Vergleicht man die eben mitgetheilten Inschriften, welche den Vorwurf jeder einzelnen Darstellung mit wenigen
Worten meist erschöpfend charakterisieren, mit den Karlsteiner Wandbildern, so ergibt sich eine gewiss nicht zu unter-
schätzende Übereinstimmung. Das Behacken des zur Aussaat bestimmten Bodens, das Auswerfen des Samens, das Schnei-
den des Getreides mit der Sichel, das Ausdreschen und Mahlen, das Behacken der Reben, das Sammeln der Trauben und
das Weinpressen halten die gleiche Reihenfolge ein. Das Hostienbacken und das Überbringen des Weines und der Ho-
stien (Taf. XXVIII, Abb. II u. III) weicht zwar von der Anordnung der Karlsteiner Bilder in der Aufeinanderfolge ab, schließt
sich aber wenigstens an die Getreide- und Weinbauscenen unmittelbar an. Auch in Karlstein steht dem Weinpressen und
Hostienüberbringen das Todtenbegraben nahe, welchem hier wie in der Wiener Hs. Wenzel in, beziehungsweise vor
einer Kirche betend folgt. Wenige Scenen später begegnet das Holztragen und die Misshandlung des Heiligen im Walde.
An das gemeinsame Mahl der Brüder, das Herbeitragen der Speisen zu demselben, das Knien des Heiligen vor der Kirche
und den Schwerthieb Boleslaws gegen des Bruders Haupt reiht sich das Sterben des heil. Wenzel bei der Kirchenthüre,
worauf die Beisetzung des Heiligen den auch in der Welislawbibel festgehaltenen Schluss markiert. Eine so enge
Berührung des Karlsteiner und des Wiener Cyklus dürfte kaum zufällig sein. Sie lässt annehmen, dass der für die
Wenzelslegende überaus interessierte kaiserliche Bauherr offenbar nicht nur verschiedene Textbearbeitungen, sondern auch
verschiedene Illustrationsfolgen dieses Stoffes kannte und bestimmte Darstellungen derselben sowie ihre Reihenfolge dem
mit der Ausführung betrauten Maler als orientirende Anhaltspunkte näher bezeichnete. War schon nach den oben erläu-
terten Annäherungen an die Scenen der Welislawbibel der Schluss vollauf berechtigt, dass der Cyklus der letzteren gewisse
Einzelheiten der Karlsteiner Wenzelsbilder beeinflusst haben müsse, so lässt sich noch viel weniger die aus der eben
mitgetheilten Übereinstimmung nothwendige Folgerung bestreiten, dass ein Cyklus von Wenzelslegendeillustrationen in der
Art der Wiener Hs. Nr. 370 dem Meister der Karlsteiner Treppenhausmalereien bekannt, ja augenscheinlich als Vorbild
empfohlen war, welches ihm das Zurechtfinden in den durch den Eegendenstoff bedingten Darstellungen erleichtern sollte.
Wie die Ausführung der Karlsteiner Bilder zeigt, wurden durch die Bezugnahme auf eine solche Quelle dem
Künstler durchaus nicht die Hände gebunden. Wo es ihm passend erschien, hielt er die Trennung der Momente, z. B.
beim Getreide- oder beim Weinbaue fest; wo die Darstellung durch Vereinigung des sonst getrennt Behandelten gewinnen
konnte, vereinigte er dasselbe zu einem einzigen Bilde. So fasste er die drei gesonderten Scenen des Empfanges des heil.
