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BALDUNG UND DÜRER I503-I508
Starr sind die Augen gezeichnet. Doch geht der Blick durch Spiegel und Betrachter hindurch. Abstand
hält auch der festgeschlossene Mund. Nicht minder klare Form prägt steil und herb Nase und Kinn. Hals,
Kiefer und Wangen werden auf der Schattenseite von fast brutalen Federkonturen begrenzt. Die Spar-
samkeit der Innenzeichnung bei Kopf und Hals kontrastiert mit der Malerei der Pelzhaube: sehr stofflich
und reich, dabei doch ornamental gestaltet.
Auf graugrünem Grund sind mit schwarzer Feder Umrisse und Schatten gesetzt. Rosa zeichnet die
Feder die feinen Lichter des Inkarnats. Mit dem Pinsel dagegen ist das Weiß der Augäpfel und vor
allem der Pelzkappe gemalt. Der Pastellklang von Mattgrün und Rosa steht in glänzender Spannung zu
der harten Unbedingtheit des schwarz gezeichneten Gerüstes. Hier wird ein angeborenes Formraffinement
sichtbar, wenn auch, etwa in der starren Pupillen- und Lidkonturierung, sich noch Anfängerhaftes verrät.
Auch ohne die Brücke von späteren Selbstbildnissen her kann man hier auf ein Selbstporträt schließen.
Der Spiegelblick ist da, das Nicht-Ermüdete des Modells und die Intensität der Anteilnahme des Künst-
lers vom ersten bis zum letzten Strich. Vor allem aber spürt man das Einmalige und Überraschende, das
Selbstbildnissen großer Meister oft genug eigen ist und die gewohnten Stilzüge von Zeit und Ort durch-
bricht. Dürers berühmte Zeichnung in Erlangen von 1492/93 ist ein anderes Beispiel dafür6.
Von Dürer ist schon im Technischen kaum etwas zu spüren. Die derben Schwarzkonturen, die Pinsel-
malerei der Kappe, die unsystematischen rosa Lichter verleugnen ihn, auch wenn bei Dürer die grüne
Grundtönung in jenen Jahren vorkommt. Vor allem aber ist dieser Porträttypus Dürer fremd. Er entfaltet
sich eben 1503 mit besonderer Intensität zum Bildniszeichner7, schafft in einer ganzen Reihe von Blättern
Ausdrucksbilder von unerhörter Lebendigkeit, von stärkstem mimischem und psychologischem Gehalt,
vor allem mit Silberstift und Kohle oder Kreide, schmiegsamen Materiahen zum Erfassen des Individuel-
len im Momentanen. Die Linien schwingen in einem welligen Rhythmus höchster Beweglichkeit.
Baidungs Baseler Selbstbildnis erscheint neben diesen Dürerköpfen wie das Zeugnis einer älteren Welt.
Es ist grundkonservativ dagegen, und das Quattrocento klingt nach.
Das Blatt wird seit langem um 1504 datiert und als Selbstbildnis eines Zwanzigjährigen angesehen.
Doch die für 1504 gesicherten Baldungblätter gewähren - es sind keine Köpfe darunter - doch nur recht
lockere Anhaltspunkte8. Vor allem aber zeigen die seit 1503 sonst entstehenden Zeichnungen sich ganz
und gar von Dürers Vorbild durchdrungen. Und auch zwei Profilköpfe um 1505 sind lange Dürer selbst
zugeschrieben worden, so sehr folgen sie ihm9. Sollte Baidung gerade nur hier sich so ganz emanzipiert
haben? Und warum ignoriert er Dürers höchst modernen Porträtzeichnungsstil?
Aus diesen Gründen ist die Frage erlaubt, ob das Baseler Blatt nicht schon vor Nürnberg entstanden
sein könnte. Damit würde nach unserer Meinung auch das Alter des Dargestellten - mit etwa 17-18 Jahren
- eher zu vereinbaren sein. Der Sebastians-Altar von 1507 zeigt mit Sicherheit den Zwei-, höchstens
Dreiundzwanzigjährigen, und zwar als fertigen jungen Mann von Lebenswissen, sicher und willensstark,
frühreif für sein Alter (Farbtaf. VI). Nur drei Jahre früher aber wäre nach der bisherigen Ansicht der
Baseler Kopf gezeichnet. Er wirkt fast knabenhaft dagegen, dabei doch auch wieder frühreif. Man könnte
sich ihn gut aus Anlaß der Freisprechung zwischen Lehr- und Wanderzeit geschaffen denken.
