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Für den Karlsteiner Cyklus der Ludmilalegende steht kein so reiches Vergleichsmaterial zur Verfügung wie für
die Wenzelslegende. Die Welislawbibel verquickt noch die Darstellungen beider Legenden, kennt den Götzendienst, die
Taufe und den Tod Boriwojs, die Kirchenbauten Spitihniews, die Wahl Wratislaws zum Herzoge, den Bau der Georgs-
kirche, die Entsendung des heil. Wenzel nach Budec und schaltet die Ausschickung der Mörder und die Erdrosselung
Ludmilas nach der Scene des Traubensammelns ganz nach der Behandlung und Reihenfolge der Begebenheiten in der
Passio s. Uendezlavi ein. Damit begnügte man sich nicht mehr bei der Ausschmückung des Karlsteiner Treppenhauses,
das beiden in so nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander stehenden Landesheiligen gewidmet wurde. Hier
begegnet ein selbständiger Cyklus der Ludmilalegende neben der Wenzelslegende, wofür nur die Wiener Hs. Nr. 370 ein
Gegenstück bietet; die in letzterer erhaltenen Bilder beginnen auf Bl. 44' und schließen auf Bl. 48. Boriwojs Heirat mit
Ludmila (Bl. 44', L), der Götzendienst und die Taufe beider (Bl. 45, L), die drei Söhne und die drei Töchter des Ehe-
paares sowie Boriwojs Tod (Bl. 44', II.), Spitihniew als Herrscher (Bl. 45, II.)J Ludmila befiehlt dem Kaplane Messe zu
lesen und empfängt den Leib des Herrn (Bl. 46', II. und III.), Bewaffnete erbrechen die Thore (Bl. 47, III.) und die
Erdrosselung der heil. Ludmila mit dem Halstuche (Bl. 47', I. und II.) bieten Berührungspunkte mit der Mehrzahl der
Karlsteiner Darstellungen. Durfte man mit gutem Grunde annehmen, dass zwischen den Wenzelsbildern des Karlsteiner
Treppenhauses und der Wiener Hs. Nr. 370 Wechselbeziehungen bestanden und die Anordnung der einen mit jener der
andern irgendwie innig zusammenhieng, so wird es geradezu selbstverständlich, dass auch die Ludmilacyklen beider Denk-
male zueinander in nahem Verhältnisse stehen müssen. Wie aber bei der Wenzelslegende gerade im Karlsteiner Treppen-
hause vereinzelt die Auffassung Dalimils in den Vordergrund trat und fast die Composition bestimmte, so klingt dieselbe
nicht nur in der Reihenfolge der Scenen (Gastmahl Swatopluks, Taufe Boriwojs und Kirchenbau), sondern auch in der
Bildanordnung der Ludmilalegendedarstellungen durch. Das Sitzen Boriwojs vor dem Tische auf der Erde entspricht
Dalimils Angabe:')
Der konig tet im ein schentlich dink,
er hies en mit gutin wiszin
hinder den tisch vf dy erdin siczin.
Ähnlich verhält es sich mit den Kirchenbauten, deren Dalimil also gedenkt:2)

Er bawet ouch gotis huser.
Grecz dy erste kirchin stift er
dy andern kirchin vnsir frawin vil hern

vbir Präge by dem tor
czu hant an dem wege dovor.

Der Ludmilacyklus des Karlsteiner Treppenhauses, der im Vergleiche zur Welislawbibel mit ihren verstreuten, zur
Ludmilalegende gehörigen Scenen sich als ein abgeschlossenes, selbständiges Ganzes darstellt, hängt mit jenem der
Wiener Hs. Nr. 370 und mit Dalimils Darstellung, beziehungsweise der jüngeren Legendenfassung innig zusammen. In
diesem Zusammenhänge stimmt er überein mit dem Karlsteiner Wenzelscyklus, der auch so manches von den ausführlichen
Darstellungen der Wiener Hs. Nr. 370 beiseite ließ. War eine den letzteren entsprechende Zusammenstellung das vom
Kaiser dem Künstler empfohlene Vorbild und Karls Behandlung der Wenzelslegende von Dalimil beeinflusst, dann muss
man wohl eine eben solche Grundlage mit ähnlicher Abhängigkeit verschiedener Einzelheiten von Dalimil auf die Einfluss-
nahme Karls IV. selbst zurückführen, welche die Anordnung der Cyklen aus der Wenzels- und der Ludmilalegende im
Anschlüsse an die litterarischen und künstlerischen Quellen des Zeitalters bestimmte.
Die Wandgemälde der Wenzels- und Ludmilalegende im Karlsteiner Treppenhause nehmen in Böhmens Kunst-
geschichte in mehrfacher Hinsicht eine hervorragende Stellung ein. Sie vermehren zunächst die Cyklen der Karlsteiner
Wandbilder um zwei theilweise noch ziemlich erhaltene Bilderfolgen, zeigen die monumentale Wandmalerei in inniger Fühlung
mit der Buchmalerei, deren Darstellungsformen beim Vergleiche mit älteren oder gleichzeitigen Cyklen erweitert, beziehungs-
weise auf das für Wandmalereizwecke Verwendbare beschränkt erscheinen, und verknüpfen große Aufgaben der Malerei
mit der im Zeitalter Karls IV. neubelebten Verehrung der beiden Landespatrone, welche der Zug des damals überaus
gesteigerten Heiligen- und Reliquiencultus strenger zu scheiden und in geschlossenen Cyklen zu behandeln begann. Legen-
dentext und Legendenillustration führten dem Künstler die von Karl IV. selbst hervorgehobenen Anhaltspunkte für die
Reihenfolge und Anordnung der Gemälde zu, die in dem Anschauungskreise der karolinischen Zeit wurzeln. Ihr Umfang
wird zu einem Maßstabe für die Beurtheilung des Könnens jener Periode, welche, wie die Apokalypsedarstellungen der
Marienkirche und das verlorene Doppelwunder mit der Nicolausreliquie bestätigen, der monumentalen Wandmalerei würdige
und große Aufträge zuzuwenden verstand und offenbar die Ausführung geschlossener Cyklen förderte. Das persönliche
Interesse Karls IV. war bei der Wahl des Stoffes maßgebend. Hatte er dasselbe schon bei der Darstellung des mit seiner
Person verknüpften Doppelwunders von 1353, bei den Hinweisen auf seine Reliquienerwerbungen, bei der Anordnung
seines Bildnisses und jenes seiner Gemahlin sowie bei dem Cyklus der seiner Vorliebe für theologische Fragen besonders

i) Dalimili Bohemiae chronicon a. a. O. S. 48. — 2) Ebendas. S. 49.

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