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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 39.1879

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Karl Gleyre
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II. Aufenthalt in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.43130#0010
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Mittag; seine Kleider flickte er selbst und bemalte dann die weissen Nähte mit Aquarellfarben. Allein
der leichteste Regenschauer löschte die Farbe wieder aus und dann musste er mit Renoviren von Neuem
beginnen.
Im Winter 1832—1833 konnte Gleyre endlich — aus was für Mitteln ist nicht bekannt — seine
Reise nach Neapel ausführen. Sie stimmte seine Lebensgeister wieder fröhlich. Nach seiner Rückkunft
erklärt er ganz bestimmt: «Mein lieber Heinrich, ich habe keine Lust nach Lyon zurückzukehren. . .
Der eigentliche Grund ist, weil ich hoffe, eine Reise nach dem Oriente machen zu können, die mich nicht
einmal etwas kosten wird. Ich erwarte darüber noch Antwort. Der wichtigste Grund aber ist, weil ich
kein Geld habe. Urtheile selbst. Ich verkaufe meine Zeichnungen; das macht Fr. 100 bis Fr. 200.
Ich bezahle damit meine Schulden oder einen Theil derselben. Da bleibt mir nichts, ich muss neue
machen, bis ich wieder eine Bestellung bekomme und so geht es fort. Ich hoffte, ihr würdet meine
Fladen verkaufen können, die ich euch geschickt habe. Es scheint, es will sie Niemand. Nun denn!
Ich mache keine Tableaux mehr. Das kostet zu viel Geld und zu viel Mühe. Man zieht sich mit kleinern
Zeichnungen besser aus der Sache.»
Gleyre hielt sich jetzt schon drei Jahre in Rom auf, ohne etwas Namhaftes geleistet zu haben.
Er verbrachte seine Zeit meistens mit Betrachten von Kunstwerken, mit Träumen und Sinnen, wenig
mit Arbeiten. Die Natur und die Kunstschätze Italiens machten einen lebhaften Eindruck auf ihn und
erstickten anfänglich seine Arbeitslust nicht. Aber bei längerm Aufenthalte flösste ihm der Vergleich
seiner noch schwachen Leistungen mit denen der grossen Meister der Renaissance eine Furcht und ein
Misstrauen in sich selbst ein, das er niemals ganz überwand. Ohne Zweifel datirt auch von da die fixe
Idee, die er aber später glänzend durch seine Schöpfungen widerlegte: die alten Meister hätten Alles
weggenommen und nach ihnen sei nichts mehr zu machen. Diese scheinbare Unthätigkeit Gleyre’s war
eine Zeit des Brütens, die aber ihre schönen Früchte trug. Dieses einsame Nachdenken mitten in den
schönen Umgebungen Rom’s oder vor den Fresken der Sixtinischen Kapelle und des Vatikans brachte
sein Talent und seinen Geschmack zur Reife. Der Umgang mit ausgezeichneten Männern, wie Horace
Vernet, Leopold Robert u. A., vervollständigte seine allgemeine Bildung und entwickelte seinen Geist.
Die Arbeiten Gleyre’s aus dieser Zeit bestehen theils in schönen Studien nach Michael Angelo und
andern Meistern — von Giotti bis Rafael gab es keinen, den er nicht mit gleicher Sorgfalt und gleichem
Verständniss kopirt hätte — theils in eigenen Kompositionen. Sein erstes grösseres Bild stellt römische
Briganden vor, welche in einer gebirgigen Gegend eine englische Familie ausplündern. Es entstand 1831.
Die Auffassung ist naturgetreu und die Ausführung zeigt grosses Geschick und technische Fertigkeit,
aber die Poesie, die seinen spätem Arbeiten die geistige Weihe gibt, fehlt durchaus noch. Gleyre hält es
selbst für eine Jugendsünde und hatte es nicht gerne, wenn man darauf zu sprechen kam. Er wollte es
auch nie verkaufen, obgleich er mehrmals darum angegangen wurde und das erst noch in Zeiten, wo er
arg in der Klemme stak. — Ein anderes kleineres Oelbild zeigt uns Rafael’s Abreise vom Vater-
hause. Es ist elegant und fein behandelt, die Gruppe von Mutter und Sohn gefühlvoll und mit Ausdruck
dargestellt, darf aber seinen spätere Arbeiten noch nicht an' die Seite gestellt werden. — Gleyre machte
ferner in Rom eine Menge Portraits, von denen er 1831 einige auf die Ausstellung nach Paris sandte.
Auch führte er mehrere grosse Aquarellen aus, die Erwähnung verdienen. Er behandelte diese Art von
Malerei mit Ueberlegenheit und man wundert sich, dass er dieses Feld in der Folge hat brach liegen
lassen. Die vorzüglichste Komposition in dieser Branche ist Der erste Kuss Michael Angelo’s, Sie
entstand 1832. Vittoria Colonna ist soeben verschieden. Sie liegt in einem Fauteuil, das Haupt auf ein
Kissen gestützt, mitten im Bilde. Links nähert sich Michael Angelo und beugt sich, um ihr einen Kuss
auf die Stirne zu drücken; im Hintergründe des Zimmers stehen mehrere Personen in undeutlicher
 
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