Wenzel am Kaiserhofe (Taf. XXVIII, Abb. I.) in eine geschlossene Composition zusammen, die nicht minder in der Zufüh-
rung des heil. Wenzel durch zwei Engel als in der Dreizahl der auf der Bank sitzenden Fürsten Züge der Vorlage festhält,
aber gleichzeitig durch Weglassung des Reichsapfels und des Scepters in den beweglicher gewordenen Händen des Kaisers
an Lebendigkeit und Ausdruck gewinnt. Das Herbeibringen der Speisen bezog er zwar gleich in das gemeinsame Tafeln
der Brüder ein, blieb jedoch selbst mit der seitlichen Anordnung des Speisenträgers trotz des Ineinanderarbeitens der Motive
bei einer gewissen Scheidung der Gestalt von dem Hauptvorgange, welche in der Wiener Hs. Nr. 370 noch vollständig
durchgeführt ist. In den Scenen des Holzspendens an Witwen, des Holztragens und der Misshandlung des heil. Wenzel
im Walde huldigte der Meister wieder dem Grundsätze einer Vereinigung durch Anordnung eines gemeinsamen Hintergrundes
für die nach Art der Wiener Hs. Nr. 370 noch getrennten Scenen. Gegen die Welislawbibel erweitern die Wiener Hs.
Nr. 370 und der Karlsteiner Cyklus den Getreide- und Weinbau übereinstimmend durch das Bearbeiten des Ackerlandes
und des Weinberges mit der Hacke; mit ihr verlegen beide das Hostienbacken neben einen Ofen und drücken dem Her-
zoge zu dieser Arbeit die gleiche Oblatenform in die Hand. Der Künstler der Karlsteiner Bilder distinguierte bald die
einzelnen Momente der durch die Wenzelslegende überlieferten Begebenheiten nach allen Stadien der Entwicklung, bald
sammelte er wieder die zerstreuten Strahlen der Erzählung im Brennpunkte eines Compositionsgedankens. Einmal haftete
er an dem Boden einer bestimmten Überlieferung mit einer jeden Schritt ab wägenden Ängstlichkeit, das anderemal verwob
er die dort gesondert gebliebenen Fäden mit genau und fein berechnendem Griffe zur künstlerisch wirksameren Einheit,
welche aber eine Beziehung zur ursprünglichen Getrenntheit der Motive immer wieder durchschimmern ließ.
Es kann nicht Zweck der vorliegenden Untersuchung sein, auch noch den übrigen Theil der zahlreichen Wenzels-
legendeillustrationen in der Wiener Hs. Nr. 370 eingehender zu erörtern1) und hierorts erschöpfend bezüglich des Verhält-
nisses zum Cyklus der Prager Wenzelskapelle und der Welislawbibel zu behandeln. Jünger als letztere zeigt die Wiener
Hs. Nr. 370 in dem Empfange und Verweilen Wenzels am Kaiserhofe (Bl. 35' und 36) wie die Sammlung der Wandbilder-
copien aus der Wenzelskapelle in den Blättern 17 bis 20 eine größere Anzahl selbständiger Scenen, steht gerade damit
schon auf dem Standpunkte der Dalimilauffassung, welche der Cyklus der Welislawbibel noch nicht kennt, und behandelt die
mit dem letztgenannten noch verbundenen Darstellungen der Ludmilalegende in einem selbständigen Cyklus. Eine Zusammen-
stellung von Illustrationen zur Wenzelslegende von der Art der genannten Wiener Hs. muss dem Kaiser Karl IV. bekannt
und für die Ausführung der Karlsteiner Wandmalereien herangezogen worden sein, welchem Sachverhalte das Alter des
dem 14. Jahrhunderte angehörenden Denkmales durchaus nicht entgegensteht. Dass die zahlreichen Darstellungen, welche
auf die Berufung Wenzels zur Herrschaft, seine ersten Regierungsmaßnahmen, die Bedrängnis des Christenthums in Böh-
men durch Drahomira, die Erwerbung der Reliquien des heil. Veit und den Bau der Veitskirche Bezug nehmen, nicht her-
angezogen wurden, beruhte wohl auf der Beschränktheit der räumlichen Verhältnisse des Karlsteiner Treppenhauses, in
welchem auch noch ein Cyklus der Ludmilalegende untergebracht werden sollte.
L) Herr k. u. k. Scriptor Mencfk der Hofbibliothek in Wien gedenkt dieselben ausführlichst zu bearbeiten.
