formen wie unfer Torfo, aber
fie ift nicht ftehend, fondern, wie die ganze Bewegung erkennen läßt, halbfchwebend
gedacht, von den Waffern getragen und emporgehoben. Dem Meer, das der
Maler landfchaftlich darftellen konnte, hat der Bildhauer durch den Triton
plaftifche Geftalt gegeben. Er dient der Figur technifch als Stütze, aber er ift in
voller Bewegung gegeben: er fchwimmt hinter der Göttin hinweg, ähnlich wie der
Adler bei der Nike des Paeonios vorbei ftreicht, die Illufion des Schwebens er-
höhend. Auf Münzen der Stadt Prufa mit dem Bilde der Anadyomene findet
[ich an der Stelle des Triton ein Seepferd. Der Dresdener Figur fehlen leider
Kopf und Arme, jedenfalls aber läßt das Ganze fo viel erkennen, daß in dem Ur-
bild der Anadyomene, dem berühmten Gemälde, der Begriff der Epiphanie, der
überirdifchen, göttlichen Er[cheinung, viel bedeutender hervortrat, als die lange
Reihe der befprochenen genremäßigen Statuen und Statuetten es ahnen läßt.2)
Mehr als unwahrscheinlich ift die immer wieder in Handbüchern auftauchende,
lediglich auf einem Epigramm beruhende Anfchauung, die Anadyomene des Apelles
fei dargeftellt gewefen bis an die Bruft im Waffer ftehend, während der übrige
Körper nur durch das Meerwaffer hindurch zum Vorfchein gekommen fei. Das
ift aus künftlerifchen, wie aus optifchen Gründen gleich undenkbar. Wie mag die
Nachricht entftanden fein? Vermutlich hat die Horizontlinie des Meeres
die Figur in Brufthöhe gefchnitten, was bei dem fchon früh bezeugten ruinöfen
Zuftand gerade des unteren Teiles der Figur zu jenem feltfamen Irrtum Anlaß
gegeben haben mag.
Ein Vergleich unferes Torfo mit der Pringsheimfchen Statuette zeigt den
ganzen Spielraum, der den Variationen über diefes Thema offen ftand. Hat man
bei jener nicht ohne Grund die harten, [treng umfchriebenen Formen aus einem
vorauszufet^enden Bronzeoriginal zu erklären verfucht, fo ift der Baffermannfche
Torfo recht eigentlich das Werk einer fehr entwickelten Marmortechnik.
Die Provenienz unferes Stückes ift nicht mehr nachweisbar. Ähnliche weich
und rundlich behandelte Torfen ftammen vielfach aus dem ägyptifchen Kunfthandel,

’) Audi die Kleinkunft, worin die Anadyomene häufig wiederkehrt, hält (ich natürlich mehr
an die ftatuarifdie Bildung, da das urfprüngliche Motiv ja nur mit landschaftlicher Ausgepaltung
denkbar und verwendbar ift.
2) Der Kopf war, wie der Halsanfatj zeigt, vielleicht ein wenig gefenkt, aber dem Befdiauer
gerade zugewandt. Die 1. Ferfe fteht etwas höher als der (verlorene) nach abwärts abgeftreckte
Fuß; der äußere Umriß der Ferfe löft fich nicht deutlich von dem als Waffer charakterifierten
Untergrund. Das r. Bein mitfamt dem Fuß fehlt.
Kunstjahrbuch 1906. 7
 
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