KRIMINALISIERUNG UND BEKÄMPFUNG RITTERLICHER GEWALT
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versucht die Autorin, »die Hypothese vom Raubrittertum als Dekadenzerscheinung
des spätmittelalterlichen Niederadels an den Quellen zu überprüfen und erforderlichen-
falls zu modifizieren«9. Diese Arbeit veranlaßte mich, die eigene Fragestellung in Richtung
einer historischen Kriminologie zuzuspitzen, denn Görner beschreibt zwar alle Fälle
von »Raubrittertum« neutral als »Erscheinungsform privater Gewalttätigkeit«, doch fällt
es ihr schwer, diese unter einen Begriff wie »kriminelles Verhalten« zu subsumieren10.
Dabei spricht sie hinsichtlich der Fehde von »Wandlungen im Bereich der kollektiven
Mentalitäten, die zur Kriminalisierung von Tatbeständen führten, die vorher durchaus
akzeptiert waren«11. Auch zum Verhältnis der Städte zum Niederadel, auf das sie nur am
Rande eingeht, bemerkt sie, daß die Städte »offenbar nach Möglichkeit mit den Übel-
tätern kurzen Prozeß gemacht« haben, daß beispielsweise Dortmund »jeden gewalt-
samen Angriff auf einen Bürger zum kriminellen Delikt stempelte«12. Mit Blick auf die
sich entwickelnden Territorialstaaten vertritt Görner die These, daß sich die allmähliche
Kriminalisierung privater Gewaltausübung in einer Übergangsweise vollzog, »an deren
Abschluß die Ausbildung moderner Staatlichkeit stand«13.
Ich komme zum Problem der Quellen: Auch hier haben die beiden eben behandelten
Untersuchungen meine eigene Methode in ganz unterschiedlicher Weise beeinflußt.
Während Regina Görner ausdrücklich betont, wegen der zu erwartenden Parteilichkeit
auf die Heranziehung erzählender Quellen, wie etwa der Stadtchroniken, möglichst ver-
zichten zu wollen14, bin ich an dieser Stelle dem Weg Radbruchs und Gwinners gefolgt.
Für sie kamen im Sinne einer historischen Kriminologie die normativen Quellen nur be-
dingt in Frage. Im Gegenteil waren es die Stadt- und Familienchroniken, auch Autobio-
graphien, wirklichkeitsnahe Dichtungen oder bildkünstlerische Darstellungen, denen sie
eine wesentlich größere Bedeutung zuschrieben15. Diese im Vergleich zu Görner andere
Perspektive, konkret gesagt: die Konzentration auf die Überlieferung städtischer Prove-
nienz, bei der bewußt in Kauf genommen wird, daß die Sichtweise der adligen Gegenpar-
tei zu kurz kommt, ermöglicht es mir, zu der Frage nach dem Definitionsprozeß ritter-
licher Kriminalität überzuleiten.
II
Die Kriminalisierung ritterlicher Gewalt muß meines Erachtens als wesentliches Ele-
ment einer tendenziellen Verbürgerlichung der spätmittelalterlichen Gesellschaft begrif-
fen werden. Bei diesem allgemeinen Orientierungswechsel, dem Wandel der bis dahin
geltenden Wertmaßstäbe, sorgten die beharrenden Kräfte des Adels, dessen verständ-
licher Wunsch, die eigenen überkommenen Prinzipien und Normen, mithin die alte Le-
benswelt zu bewahren, nicht zuletzt zu einer Konkurrenz in den Vorstellungen über
