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Otto, Gertrud; Watzinger, Carl; Weise, Georg
Die Ulmer Plastik der Spätgotik — Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 7: Reutlingen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.31325#0049
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bei den Figuren des Hausener Altars eine Vorliebe für klar voneinander
getrennte, einfache, groß geschwungene Raffungsmotive, die sich in verhält-
nismäßig starker plastischer Ausprägung vom Grunde abheben. Bei stetem
Wechsel von Bicht und Schatten, Hebungen und Senkungen in ganz
präziser Rinienführung ist dem Körper genügend Spielraum gelassen, um
unter der Gewandung noch zur Geltung zu kommen.

In natürlichem Fall des Stoffes scheinen sich die Gewänder um den Körper
zu legen. Trotzdem unterliegen auch sie der formelliaften Behandlung und
Anordnung nach festen Werkstatt-Typen. Wir können eine zweite Schöpfung
des Meisters nachweisen, die diese Behauptung illustriert. In der Pfarr-
kirche zu Unterknöringen (B.A. Günzburg) stehen fünf lebensgroße
Figuren, eine Madonna (Abb. 39) und die Heiligen Barbara und Katharina
(Abb.^ou. 41), Nikolaus und Wolfgang (Abb. 42 u. 43), in denen man schon
wegen des Formates die Schreinfiguren des ehemaligen Hochaltars erblicken
darf 1. Von demselben Altar dürften die Fliigelgemälde herrühren, die jetztim
Augsburger Dom hängen und dem Ulmer Maler J örg Stocker zugeschrieben
werden 2. Führen uns schon die Malereien des ehemaligen Hochaltars von
Knöringen nach Ulm, so werden wir noch mehr durch die zugehörige Plastik
dorthin verwiesen. In den ftinf Figuren sind die nämlichen Typen zu er-
kennen, die der Altar von Hausen aufweist. Schon in der Kopfbildung treten
die Parallelen hervor. Das Eirund der beiden Madonnenköpfe, ihre hohe
Stirn, die schmalen Augen und der große Mund, bei den Bischöfen die
markanten, stark durchfurchten Gesichter und der verkniffene Zug um den
Mund bezeugen das gleiche Formempfinden; auch die Sicherheit im statua-
rischen Aufbau ist die nämliche. In der Gewandung gibt sich die gleiche
Vorliebe fiir großziigige gerundete Drapierungsmotive, fiir klare Fornien
und Betonung von Hebung und Senkung kund.

Zu dem Allgemeinen der Formgebung treten schlagende Gleichheiten im
Detail. Wir finden dieselben Werkstatt-Typen wiederholt. So entspricht die
hl. Barbara von Knöringen der Hausener Madonna. Die drei beherrschenden
Faltenschlingen mit der Spaltung an der oberen Ansatzstelle und mit der
Finschaltung von Zwischengliedern ist völlig identisch. Bis zu den kleinen,
wie zufällig erscheinenden Verzweigungen und Haken zwischen den Haupt-

1 Im Jahre 1484 wurden 5 Altäre in der Kirche zu Knöringen konsekriert, darunter der der Jungfrau
Maria geweihte Hochaltar (vgl. Steichele-Schröder, Das Bistum Augsburg V s1895] S. 341 fi.). Da
unsere fiinf Skulpturen stilistisch eng zusammengehören, da sie nach Zahl, Größe und Oualität zu den
bedeutenderen Altar-Schöpfungen zu rechnen sind, da sie ferner alle dieselbe Höhe haben und eine
Madonna sich unter ihnen befindet, kann es nicht zweifelhaft sein, daß all diese Bildwerke dem gleichen
und zwar dem Hochaltar angehören. Zwei weitere kleinere Heilige, die sich heute noch in Knöringen be-
finden, werden von einem der Nebenaltäre zuriickgeblieben sein. 2 Abb. bei Baum, Ulmer Kunst

(Stuttgart 1911) Tafel 40 u. 41. Die genannten Flügel wurden 1861 aus der Kirche von Knöringen
nach Augsburg verkauft. Auch bei ihnen spricht die Güte der Ausführung für die Zugehörigkeit zum
alten Hochaltar. Außerdem darf vielleicht aus der Tatsache, daß diese Malereien Szenen aus dem
Marienleben darstelien — Geburt Christi und Anbetung der Könige, Tod und Krönung Mariä —
darauf geschlossen werden, daß sie fiir den der J ungfrau geweihten Hauptaltar gefertigt worden, sind.

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