ZUR GESCHICHTLICHEN STELLUNG DER WERKE
73
gegenüber von geringerem Interesse“. Zum andern: Die Einführung des Schattens wird als ’Sündenfall‘
der Glasmalerei ausgelegt, der ihren Tod im ausgehenden Mittelalter zur Folge habe, oder, nach H. Sedl-
mayr399, 'sobald aber das Glasbild nach dem Vorgang der Wand- und Tafelmalerei zur Modellierung der
Körper übergeht, wird diese große Kunst sterben: denn der Schatten ist der Lichtwelt dieser Bilder
wesensfremd und löst ihren Zauber unwiderbringlich auf“.
Wir können uns den Urteilen H. Wentzels und H. Sedlmayrs, die hier für viele ganz analoge stehen,
nicht anschließen, bedeuten sie doch, wörtlich genommen, eine generelle Abwertung der Glasmalerei
vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und drücken einem noch zur Dürerzeit reichen und blühenden Kunst-
zweig den Stempel des Verfalls auf. H. Sedlmayr400 ist offenbar neuerdings selbst im Begriff, seine An-
schauung zu modifizieren.
Die Trennung von Entwerfer und Glasmaler führte nicht notwendigerweise einen Niedergang der
Glasmalerei herbei. Es hieße die Einfühlungsgabe der großen Vorzeichner - Dürers, Baidungs, Hans
Holbeins d. Ä. und anderer Meister - allzu gering einschätzen, wollte man ihre Arbeiten für die Glas-
malerei von vornherein als dafür minder geeignet ansehen; für sie war diese Gattung noch lebendig genug,
nicht bereits zum bloßen Kunstgewerbe abgesunken; sie bewiesen ihre Anpassungsfähigkeit ja doch auch
bei der Druckgraphik, die niemand nur deswegen als Kunst 'zweiter Wahl“ betrachtet, weil gewöhnlich
ein Formschneider zwischen Erfindung und Ausführung steht401. Alle Entwürfe und Entwurfsstadien
gipfeln im fertigen Glasgemälde, darin liegen Zweck und Sinn sämtlicher Bemühungen des Glasmalers
wie des Malers und Vorzeichners beschlossen. Von der Glasmalerei her gesehen kann nur die Vollkom-
menheit des ausgeführten Fensters Wertmaßstab sein; erst für uns heute hat der Entwurf, der Karton-hier
genau wie im Falle der Teppichwirkerei -, einen Eigenwert gewonnen. Die Personalunion von Reißer und
Glasmaler tritt bei der Frage nach der Qualität des ausgeführten Fensters durchaus in den Hintergrund.
Die Trennung von Glasmaler und Reißer stellt im übrigen nicht einmal ein unbedingtes Kriterium erst
der Dürerzeit dar. Bereits frühere Epochen dürften eine Arbeitsteilung gekannt haben402. Anderseits gibt
es auch noch um 1500 Meister, die zugleich Visierer und Glasmaler waren, wie Peter Hemmel in Straß-
burg403 und später Valentin Busch in Metz404.
Auch das zweite Argument, das in der modellierenden Schattengebung eine Gefahr für das Glas-
gemälde sieht, wird dem Phänomen in seiner geschichtlichen Vielfalt und Wandlungsfähigkeit nicht
gerecht. Schon die Glasgemälde des 13. Jahrhunderts zeigen in den Figuren eine gewisse Modellierung405.
Auch der Raum war da, sobald Baldachine die Fenster in Gehäuse aufgliederten406 : Wo sich aber Raum
weitet, ist auch der Körper, und wo Körper sind, da tritt Schatten auf. Die Ausbreitung des Schattens im
Glasbild unterhegt keinem gattungseigenen Gesetz, sondern ist eng mit der Entwicklung bei Wand- und
Tafelmalerei verflochten407. Auch dort dominieren zunächst Fläche und schattenfreie Lichthaftigkeit408.
Dem Weg des Freskos von Reichenau-Oberzell zu Raphaels Stanzen entspricht in der Glasmalerei, grob
gesprochen, der von den Prophetenfenstern des Augsburger Domes zu den Schöpfungen des Guglielmo
de Marcillat im Dom zu Arezzo409. Eine ganzheithche Betrachtung der Glasmalerei im Rahmen der Ge-
schichte der Malerei hat diese Parallelität längst erwiesen410, nur wurden offenbar bestimmte Konsequen-
zen daraus noch nicht entschieden genug gezogen411.
