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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1865

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Nr.40 (2. Dezember)
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Nr. 40. Heidelberg, Samstag, den 2. Dezember

1865.

Die Thätigkeit der Kreisversammlungen.
Z Bruchsal, 27. Nov. Die Kreisversammlungen,
welche seit einigen Monaten das Interesse der ba-
dischen Staatsbürger in außergewöhnlicher Weise in
Anspruch nahmen, sind nun vorüber, und — beinahe
vergessen, ein Beweis, daß die rege Betheiligung
bei den Wahlen ihren Grund wo anders hatte, als
in der Begeisterung für das neue Institut. Wir
glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, die
Wahlen zu den Kreisversammlungen haben deßhalb
so großes Interesse erregt, weil die Katholiken sich
ein neues gesetzmäßiges Mittel geboten glaubten,
ihren Klagen über die durch die Schulreform ihrer
religiösen Ueberzeugung angethane Kränkung neuen
Ausdruck verleihen zu können. Das ist geschehen.
Allein über die Anträge, welche die Wiederherstel-
lung des durch die sog. Schulreform gestörten Land-
friedens bezweckten, ist man mit souveräner Ver-
achtung hinweggeschritten. Das ist uns nun freilich
nicht auffallend vorgekommen. Denn schon zu Du-
zenden von Malen belehrt, daß im liberalen Lager
die Majorität die Stelle des Rechtes vertrete, haben
wir jeden Schimmer von Hoffnung aufgegeben, sobald
wir von der Zusammensetzung der Kreisversamm-
lungen Kunde hatten. Was in dieser Beziehung aber
wirklich auffallend erscheint, ist der Umstand, daß
sogar die Karlsruher Zeitung, nach welcher sich doch
unseres Wissens die ministerielle Partei sonst zu
richten pflegte, nicht umhin gekonnt hat, der „N. Fr. Z."
nachzudrucken, daß die Knies'sche Richtung „Regier-
ung, Kammern und Volk im eigentlichen Sinne
schulkrank" gemacht habe, und daß die Consequen-
zen des halben Schulaufsichtsgesetzes, welche man
zog und zu ziehen beabsichtigte, den Schulbüreau-
kratismus in seiner aufgelegtesten Form entwickelten
und ahnen ließen, daß wir nach und nach in eine
Schultyrannei geratheil könnten, die nur mit brüs-
ker Polizeigewalt und niit Aufopferung unseres frei-
heitlichen Systemes durchgeführt werden mochte."
Wenn nun aber sogar das officielle Blatt bie Schul-
reform und ihre Consequenzen ganz so zu beur-
theilen gelernt hat, wie es die Conservativen und
Clericalen längst gethan haben, ei zum Kukuk, warum
in aller Welt haben denn die liberalen Herren in
den Kreisversammlungen nicht jene mehr als gerecht-
fertigten Anträge zur Wiederherstellung eines ge-

sunderen Zustandes unterstützt? Wollen sie denn,
daß die Regierung, die Kammern und das Volk
„schulkrank" bleiben? und daß „der Schulbüreau-
kratismus in seiner aufgelegtesten Form" das Schul-
elend des Volkes bis auf's Aeußerste treibe? Oder
haben sie beim Uebergang zur Tagesordnung noch
keine Ahnung davon gehabt, daß das Regierungs-
organ, vielleicht um die glänzende Degradirung
Kniesen's plausibel zu machen, „eine objectivere und
ruhigere Behandlung der Schulfrage" als nothwen-
dig bezeichnen werde? Wie gesagt, auffallend muß
Einem die Verwerfung jener wohlgemeinten und
sogar nach der Karlsruherin nothwendigen Anträge
der Clericalen immerhin erscheinen. Doch wie darf
man sich darüber wundern, da die Kreisverhand-
lungen des Auffallenden noch viel mehr geliefert
haben!
Männiglich hätte erwartet, daß man von liberaler
Seite aus bemüht sein werde, durch ächte Liberalität
dem neuen Institut beim Volke Credit zu verschaffen.
Was ist nun aber erfolgt? Ein kurzer Rückblick
auf die Kreisversammlungen läßt uns auf allen
Flanken die Erfahrung machen: während gerade die
Conservativen es waren, welche durch ihre ächt
liberalen Anträge den Verhandlungen Leben und
Interesse einhauchten, so waren es die Liberalen,
welche überall diese Anträge kraft des Machtwortes
„Majorität" im Keime erstickten. Was kann es z. B.
Gerechteres geben, als das Verlangen, der Eintritt
in die Wahlcommissionen solle nicht vom Steuer-
capital abhängig gemacht werden, da ja doch wahr-
haftig die Vertrauenswürdigkeit nicht da aufhört,
wo der Geldsack ein Ende hat! Haben ja gerade
die Liberalen den Antrag, die Abgeordneten möchten
aus Liebe zum Volk und von wegen der oft be-
theuerten Opferwilligkeit auf die Diäten verzichten,
dadurch zu entkräften gesucht, daß sie die Befürcht-
ung vorschützten, der Eintritt in die Kreisversamm-
lungen möchte ein Monopol der Reichen werden.
Dian hätte meinen sollen, die Liberalen hätten folge-
richtig einen Antrag billigen müssen, der geeignet
war, eine, mindestens gesagt, gesetzliche Härte ab-
zuschleifen und ein unbegründetes Vorrecht des Capi-
tals zu vernichten. Aber nein! Die Allmacht des
Geldbrotzenthums ist mehr werth, als die liberale
Abänderung eines unliberalen Paragraphen. Und
daß der Philister nicht irre werde, dafür ist schon
 
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