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Worten meist erschöpfend charakterisieren, mit den Karlsteiner Wandbildern, so ergibt sich eine gewiss nicht zu unter-
schätzende Übereinstimmung. Das Behacken des zur Aussaat bestimmten Bodens, das Auswerfen des Samens, das Schnei-
den des Getreides mit der Sichel, das Ausdreschen und Mahlen, das Behacken der Reben, das Sammeln der Trauben und
das Weinpressen halten die gleiche Reihenfolge ein. Das Hostienbacken und das Überbringen des Weines und der Ho-
stien (Taf. XXVIII, Abb. II u. III) weicht zwar von der Anordnung der Karlsteiner Bilder in der Aufeinanderfolge ab, schließt
sich aber wenigstens an die Getreide- und Weinbauscenen unmittelbar an. Auch in Karlstein steht dem Weinpressen und
Hostienüberbringen das Todtenbegraben nahe, welchem hier wie in der Wiener Hs. Wenzel in, beziehungsweise vor
einer Kirche betend folgt. Wenige Scenen später begegnet das Holztragen und die Misshandlung des Heiligen im Walde.
An das gemeinsame Mahl der Brüder, das Herbeitragen der Speisen zu demselben, das Knien des Heiligen vor der Kirche
und den Schwerthieb Boleslaws gegen des Bruders Haupt reiht sich das Sterben des heil. Wenzel bei der Kirchenthüre,
worauf die Beisetzung des Heiligen den auch in der Welislawbibel festgehaltenen Schluss markiert. Eine so enge
Berührung des Karlsteiner und des Wiener Cyklus dürfte kaum zufällig sein. Sie lässt annehmen, dass der für die
Wenzelslegende überaus interessierte kaiserliche Bauherr offenbar nicht nur verschiedene Textbearbeitungen, sondern auch
verschiedene Illustrationsfolgen dieses Stoffes kannte und bestimmte Darstellungen derselben sowie ihre Reihenfolge dem
mit der Ausführung betrauten Maler als orientirende Anhaltspunkte näher bezeichnete. War schon nach den oben erläu-
terten Annäherungen an die Scenen der Welislawbibel der Schluss vollauf berechtigt, dass der Cyklus der letzteren gewisse
Einzelheiten der Karlsteiner Wenzelsbilder beeinflusst haben müsse, so lässt sich noch viel weniger die aus der eben
mitgetheilten Übereinstimmung nothwendige Folgerung bestreiten, dass ein Cyklus von Wenzelslegendeillustrationen in der
Art der Wiener Hs. Nr. 370 dem Meister der Karlsteiner Treppenhausmalereien bekannt, ja augenscheinlich als Vorbild
empfohlen war, welches ihm das Zurechtfinden in den durch den Eegendenstoff bedingten Darstellungen erleichtern sollte.
Wie die Ausführung der Karlsteiner Bilder zeigt, wurden durch die Bezugnahme auf eine solche Quelle dem
Künstler durchaus nicht die Hände gebunden. Wo es ihm passend erschien, hielt er die Trennung der Momente, z. B.
beim Getreide- oder beim Weinbaue fest; wo die Darstellung durch Vereinigung des sonst getrennt Behandelten gewinnen
konnte, vereinigte er dasselbe zu einem einzigen Bilde. So fasste er die drei gesonderten Scenen des Empfanges des heil.
