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Otto, Gertrud; Watzinger, Carl; Weise, Georg
Die Ulmer Plastik der Spätgotik — Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte, Band 7: Reutlingen, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.31325#0073
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Fassen wir zunächst die Möglichkeit einer Identifizierung des Blaubeurer
Meisters mit Michel Erhart ins Auge. Als gesicherte Arbeiten des Fetzteren
sind uns nur der Kruzifixus in Schwäbisch-Hall 1 vom Jahre 1494 und die
Fragmente des 1516 bis 1518 entstandenen ehemaligen Ölbergs vom Ulmer
Münster bekannt. Wegen der Begrenztheit des Vorwurfes eignen sich der
Kruzifixus von Schwäbisch-Hall, und wegen des beträchtlichenzeitlichenAb-
standes wie des schlechten Frhaltungszustandes die vom Ölberg stammenden
kleinen Prophetenfiguren 2 wenig zum Vergleich mit dem Blaubeurer Altar-
werk. Immerhin lassen die Ölbergfragmente erkennen, daß der Meister bis
zu seineni Ende in den Bahnen der Gotik verblieb. Eine klare Vorstellung
von der künstlerischen Eigenart des Michel Erhart läßt sich auf Grund jener
wenigen gesicherten Arbeiten nicht gewinnen. Zu dem Blaubeurer Idoch-
altar scheint sich mir von hier aus keine Briicke schlagen zu lassen 3.

Von anderen Voraussetzungen aus hat Weise 4 den Versuch gemacht, der
Persönlichkeit des Michel Erhart näher zu komrnen. Aus dem Ulmer Schaffen
der späteren Jahrzehnte des 15.Jahrhunderts sondert er eine Gruppe von
Bildwerken aus, die sich durch die Gemeinsamkeit bestimmter Werkstatt-
Traditionen verbunden zeigt, ohne daß es doch möglich wäre, alle jene
Arbeiten auf die Hand eines einzigen, deutlicher zu fassenden Künstlers zu
bringen. Die Griinde, die Weise veranlassen, jene Werkstatt mit Michel
Erhart zu identifizieren, brauchen hier nicht noch einnial wiederholt zu
werden. Bedeutsam für uns ist die Tatsache, daß diese Arbeiten ein Fort-
leben der von Multscher begründeten Stiltraditionen bis in das späte 15. Jahr-
hundert und andererseits einen ausgesprochenen Zusammenhaug mit den
friiheren Werken des Gregor Erhart erkennen lassen. Eine deutlich von dem
Schaffen der iibrigen Ulmer Werkstätten zu sondernde Entwicklungslinie
läßt sich von der Muttergottes des Sterzinger Hochaltars iiber die strenge
Madonna der Sammlung Örtel (Abb. 67) bis zu der späten Madonnenfigur
Gregor Erharts im Münchener Nationalmuseum verfolgen. Zwischen Mult-
scher und Gregor Erhart schieben sich nach Weise die Schöpfungen der von
ihm zusammengestellten Werkstatt ein. Die letztere mit dem Namen Michel
Erharts in Verbindung zu bringen, wie Weise vorschlägt, mag um so ver-
lockender erscheinen, als für Michel Erhart damit gleichzeitig ein Oeuvre
gewonnen wäre, das seiner urkundlich bezeugten Bedeutung einigermaßen
entspräche.

Eine gewisse Bestätigung erfährt die von Weise aufgestellte Hypothese
durch ein Altarwerk, das ihm noch unbekannt war und das uns gerade
durch seinen eklektischen Charakter lehrreiche Aufschliisse zu vermitteln

1 Abb. bei Baum, Ulmer Plastik, l'afel 35. 2 Abb. bei Baum a. a. O. Tafel 36. 3 Höchstens zwischen

einem der Propheten des Ulmer Ölbergs (vgl. Baum, Ulmer Plastik, Tafel 36 Nr. 1) und der noch ganz spät-

gotisch empfundenen hl. Scholastika in Blaubeuren ließe sich in Körpergefühl und Pormgebung eine gewisse
Ähnlichkeit feststellen. Zu weitgehenderen Schlüssen scheint mir diese nicht zu berechtigen. 4 Mittelalter-
liche Bildwerke des Kaiser Friedrich-Museums und ihre nächsten Verwandten (Reutlingen 1924) S. 117 sf.

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