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„kaiserlose, schreckliche Zeit", in der jeder gegen jeden kämpfte und sich die Raub-
ritter überall breitmachten.

2. Neckarau zwischen dem Hochstift Worms und der Pfalzgrafschaft

2.1. Das Hochstift Worms

In diesem Kapitel geht es nicht in erster Linie um die geistliche Würde des Bischofs
und seinen kirchlichen Verwaltungsbezirk, den Sprengel oder die Diözese, sondern
um seine Stellung als geistlicher Reichsfürst und seine Bemühung, hierarchische
Macht in Herrschaft auszuformen, d. h. ein bischöfliches Territorium aufzubauen.2
Dieser für uns heute befremdliche und schwer nachvollziehbare Vorgang hat seinen
Grund darin, daß die antike Staatlichkeit in Gestalt des Römischen Reiches in den
Stürmen der Völkerwanderung untergegangen war, in der Form der Römischen Kir-
che hingegen überdauerte. Antike Herrschaftsformen wurden sozusagen sakrali-
siert. In den Jahrhunderten des frühen Mittelalters reicherte sich das päpstliche und
das bischöfliche Amt mit weltlichen Herrschaftsfunktionen an. Der Kirchenstaat als
Herrschaftsbereich des Papstes und die Territorien der geistlichen Reichsfürsten
sind das Ergebnis dieses Prozesses. Die Kirche war somit Lehrmeisterin der sich
langsam entwickelnden mittelalterlichen Staatlichkeit.

Dabei gab es innerhalb der Geistlichkeit heftige Konflikte, nicht nur zwischen den
Bischöfen untereinander um die Abgrenzung ihrer Sprengel, sondern auch zwischen
den Bischöfen und den großen Abteien. Die Äbte, die sich in der Regel auf den
Papst und den Kaiser stützen konnten, erhielten gegenüber allen Angehörigen der
Abtei bischöflichen Rang und damit die priesterliche Vollgewalt, im Außenverhält-
nis erlangten sie sehr bald - Lorsch schon acht Jahre nach seiner Gründung (772) -
die sogenannte Exemtion, d. h. sie wurden der bischöflichen Jurisdiktion entzogen
und direkt dem Papst und dem Kaiser unterstellt. Die Äbte waren damit den Bischö-
fen gleichgestellt. Gerade in der Karolingerzeit waren die großen Reichsabteien -
wie z.B. Lorsch und Prüm - im Vorteil, was die Effektivität der Verwaltung und des
Machterwerbs angeht.

In unserem Raum bestand darüber hinaus noch ein Abgrenzungs- und Rangkonflikt
zwischen dem Bischof von Worms und seinen Nachbarbischöfen in Mainz, Speyer
und später Würzburg über die Ausdehnung des Sprengeis sowie die Über- oder Un-
terordnung, d. h. ob Worms das Erzbistum und damit den Metropolitansitz erhalten
sollte oder Mainz. Durch Bonifatius fiel dieser bekanntlich an Mainz, obwohl
Worms in der ganzen Merowingerzeit eine bedeutendere Stellung als weltliches und
geistliches Zentrum hatte. Seit dem achten Jahrhundert war Worms zusammen mit
beinahe zwei Dutzend anderen Diözesen für über tausend Jahre Suffraganbistum
des Mainzer Erzbischofs. Ebenfalls durch das Wirken des heiligen Bonifatius wurde
741 der Ausdehnung der Wormser Diözese nach Osten über den Neckar hinaus in
das Bauland und das Maintal hinein durch die Errichtung des Bistums Würzburg ein
Riegel vorgeschoben. Im Süden gelang es dem benachbarten Speyer, Worms am
weiteren Ausgreifen in den Kraichgau und den mittleren Neckarraum hinein über
Wimpfen hinaus zu hindern.

Nachdem diese bischöflichen Rang- und Abgrenzungskonflikte spätestens im neun-
ten Jahrhundert mit der endgültigen Einteilung der Sprengel ausgetragen waren,
entstand dem Wormser Bischof in Sichtweite auf der rechten Rheinseite eine gewal-
tige Konkurrenz in der Abtei Lorsch die zudem von den Karolingern in höchstem
Maße begünstigt wurde. Durch das sich im zehnten Jahrhundert ausbildende Terri-

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