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unter den Schriftstellern ist, ist annähernd der Großindustrielle unter den gewerb-
lichen Produzenten. Aber hat man je einen solchen Herrn gesehen, der konsequent
und schroff Bestellungen billiger Schunderzeugnisse zurückgewiesen hätte? Und
täte er es doch, so wäre er sehr unklug, da die Konkurrenz keine Sekunde
Bedenken trägt, jeden Auftrag auszuführen, mit dem sich ein Geschäft machen
läßt. Nicht dem verhungernden Idealisten, sondern dem weitherzigen Realisten
wendet sich aber hier die Achtung des Publikums zu, das seinen kaufmännischen
Scharfblik bewundert. Bei bengalischer Beleuchtung zieht der kluge Geschäfts-
mann mit der wohlgefüllten Börse ab; was kümmert es ihn, daß zum Beispiel
der große englische Reformator William Morris in solchen Fällen geradezu von
„unrechtmäßigem Gewinn", ja „Betrug" spricht. Wie die Dinge heute liegen, ist
auch für absehbare Zeiten keine Änderung zu erwarten. Wir werden es gewiß
nicht erleben, daß sich internationale Branchensyndikate — und nur solche wären
hierfür kompetent — zu Beschlüssen aufraffen, die die Übernahme und Aus-
führung ästhetisch tadelnswerter Gegenstände als entehrend brandmarken.
Da wir nun auf die Produktion oder gar auf den Großhandel nur einen sehr
geringen direkten Einfluß auszuüben vermögen, müssen wir den indirekten Weg
einschlagen: das Publikum allmählich zur Geschmackskultur erziehen,
ihm den Sinn für ästhetische Qualitäten beizubringen trachten. Dies ist
auch bereits — in Deutschland systematischer als anderwärts — von den ver-
schiedensten Seiten in den verschiedensten Arten versucht worden, und zwar
gewiß nicht ohne Erfolg. Hier mögen nur einige dieser parallellaufenden Be-
strebungen erwähnt werden. Vom wirtschaftlichen Standpunkt verdient haupt-
sächlich der 18. Mai 1910 Hervorhebung, da beim evangelisch-sozialen Kongreß
in Chemnitz Männer wie Heinrich Her kn er, Friedrich Naumann und Adolf
Wagner treffliche, auch von der konfessionellen Verquickung losgelöst, gültige
Worte über die Hebung der Wirtschafts- und Sozialmoral, über Käuferbünde und
Käuferligen oder über den Wert der Qualitätsarbeit zu sagen wußten. Der
praktisch-ästhetische Gesichtspunkt wird vom Deutschen Werkbund vertreten,
der auch bereits beherzigenswerte Ratschläge in einem Büchlein, „Käuferregeln",
zusammengefaßt hat. — Von bahnbrechender Bedeutung ist vor allem das uner-
müdliche und furchtlose Auftreten der Zeitschrift „Kunstwart" und des mit dieser
zusammenhängenden „Dürerbundes"; wasF. Avenarius, Paul Schumann, Schultze-
Naumburg und andere seit vielen Jahren in rastloser Arbeit dazu beigetragen
haben, um dem Publikum den Unterschied zwischen guter und schlechter Kunst
möglichst populär vor Augen zu führen, hat vielfach Wunder gewirkt; gerade die
hier ausgebildete, pädagogisch so überaus dankbare Gegenüberstellung von
„Beispiel und Gegenbeispiel" — mag man auch in einzelnen Fällen mit
der Wahl der Objekte nicht ganz einverstanden gewesen sein — wurde für die
Weitesten Kreise (wie für die Heimatschutzvereinigungen) die Quelle reichster
Anregung und hat auch auf dem kunstgewerblichen Gebiete ungemein viel zur
Bekämpfung der „Hausgreuel" beigetragen. Wenn wir ferner die Namen tüch-
tiger Geschmackspioniere, wie R. Breuer, J. Buschmann, F. Deneken, A. von Gleichen-
Rußwurm, E. Jaffe, A. Lichtwark, K- E. Osthaus, P. Ree, E. Schur, Th. Volbehr,
nennen, so ist damit die Liste unserer derzeitigen literarischen Vorkämpfer für
die Verbreitung des guten Geschmackes zum Glücke noch lange nicht erschöpft;
auch Schriftsteller in der Art des H. Pudor, L. Hevesi (y) oder J. A. Lux haben
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