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Künstler-Gesellschaft Zürich [Hrsg.]
Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich — 51.1891

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I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.43110#0011
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I.

Wenn der Tod uns plötzlich einen lieben Freund entreisst, so wird es uns, als seinen Getreuen,
Bedurfniss sein, von dein zu sprechen, den wir soeben verloren haben. Es gewährt uns wehmüthigen
Trost, uns die verschiedenen Zustände seines irdischen Daseins, die Eigenschaften seines Charakters und
Herzens, sowie den Antlieil, den er in unsenn Leben eingenommen hat, in’s Gedächtnis» zurückzurufen.
Ist dieser Freund ein ausgezeichneter, in seinem Vaterlande allgemein beliebter Künstler, so hat Jedermann
das Recht zu verlangen, dass man Näheres über ihn berichte, dass man seinen Lebenslauf schildere und
nicht nur ein photographisches Porträt seines Aeussern, sondern auch ein getreues Abbild seines geistigen
und sittlichen Wesens liefere.
Diesen gerechten Anforderungen in dem uns vorliegenden Fall zu entsprechen, haben wir die Feder
zur Hand genommen, glücklich, die Lebensphasen eines so zuverlässigen, so mittheilsamen und so aner-
kannten Talentes schildern zu dürfen — einen Lebenslauf voller Arbeit und Ehre.

Louis Auguste Veillon starb zu Genf den 5. Januar 1890, im Alter von 5G Jahren, nach bloss
sechstägiger Krankheit, an Lungenentzündung, eine Folge jener fatalen „Influenza“, welche Alle, jung und
alt, ergriffen hatte und für Viele so verhängnissvoll werden sollte. Er war geboren am 29. Deceinber 1834
zu Bex im Waadtland, wo sein Vater den Beruf eines Notars ausübte. Die intellectuellen Hülfsmittel
seiner Heimatsgemeinde waren damals noch sehr bescheiden; darum wurde der junge Veillon 1845 nach
Lausanne verbracht, woselbst er in’s Collège eintrat.
Die Empfänglichkeit für die Schönheiten der Natur und das daraus hervorgehende Bediirfniss, sie
in sich aufzunehmen und wiederzugeben, scheint sich frühe in dem jungen Veillon geregt zu haben, denn
er ist einer der fleissigsten Schüler im Zeichnungsunterricht. Bald genügt ihm dieser nicht mehr, und er
benützt seine Mussestunden dazu, im Museum Arlaud Bilder zu copiren. Guignard, der Lausanner Maler,
welcher damals am Collège als Zeichnungslehrer wirkte, ist erstaunt und entzückt über seine Fortschritte ;
er interessirt sich für ihn, ermuthigt und fördert ihn, und sein Einfluss trägt wahrscheinlich einen Ilaupt-
antheil an der späteren Berufswahl Veillon’s.
Aber die Möglichkeit, Künstler zu werden, ist weit, himmelweit entfernt von den Absichten seines
Vaters, welcher ihn dem geistlichen Stande widmen möchte, und unser Freund, als ein gehorsamer Sohn,
tritt, alsbald in die theologische Facultät ein. Er beginnt seine Studien, thut seine Schuldigkeit und folgt
den Cursen voll Eifer. Aber während ihn die theologische Wissenschaft zur Erkenntniss des Unsichtbaren
hinleitet, gehört seine Begeisterung und sein Herz den sichtbaren Wunderwerken der Schöpfung.
In jener herrlichen Gegend, wo die Stadt Lausanne ihre Häuser, Villenjund Gärten nach allen Rich-
tungen etagenförmig ausbreitet, befand Veillon sich voll und ganz in seinem Ideal. Dort im Osten die
 
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