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VIERTER TEIL: DIE MALER

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formen betont. Beweisend für die Richtigkeit dieser Behauptung erscheinen mir nicht so seht die
abgespreizten Daumen, die Heise hervorhob, die aber auch am Passionszyklus des Revaler Notke-
Altares (einer Gehilfenarbeit!) und selbst an Gemälden des Hermen Rode wiederkehren, sondern
mehr die außerordentlich kräftigen Formen dieser Hände (ihre dicken Finger und ihre knotigen
Fingergelenke!) und die auffallend raumhaltige Art ihrer Anordnung; diese Qualitäten zeichnen
die Hände des Totentanzes und der anderen erwähnten Werke vor den schwächlichen, dünn-
Rngrigen, flächig behandelten Händen auf den Gemälden der Notke-Gehilfen (Revaler Passion!)
und Hermen Rodes aus; sie sind wirklich unverkennbare Merkmale der ganz individuellen, von
einem kraftvollen Körpergefühl und von der sicheren Raumvorstellung eines genialen Bildhauers
bestimmten „Handschrift" Bernt Notkes (274).
ß. Die Übereinstimmung in der Auffassung der menschlichen Gestalt am Totentanz und an den
erwähnten anderen Gemälden: die statuarische Wucht, „die monumentale Haltung, die ausdrucks-
volle, aber schwerfällige Bewegtheit der Gestalten" (27$). In der Tat unterscheidet sich die ge-
wichtige Massigkeit der Totentanzhguren grundsätzlich von der schwerelosen Art der Figuren
aller anderen lübeckischen Malerwerkstätten der Zeit und selbst von der Art der Figuren der
Notke-Gehilfen (Aarhuser und Revaler Passionszyklen!); sie hat ihresgleichen nur an den von
Notke selbst gemalten besten Teilen des Aarhuser Hochaltares, am Lübecker Dreifaltigkeitsaltar
und vor allem an Notkes Skulpturen (wirkt sie doch gewiß nicht zufälligerweise so statuarisch!).
Zutreffend ist auch Heises Bemerkung über den Charakter der Bewegung. Angesichts des macht-
vollen, aber zähflüssigen Rhythmus der Totentanzfiguren fühlt man sich aufs deutlichste an die
Figuren der erwähnten Notke-Gemälde erinnert, noch mehr aber, wie ich wieder hinzufügen
möchte, an die notkeschen Skulpturen. Die verhaltene und doch so nachdrückliche Bewegtheit
der Totentanzmenschen erinnert insbesondere an die Gestalten des Revaler Phngstwundets oder
Abb. 57U.72 an den Hamburger Ansgar, und der entfesselte Schwung, die wahrhaft dämonische Leidenschaft-
lichkeit der Knochenmänner an die Drachen der notkeschen St. Jürgen-Figuren und an die Wap-
Abb. 76,99, penhalter der notkeschen Hutterock-Platte. Lediglich an Notkes Skulpturen findet sich denn auch
100, i2i ianeyPaR, der zeitgenössischen lübeckischen Kunst das Kunstmittel wieder, das im Totentanz diese
so gegensätzlich bewegten Menschen- und Todesgestalten zu einer Einheit verbindet, die rhyth-
mische Abwechslung zwischen Verhaltenheit und Entfesselung im Reigen, zwischen gemessenem,
frontal ausgerichtetem Einherschreiten und bacchantisch wildem Sichherumwirbeln und Sprin-
gen (276). Die Grundlage, auf der sich diese erstaunlich ausgereifte, kontrapostische Kompositions-
kunst allein wirksam zur Geltung bringen konnte, die höchst einfache, wunderbar übersichtliche
Anordnung der ganzen Figurenfolge, unterscheidet den Totentanz nicht minder von den über-
füllten, unklaren Kompositionen aller übrigen zeitgenössischen Maler Lübecks (auch der Notke-
Gehilfen: Passionen in Aarhus und Reval!) und verbindet ihn wieder ganz eindeutig mit den
Abb. 42-47 Gemälden Notkes, d. h. mit den Clemens- und Johannes-Darstellungen in Aarhus, mit dem
Abb.33,128& Lübecker Dreifaltigkeitsaltar und der Lübecker Gregors-Messe. Ganz notkesch scheint mir auch
der lebensgroße Maßstab der Totentanzfiguren zu sein; seine überraschende - so überzeugend
gemeisterte! - Monumentalität findet sich ebenfalls nicht bei den Notke-Gehilfen und in den
anderen lübeckischen Werkstätten (Rode!) wieder, sondern einzig und allein an den genannten
eigenhändig ausgeführten Gemälden Notkes. Nicht zuletzt spricht für Notkes Urheberschaft am
Totentanz noch, wie hier eingeschaltet werden mag, die Maltechnik. Der Totentanz ist als einziges
lübeckisches Gemälde der gotischen Epoche nicht auf Holz gemalt, sondern auf Leinewand. Wäre
2'4) Vgl. meine Bemerkungen über das Lübecker Vesperbild und den Lübecker Gnadenstuhl auf S. 47, 104.
375) Heise, Z. d. D. V. f. Kw. 1937, 194. 376) ygl. dazu S. 87.
 
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