Weder die Einführung des Schattens und damit des Körpers, noch die Gewinnung des Raumes haben
der Glasmalerei Abbruch getan. Sonst wären die großartigen Leistungen des 15. Jahrhunderts schlechter-
dings unmöglich gewesen412. Trotz Schattengebung und Verräumlichung finden sich zu dieser Zeit keine
73
gegenüber von geringerem Interesse“. Zum andern: Die Einführung des Schattens wird als ’Sündenfall‘
der Glasmalerei ausgelegt, der ihren Tod im ausgehenden Mittelalter zur Folge habe, oder, nach H. Sedl-
mayr399, 'sobald aber das Glasbild nach dem Vorgang der Wand- und Tafelmalerei zur Modellierung der
Körper übergeht, wird diese große Kunst sterben: denn der Schatten ist der Lichtwelt dieser Bilder
wesensfremd und löst ihren Zauber unwiderbringlich auf“.
Wir können uns den Urteilen H. Wentzels und H. Sedlmayrs, die hier für viele ganz analoge stehen,
nicht anschließen, bedeuten sie doch, wörtlich genommen, eine generelle Abwertung der Glasmalerei
vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und drücken einem noch zur Dürerzeit reichen und blühenden Kunst-
zweig den Stempel des Verfalls auf. H. Sedlmayr400 ist offenbar neuerdings selbst im Begriff, seine An-
schauung zu modifizieren.
Die Trennung von Entwerfer und Glasmaler führte nicht notwendigerweise einen Niedergang der
Glasmalerei herbei. Es hieße die Einfühlungsgabe der großen Vorzeichner - Dürers, Baidungs, Hans
Holbeins d. Ä. und anderer Meister - allzu gering einschätzen, wollte man ihre Arbeiten für die Glas-
malerei von vornherein als dafür minder geeignet ansehen; für sie war diese Gattung noch lebendig genug,
nicht bereits zum bloßen Kunstgewerbe abgesunken; sie bewiesen ihre Anpassungsfähigkeit ja doch auch
bei der Druckgraphik, die niemand nur deswegen als Kunst 'zweiter Wahl“ betrachtet, weil gewöhnlich
ein Formschneider zwischen Erfindung und Ausführung steht401. Alle Entwürfe und Entwurfsstadien
gipfeln im fertigen Glasgemälde, darin liegen Zweck und Sinn sämtlicher Bemühungen des Glasmalers
wie des Malers und Vorzeichners beschlossen. Von der Glasmalerei her gesehen kann nur die Vollkom-
menheit des ausgeführten Fensters Wertmaßstab sein; erst für uns heute hat der Entwurf, der Karton-hier
genau wie im Falle der Teppichwirkerei -, einen Eigenwert gewonnen. Die Personalunion von Reißer und
Glasmaler tritt bei der Frage nach der Qualität des ausgeführten Fensters durchaus in den Hintergrund.
Die Trennung von Glasmaler und Reißer stellt im übrigen nicht einmal ein unbedingtes Kriterium erst
der Dürerzeit dar. Bereits frühere Epochen dürften eine Arbeitsteilung gekannt haben402. Anderseits gibt
es auch noch um 1500 Meister, die zugleich Visierer und Glasmaler waren, wie Peter Hemmel in Straß-
burg403 und später Valentin Busch in Metz404.
Auch das zweite Argument, das in der modellierenden Schattengebung eine Gefahr für das Glas-
gemälde sieht, wird dem Phänomen in seiner geschichtlichen Vielfalt und Wandlungsfähigkeit nicht
gerecht. Schon die Glasgemälde des 13. Jahrhunderts zeigen in den Figuren eine gewisse Modellierung405.
Auch der Raum war da, sobald Baldachine die Fenster in Gehäuse aufgliederten406 : Wo sich aber Raum
weitet, ist auch der Körper, und wo Körper sind, da tritt Schatten auf. Die Ausbreitung des Schattens im
Glasbild unterhegt keinem gattungseigenen Gesetz, sondern ist eng mit der Entwicklung bei Wand- und
Tafelmalerei verflochten407. Auch dort dominieren zunächst Fläche und schattenfreie Lichthaftigkeit408.
Dem Weg des Freskos von Reichenau-Oberzell zu Raphaels Stanzen entspricht in der Glasmalerei, grob
gesprochen, der von den Prophetenfenstern des Augsburger Domes zu den Schöpfungen des Guglielmo
de Marcillat im Dom zu Arezzo409. Eine ganzheithche Betrachtung der Glasmalerei im Rahmen der Ge-
schichte der Malerei hat diese Parallelität längst erwiesen410, nur wurden offenbar bestimmte Konsequen-
zen daraus noch nicht entschieden genug gezogen411.
Weder die Einführung des Schattens und damit des Körpers, noch die Gewinnung des Raumes haben
der Glasmalerei Abbruch getan. Sonst wären die großartigen Leistungen des 15. Jahrhunderts schlechter-
dings unmöglich gewesen412. Trotz Schattengebung und Verräumlichung finden sich zu dieser Zeit keine