Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Pathopsychologie — Leipzig und Berlin, 3.1914-1919

DOI issue:
Viertes Heft
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.2777#0518
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
512 Erich Stern

ebenso sehr stammt wie ans der eigentlichen Krankheit selbst. Das
wäre besonders der Fall bei zahlreichen nenrasthenischen and psycho-
pathischen Individuen; so, wenn eine Patientin schreibt: »Ich galt
in der Schale immer als eia kluges Mädchen und wurde auch jedes
Jahr versetzt. Leider habe ich keine starken Nerven gehabt und
das wurde immer schlimmer. Jetzt fühle ich mich ganz schwach
und möchte den ganzen Tag schlafen. Ich kann nichts tun, weil
ich sofort milde werde und einen Druck auf dem Kopf habe. Ich
bin zu- gar nichts nütze«. Wir finden darum auch sehr häufig, daß
gerade solche Krankheiten, welche die Leistungsfähigkeit herabsetzen,
das Selbstwertgefühl äußerst ungünstig beeinflussen. Das mag auch
seine Ursache darin haben, daß den Kranken zu Hause sehr oft Vor-
haltungen darüber gemacht werden, daß sie wenig arbeiten, daß ihre
Arbeit nicht exakt und gut ausgeführt werde.

Aber man maß annehmen, daß die Körperempfindungen auch
ohne auf dem Umwege über das Psychische auf das Selbstwert-
erleben einwirken. Die von dem gesunden Organismus ausgehenden
Empfindungen und Gefühle steigern das Lebensgefühl nnd wirken
so auch auf das Selbstwerterleben in positiver Eichtang. Anderer-
seits sind die vom kranken Organismus ausgehenden Gefühle and
Empfindungen durchaas nicht immer in der Richtung wirksam, daß
sie das Selbstwerterlebnis in negativer Richtung beeinflussen. Viel-
mehr ist bekannt, daß gerade bei schweren körperlichen Erkran-
kungen häufig eine Euphorie sich geltend macht, welche auch in der
Hinsicht wirkt, daß der Kranke eine Wertsteigerung seiner eigenen
Persönlichkeit erlebt, wie man das bei Lungenkranken, selbst im
letzten Stadium, noch findet. Aber auch von anderer Seite her kann
der gesunde Organismus negativ auf das Selbstwerterleben wirken.
Als Beispiel mag hier die Askese angeführt werden. Franziskus
von Assisi erlebte eine Selbstwertsteigerung, als sein Körper aus
zahlreichen, selbst beigebrachten Wunden blutete. Das Gefühl der
Krankheit und des Leidens, so viele Schmerzen es ihm auch be-
reitete, bildete für ihn doch ein Erlebnis, welches allerdings immer
im Hinblick auf einen anderen höheren Wert, seinen Selbstwert er-
höhte, ja das Leiden war für ihn eines der wichtigsten Mittel dazu.
Auch zahlreiche sexuelle Perversionen gehören hierher. Und auch
bei unseren Kranken finden wir bisweilen ein analoges Verhalten;
 
Annotationen