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DIE JAHRE I5O7 UND I50S

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Der seltsame Kupferstich mit dem > Bärtigen Altem (Abb. 95) wurde schon von C. Koch tmd dem
Karlsruher Katalog treffend um 1508 datiert165. Er setzt Baidungs Stecherstil des >Ungleichen Liebespaars<
von 1507 fort, wobei sich das Malerische der Strichbehandlung verstärkt, im Gehalt das Anekdotische
zunimmt. Eine sichere Deutung fehlt. Doch kann wohl ausgeschlossen werden, daß es sich um ein Hei-
ligenthema handelt. Ein Sittenbild also, und ein durchaus burlesker Einfall, den Alten wieder durch ein
Fenster sehen zu lassen, freilich diesmal von innen heraus. Ist es ein gefangener wilder Mann oder ein
richtiges Genremotiv, etwa der Blick durch ein Badehausfenster? Ein Idealkopf war das keinesfalls, so
sehr er von dem Paulustypus abgeleitet scheint. Die Züge sind nicht adelig, eher schrullig, der Körper
zeigt Altersverfall und -häßlichkeit mit unverkennbarer Absicht; das tief hegende Auge und den Hänge-
schnurrbart merken wir besonders an.

Dies ist der erste von den kauzigen Altmännerköpfen, die in dieser Phase auch bei Baidung - wie bei
Dürer - ein besonderes Interesse finden. Die zwei folgenden Holzschnitte geben Zeugnis davon.

Der Paulus-Holzschnitt (Abb. 1x7) aus der großen Baldung-Serie muß wieder 1508 entstanden
sein166. Das Pariser Liebespaar-Gemälde wie der Kupferstich mit dem bärtigen Alten erweisen sich nah
verwandt. Wieder ein burlesker Greisenkopf mit dem tiefhegenden Auge, dem Hängeschnurrbart - zu-
gleich aber mit dem ’Fischmund* des Pariser Reiters (Abb. 22); wieder dessen stämmiges, kurzköpfiges
Pferd mit dem Rundkurvenschweif, mit dem Wiederklang seiner Bewegung in der Berglandschaft. Im
ganzen sind auch sonst die genrehaften Züge betont, in den zu Boden gefallenen Requisiten wie in der
Tracht des Paulus, mit dem eigentümlichen Lappenkragen, der wieder an das Reiter-Gemälde gemahnt.
Der Vergleich mit dem Martin-Holzschnitt (Abb. 110) der klassischen Phase von 1506 liegt nahe. Da fällt
vor allem die andere Holzschnitt -Technik auf, die ganz auf das Malerische hin stilisiert, aber die schöne
Plastizität der Pferdeformen des Martin-Blattes preisgibt. An der Bodenbehandlung, doch auch im Baum-
schlag zeigt sich derselbe Abstand. Roß und Reiter sind bei dem Paulus-Blatt aus dem Adelsmilieu des
Martin tief herabgesunken, fern allem Ritterlichen. Zugleich aber ist anstelle der klassischen Ruhe und
Gelassenheit ganz im Sinn des Pariser Reiterpaares wieder ein wogender Rhythmus von links nach rechts
zu spüren, durch Rundformen bestimmt bis in die bauchigen Wolken hinein. Das Sittenbildhafte be-
stimmt den Grundton.

Der Sebastians-Holzschnitt (Abb. 118) ist dem Paulus nahe verwandt167. Er wirkt wie eine Kor-
rektur von Baidungs Hallenser Sebastians-Altar (Abb. 7) von 1507. Wieder wird das soziale Milieu ge-
senkt. Der Bogenschütze - schon die Reduktion auf eine einzige Schützenfigur ist bezeichnend - trägt
auch hier genrehafte Züge: in der Gewandung, wie im Antlitz, bei dem zum drittenmal der Fischmund,
zum drittenmal auch der Hängeschnurrbart wiederkehrt. Wie bei dem Paulus tendiert das Geschehen von
links nach rechts schräg aus der Tiefe heraus. Bei dem Akt des Sebastian ist alles Gewinkelte, Marionetten-
hafte im Vergleich mit dem Altarbild geschwunden. Die Bewegung vollzieht sich natürhcher und wei-
cher, das Antlitz ist breiter geworden und ausdrucksvoll im Sinne des Geschehens. Genrehafte Züge sind
bei ihm in der Art spürbar, wie die Schnur locker um die Hand gebunden ist oder wie die Baumwurzeln
um die Füße spielen.

Die kompositionelle Anordnung des Sebastians-Holzschnitts findet sich bei einer der Großgründ-
lacher Scheiben mit dem >Abschied Joachims von Anna< (Abb. 63) wieder168. Für diesen - im
übrigen verlorenen - Joachim-Anna-Zyklus aus dem Bestand des Karmelitenkreuzgangs ist das Datum
1508 auch aus äußeren Gründen sicher169. Die Raumdisposition wie die Richtung des Geschehens ent-
 
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