V. Literarische Ufteile
Die Beurteilungen der künstlerischen Qualität des Vorhalienzyklus haben die ganze Skala
höchster Anerkennung und vöüiger VerwerRmg durcMaufen. Es ist kunstgeschichtlich
sowie kuiturhistorisch ungemein interessant, dabei dem Wechsel der Kunstanschauung
nachzugchen. Die beiden Pole werden durch die Namen Schnaase und Förster gekenn-
zeichnet.
Schnaase redet an zwei Steiien von dcr Vorhaüenpiastik. Zunächst^ nennt er den Zykius
eine der geistreichsten Kompositionen dieser Art, und an anderer Stelle^ spricht er von
diesen Figuren, daß sie an Schönheitsgefühi, Schwung, zarter Grazie aüe anderen Biidwerke
der deutschen Gotik überträfen. Man kann wohl vermuten, daß diese Quaiitätsbeurteiiung
mitbedingt ist durch seine Feststellung von dem geistigen Gehait des Zykius, der ihm fiir
das Ganze grundlegend ist. Übrigens kann man gerade bei Schnaase die ganze Labiiität der
Wcrtung und ihren Umschwung im Laufe der Jahre kennenlernen, wenn er z. B. von dem
Straßburger Engeipfeiier als minder bedeutend gegenübcr den Skulpturen des Südportais
redet, oder von dcn Naumburger Skulpturen am Lettner des Westchores sagt, sie gehörten
zu den besseren Skulpturen dieser Zeit, besonders aber die zwöif Standbiider in demselben
Chore.
Ganz merkwiirdig ist dic Stellungnahme von Ernst Förster. In seiner Geschichte der
deutschen KunsH spricht er vor aüent iiber den Gedankengehait und die Anordnung der
Figuren, daß dabci an Kiarheit gegeniibcr Straßburg nichts gewonnen wurde. (Über seinen
Vorschlag zur Änderung dieser Anordnung ist schon an anderer Steüe gesprochen worden).
Aber dic Arbcit in Freiburg sei in vielem Betracht besser als in Straßburg und dic Gestaiten
teiis sogar voll Ausdruck und Leben, dazu von guten Verhältnissen, edler Bewegung und
schöner Gewandung.
Zu dieser anerkennenden Beurteilung steht sein Urteil an anderer Stelie in vollendetem
Gegensatzh Nach wiederholter Prüfung der Figuren habe er sich zu der Ansicht bekehrt, die
Arbeit sei fast ohne Formensinn und in sehr rohcr Weise durchgeführt. — Da aber der
glcichc Autor die Szene des Versuchers mit der törichten Jungfrau am Münster zu Basel für
eine Verkündigung hält und darüber sagt: Maria erscheint mit den Händen auf Brust und
Magen, mit erhobenen Eübogen und zurtickgeworfenem Kopf in einer fast lächcrlichen
Entzückung, der Engel aber deute mit lachcnd abgewandtem Kopf auf sie wie auf eine
319
Die Beurteilungen der künstlerischen Qualität des Vorhalienzyklus haben die ganze Skala
höchster Anerkennung und vöüiger VerwerRmg durcMaufen. Es ist kunstgeschichtlich
sowie kuiturhistorisch ungemein interessant, dabei dem Wechsel der Kunstanschauung
nachzugchen. Die beiden Pole werden durch die Namen Schnaase und Förster gekenn-
zeichnet.
Schnaase redet an zwei Steiien von dcr Vorhaüenpiastik. Zunächst^ nennt er den Zykius
eine der geistreichsten Kompositionen dieser Art, und an anderer Stelle^ spricht er von
diesen Figuren, daß sie an Schönheitsgefühi, Schwung, zarter Grazie aüe anderen Biidwerke
der deutschen Gotik überträfen. Man kann wohl vermuten, daß diese Quaiitätsbeurteiiung
mitbedingt ist durch seine Feststellung von dem geistigen Gehait des Zykius, der ihm fiir
das Ganze grundlegend ist. Übrigens kann man gerade bei Schnaase die ganze Labiiität der
Wcrtung und ihren Umschwung im Laufe der Jahre kennenlernen, wenn er z. B. von dem
Straßburger Engeipfeiier als minder bedeutend gegenübcr den Skulpturen des Südportais
redet, oder von dcn Naumburger Skulpturen am Lettner des Westchores sagt, sie gehörten
zu den besseren Skulpturen dieser Zeit, besonders aber die zwöif Standbiider in demselben
Chore.
Ganz merkwiirdig ist dic Stellungnahme von Ernst Förster. In seiner Geschichte der
deutschen KunsH spricht er vor aüent iiber den Gedankengehait und die Anordnung der
Figuren, daß dabci an Kiarheit gegeniibcr Straßburg nichts gewonnen wurde. (Über seinen
Vorschlag zur Änderung dieser Anordnung ist schon an anderer Steüe gesprochen worden).
Aber dic Arbcit in Freiburg sei in vielem Betracht besser als in Straßburg und dic Gestaiten
teiis sogar voll Ausdruck und Leben, dazu von guten Verhältnissen, edler Bewegung und
schöner Gewandung.
Zu dieser anerkennenden Beurteilung steht sein Urteil an anderer Stelie in vollendetem
Gegensatzh Nach wiederholter Prüfung der Figuren habe er sich zu der Ansicht bekehrt, die
Arbeit sei fast ohne Formensinn und in sehr rohcr Weise durchgeführt. — Da aber der
glcichc Autor die Szene des Versuchers mit der törichten Jungfrau am Münster zu Basel für
eine Verkündigung hält und darüber sagt: Maria erscheint mit den Händen auf Brust und
Magen, mit erhobenen Eübogen und zurtickgeworfenem Kopf in einer fast lächcrlichen
Entzückung, der Engel aber deute mit lachcnd abgewandtem Kopf auf sie wie auf eine
319