Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
44

BALDUNG UND DÜRER I503-I508

Die Frankfurter Geburt-Zeichnung (K 23) rückt von der Nürnberger Zeit vielleicht etwas stärker
ab als der Coburger Scheibenriß. Sie verrät in manchem Erinnerung an Schongauer: im Marientypus
nicht nur, mit seinem zierlichen Mädchengesicht, sondern auch in der Art der Raumbühne, die an Wich-
tigkeit gewinnt. Durch Staffelung und Überschneidung ist das Geschehen aus der Tiefe auf den Beschauer
zu entwickelt mit starkem Diagonalakzent von rechts oben gegen links unten, der zugleich die Raum-
bewegung markiert. Dieselbe Anordnung von rechts nach hnks und dieselbe Schräge als flächen- und
tiefenbestimmende Richtung herrscht bei der Pariser >Epiphanie< (K21). Auch hier markieren die drei
Könige Raumschritte gegen vorne, auch hier ist in ihren Motiven eine Erinnerung an Schongauer mit
solchen an die eigene Epiphanie-Tafel Baidungs von 1507 verbunden.

Ähnlich - und wieder von rechts nach links, was die Hauptaktion betrifft, ist das kleine Wiener Ge-
mälde mit > Schönheit und Tod< (oder den drei Lebensaltern mit dem Tod, Abb. 20) komponiert. Und
wieder, wie bei den Zeichnungen, herrscht die zarte und zierliche Proportionierung. Zu der Frankfurter
Maria der >Geburt< bildet die junge Schönheit ein Gegenstück, auch was den Schnitt des Gesichts mit der
kurzen Nase und den hochgezogenen Brauen angeht.

Die datierten Arbeiten von 1510 - neben den schon erwähnten Gemälden von >Geburt< und >Epi-
phanie< (Basel und Dessau) zwei Zeichnungen in Rennes und Hamburg, der >hl. Sebastian< (K 24)
und >Eva im Paradies< (K 25) sowie der Hexen-Holzschnitt - zeigen einen sehr wesentlich ge-
wandelten Stil. Man kann ihn monumental repräsentativ und frontalisierend bezeichnen. Die Figuren ge-
winnen Gewicht und Größe, das Räumliche tritt wieder zurück zugunsten der Flächenordnung, und be-
zeichnend ist, daß die Bewegung von rechts nach hnks gedämpft oder aufgehoben wird zugunsten ge-
lassener Auswägung der Gestaltengruppe bzw. der Einzelfiguren im Gleichgewicht. Diesen Weg markie-
ren die Änderungen zwischen Pariser Epiphanie-Zeichnung und Dessauer Gemälde: die Kontraktion der
Gestaltengruppe ist unverkennbar. Bei der Geburts-Tafel in Basel hat sich Baidung gegenüber der Frank-
furter Zeichnung zu einer ganz neuen Konzeption entschlossen, um das gleiche Ziel zu erreichen; indem
er die kniende Maria umkehrt und die Krippe zwischen sie und den Joseph ordnet, gewinnt er das Flächen-
gleichgewicht. Zugleich läßt die Baseler Muttergottes gegenüber jener in Frankfurt das neue Menschen-
ideal deutlich werden: nichts Mädchenhaftes mehr, nichts Zierliches, sondern Würde und Haltung einer
Frau. Analog dazu steht die Patriarchengestalt des Baseler Joseph. Alle Schongauer-Erinnerungen sind
wieder ausgelöscht. Zumindest was die Figurenfülle und die beherrschende Rolle der Gestaltengröße in
der Bildfläche anlangt, kommt Baidung damit den Werken von 1508 - der Joachim-Scheibe, dem

> Pariser Reiterpaar< oder dem Sebastians-Holzschnitt - wieder näher, als am Beginn der Straßburger Zeit,
um 1509.

Auch bei Dürer ist, ungeachtet der Trennung der beiden, eine ähnliche Wandlung zu erkennen,
worauf wenigstens hingedeutet sei. Er erreicht mit den Ergänzungsholzschnitten zu >Marienleben< und

> Großer Passion< den monumentalen Stil, der in den Holzschnitten mit Enthauptung Johannes des
Täufers< (1510) und dem schon 1511 datierten Gegenstück der >Herodias mit dem Haupt des Johannes<
kulminiert182. Innerhalb der >Kleinen Passion< ist der Weg von 1509 (>Kreuztragung<) zu 1510 (Wertrei-
bung aus dem Paradiest, >Adam und Eva im Paradies< mit der datierten Vorzeichnung in Wien, W 470)
zu verfolgen183.
 
Annotationen