In jedem Fall aber verrät diese Zeichnung am meisten von Baidungs künstlerischer Herkunft. Neben der
schon kraftvoll durchschlagenden Eigenart läßt sie ahnen, was er bei seinem ersten unbekannten Lehrer,
dem eigentlichen Lehrmeister, erworben hat. Und da bestätigt sich die übliche Annahme, daß es sich um
einen damals schon älteren Künstler gehandelt haben dürfte, der nicht viel jünger als Martin Schongauer
BALDUNG UND DÜRER I503-I508
Starr sind die Augen gezeichnet. Doch geht der Blick durch Spiegel und Betrachter hindurch. Abstand
hält auch der festgeschlossene Mund. Nicht minder klare Form prägt steil und herb Nase und Kinn. Hals,
Kiefer und Wangen werden auf der Schattenseite von fast brutalen Federkonturen begrenzt. Die Spar-
samkeit der Innenzeichnung bei Kopf und Hals kontrastiert mit der Malerei der Pelzhaube: sehr stofflich
und reich, dabei doch ornamental gestaltet.
Auf graugrünem Grund sind mit schwarzer Feder Umrisse und Schatten gesetzt. Rosa zeichnet die
Feder die feinen Lichter des Inkarnats. Mit dem Pinsel dagegen ist das Weiß der Augäpfel und vor
allem der Pelzkappe gemalt. Der Pastellklang von Mattgrün und Rosa steht in glänzender Spannung zu
der harten Unbedingtheit des schwarz gezeichneten Gerüstes. Hier wird ein angeborenes Formraffinement
sichtbar, wenn auch, etwa in der starren Pupillen- und Lidkonturierung, sich noch Anfängerhaftes verrät.
Auch ohne die Brücke von späteren Selbstbildnissen her kann man hier auf ein Selbstporträt schließen.
Der Spiegelblick ist da, das Nicht-Ermüdete des Modells und die Intensität der Anteilnahme des Künst-
lers vom ersten bis zum letzten Strich. Vor allem aber spürt man das Einmalige und Überraschende, das
Selbstbildnissen großer Meister oft genug eigen ist und die gewohnten Stilzüge von Zeit und Ort durch-
bricht. Dürers berühmte Zeichnung in Erlangen von 1492/93 ist ein anderes Beispiel dafür6.
Von Dürer ist schon im Technischen kaum etwas zu spüren. Die derben Schwarzkonturen, die Pinsel-
malerei der Kappe, die unsystematischen rosa Lichter verleugnen ihn, auch wenn bei Dürer die grüne
Grundtönung in jenen Jahren vorkommt. Vor allem aber ist dieser Porträttypus Dürer fremd. Er entfaltet
sich eben 1503 mit besonderer Intensität zum Bildniszeichner7, schafft in einer ganzen Reihe von Blättern
Ausdrucksbilder von unerhörter Lebendigkeit, von stärkstem mimischem und psychologischem Gehalt,
vor allem mit Silberstift und Kohle oder Kreide, schmiegsamen Materiahen zum Erfassen des Individuel-
len im Momentanen. Die Linien schwingen in einem welligen Rhythmus höchster Beweglichkeit.
Baidungs Baseler Selbstbildnis erscheint neben diesen Dürerköpfen wie das Zeugnis einer älteren Welt.
Es ist grundkonservativ dagegen, und das Quattrocento klingt nach.
Das Blatt wird seit langem um 1504 datiert und als Selbstbildnis eines Zwanzigjährigen angesehen.
Doch die für 1504 gesicherten Baldungblätter gewähren - es sind keine Köpfe darunter - doch nur recht
lockere Anhaltspunkte8. Vor allem aber zeigen die seit 1503 sonst entstehenden Zeichnungen sich ganz
und gar von Dürers Vorbild durchdrungen. Und auch zwei Profilköpfe um 1505 sind lange Dürer selbst
zugeschrieben worden, so sehr folgen sie ihm9. Sollte Baidung gerade nur hier sich so ganz emanzipiert
haben? Und warum ignoriert er Dürers höchst modernen Porträtzeichnungsstil?
Aus diesen Gründen ist die Frage erlaubt, ob das Baseler Blatt nicht schon vor Nürnberg entstanden
sein könnte. Damit würde nach unserer Meinung auch das Alter des Dargestellten - mit etwa 17-18 Jahren
- eher zu vereinbaren sein. Der Sebastians-Altar von 1507 zeigt mit Sicherheit den Zwei-, höchstens
Dreiundzwanzigjährigen, und zwar als fertigen jungen Mann von Lebenswissen, sicher und willensstark,
frühreif für sein Alter (Farbtaf. VI). Nur drei Jahre früher aber wäre nach der bisherigen Ansicht der
Baseler Kopf gezeichnet. Er wirkt fast knabenhaft dagegen, dabei doch auch wieder frühreif. Man könnte
sich ihn gut aus Anlaß der Freisprechung zwischen Lehr- und Wanderzeit geschaffen denken.
In jedem Fall aber verrät diese Zeichnung am meisten von Baidungs künstlerischer Herkunft. Neben der
schon kraftvoll durchschlagenden Eigenart läßt sie ahnen, was er bei seinem ersten unbekannten Lehrer,
dem eigentlichen Lehrmeister, erworben hat. Und da bestätigt sich die übliche Annahme, daß es sich um
einen damals schon älteren Künstler gehandelt haben dürfte, der nicht viel jünger als Martin Schongauer