Wenzel am Kaiserhofe (Taf. XXVIII, Abb. I.) in eine geschlossene Composition zusammen, die nicht minder in der Zufüh-
rung des heil. Wenzel durch zwei Engel als in der Dreizahl der auf der Bank sitzenden Fürsten Züge der Vorlage festhält,
aber gleichzeitig durch Weglassung des Reichsapfels und des Scepters in den beweglicher gewordenen Händen des Kaisers
an Lebendigkeit und Ausdruck gewinnt. Das Herbeibringen der Speisen bezog er zwar gleich in das gemeinsame Tafeln
der Brüder ein, blieb jedoch selbst mit der seitlichen Anordnung des Speisenträgers trotz des Ineinanderarbeitens der Motive
bei einer gewissen Scheidung der Gestalt von dem Hauptvorgange, welche in der Wiener Hs. Nr. 370 noch vollständig
durchgeführt ist. In den Scenen des Holzspendens an Witwen, des Holztragens und der Misshandlung des heil. Wenzel
im Walde huldigte der Meister wieder dem Grundsätze einer Vereinigung durch Anordnung eines gemeinsamen Hintergrundes
für die nach Art der Wiener Hs. Nr. 370 noch getrennten Scenen. Gegen die Welislawbibel erweitern die Wiener Hs.
Nr. 370 und der Karlsteiner Cyklus den Getreide- und Weinbau übereinstimmend durch das Bearbeiten des Ackerlandes
und des Weinberges mit der Hacke; mit ihr verlegen beide das Hostienbacken neben einen Ofen und drücken dem Her-
zoge zu dieser Arbeit die gleiche Oblatenform in die Hand. Der Künstler der Karlsteiner Bilder distinguierte bald die
einzelnen Momente der durch die Wenzelslegende überlieferten Begebenheiten nach allen Stadien der Entwicklung, bald
sammelte er wieder die zerstreuten Strahlen der Erzählung im Brennpunkte eines Compositionsgedankens. Einmal haftete
er an dem Boden einer bestimmten Überlieferung mit einer jeden Schritt ab wägenden Ängstlichkeit, das anderemal verwob
er die dort gesondert gebliebenen Fäden mit genau und fein berechnendem Griffe zur künstlerisch wirksameren Einheit,
welche aber eine Beziehung zur ursprünglichen Getrenntheit der Motive immer wieder durchschimmern ließ.
Es kann nicht Zweck der vorliegenden Untersuchung sein, auch noch den übrigen Theil der zahlreichen Wenzels-
legendeillustrationen in der Wiener Hs. Nr. 370 eingehender zu erörtern1) und hierorts erschöpfend bezüglich des Verhält-
nisses zum Cyklus der Prager Wenzelskapelle und der Welislawbibel zu behandeln. Jünger als letztere zeigt die Wiener
Hs. Nr. 370 in dem Empfange und Verweilen Wenzels am Kaiserhofe (Bl. 35' und 36) wie die Sammlung der Wandbilder-
copien aus der Wenzelskapelle in den Blättern 17 bis 20 eine größere Anzahl selbständiger Scenen, steht gerade damit
schon auf dem Standpunkte der Dalimilauffassung, welche der Cyklus der Welislawbibel noch nicht kennt, und behandelt die
mit dem letztgenannten noch verbundenen Darstellungen der Ludmilalegende in einem selbständigen Cyklus. Eine Zusammen-
stellung von Illustrationen zur Wenzelslegende von der Art der genannten Wiener Hs. muss dem Kaiser Karl IV. bekannt
und für die Ausführung der Karlsteiner Wandmalereien herangezogen worden sein, welchem Sachverhalte das Alter des
dem 14. Jahrhunderte angehörenden Denkmales durchaus nicht entgegensteht. Dass die zahlreichen Darstellungen, welche
auf die Berufung Wenzels zur Herrschaft, seine ersten Regierungsmaßnahmen, die Bedrängnis des Christenthums in Böh-
men durch Drahomira, die Erwerbung der Reliquien des heil. Veit und den Bau der Veitskirche Bezug nehmen, nicht her-
angezogen wurden, beruhte wohl auf der Beschränktheit der räumlichen Verhältnisse des Karlsteiner Treppenhauses, in
welchem auch noch ein Cyklus der Ludmilalegende untergebracht werden sollte.
L) Herr k. u. k. Scriptor Mencfk der Hofbibliothek in Wien gedenkt dieselben ausführlichst zu bearbeiten.
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