9 Görner (wie Anm. 8) S. 14.
10 Görner (wie Anm. 8) S. 173 und 274.
11 Görner (wie Anm. 8) S. 237.
12 Görner (wie Anm. 8) S. 252 und 267.
13 Görner (wie Anm. 8) S. 237.
14 Görner (wie Anm. 8) S. 18 und 173.
15 Radbruch/Gwinner (wie Anm. 4) S. 9.
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versucht die Autorin, »die Hypothese vom Raubrittertum als Dekadenzerscheinung
des spätmittelalterlichen Niederadels an den Quellen zu überprüfen und erforderlichen-
falls zu modifizieren«9. Diese Arbeit veranlaßte mich, die eigene Fragestellung in Richtung
einer historischen Kriminologie zuzuspitzen, denn Görner beschreibt zwar alle Fälle
von »Raubrittertum« neutral als »Erscheinungsform privater Gewalttätigkeit«, doch fällt
es ihr schwer, diese unter einen Begriff wie »kriminelles Verhalten« zu subsumieren10.
Dabei spricht sie hinsichtlich der Fehde von »Wandlungen im Bereich der kollektiven
Mentalitäten, die zur Kriminalisierung von Tatbeständen führten, die vorher durchaus
akzeptiert waren«11. Auch zum Verhältnis der Städte zum Niederadel, auf das sie nur am
Rande eingeht, bemerkt sie, daß die Städte »offenbar nach Möglichkeit mit den Übel-
tätern kurzen Prozeß gemacht« haben, daß beispielsweise Dortmund »jeden gewalt-
samen Angriff auf einen Bürger zum kriminellen Delikt stempelte«12. Mit Blick auf die
sich entwickelnden Territorialstaaten vertritt Görner die These, daß sich die allmähliche
Kriminalisierung privater Gewaltausübung in einer Übergangsweise vollzog, »an deren
Abschluß die Ausbildung moderner Staatlichkeit stand«13.
Ich komme zum Problem der Quellen: Auch hier haben die beiden eben behandelten
Untersuchungen meine eigene Methode in ganz unterschiedlicher Weise beeinflußt.
Während Regina Görner ausdrücklich betont, wegen der zu erwartenden Parteilichkeit
auf die Heranziehung erzählender Quellen, wie etwa der Stadtchroniken, möglichst ver-
zichten zu wollen14, bin ich an dieser Stelle dem Weg Radbruchs und Gwinners gefolgt.
Für sie kamen im Sinne einer historischen Kriminologie die normativen Quellen nur be-
dingt in Frage. Im Gegenteil waren es die Stadt- und Familienchroniken, auch Autobio-
graphien, wirklichkeitsnahe Dichtungen oder bildkünstlerische Darstellungen, denen sie
eine wesentlich größere Bedeutung zuschrieben15. Diese im Vergleich zu Görner andere
Perspektive, konkret gesagt: die Konzentration auf die Überlieferung städtischer Prove-
nienz, bei der bewußt in Kauf genommen wird, daß die Sichtweise der adligen Gegenpar-
tei zu kurz kommt, ermöglicht es mir, zu der Frage nach dem Definitionsprozeß ritter-
licher Kriminalität überzuleiten.
II
Die Kriminalisierung ritterlicher Gewalt muß meines Erachtens als wesentliches Ele-
ment einer tendenziellen Verbürgerlichung der spätmittelalterlichen Gesellschaft begrif-
fen werden. Bei diesem allgemeinen Orientierungswechsel, dem Wandel der bis dahin
geltenden Wertmaßstäbe, sorgten die beharrenden Kräfte des Adels, dessen verständ-
licher Wunsch, die eigenen überkommenen Prinzipien und Normen, mithin die alte Le-
benswelt zu bewahren, nicht zuletzt zu einer Konkurrenz in den Vorstellungen über
9 Görner (wie Anm. 8) S. 14.
10 Görner (wie Anm. 8) S. 173 und 274.
11 Görner (wie Anm. 8) S. 237.
12 Görner (wie Anm. 8) S. 252 und 267.
13 Görner (wie Anm. 8) S. 237.
14 Görner (wie Anm. 8) S. 18 und 173.
15 Radbruch/Gwinner (wie Anm. 4) S. 9.