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E. Das hohe Mittelalter

Die vier frühen Neckarauer Urkunden, die zwischen 871 und 893 ausgestellt wur-
den, sind der Zahl nach gering, aber vom Inhalt her außerordentlich aufschlußreich.
Sie erlauben es uns, ein Bild des fränkischen Königs- und Prümer Klosterhofs Nek-
karau zu zeichnen, das sehr viel der frühmittelalterlichen Sozialstruktur und Wirt-
schaftsweise enthält und auch die Grundzüge der kirchlichen Entwicklung zeigt. Das
Bild des frühmittelalterlichen Neckarau ist somit sehr viel genauer als das anderer
Mannheimer Vororte, für die oftmals sehr viel zahlreichere Lorscher Urkunden vor-
liegen.

So erfreulich hell nun die Anfänge Neckaraus im Lichte der Geschichte liegen, so
dunkel wird es in den folgenden Jahrhunderten, genau in der Zeit zwischen 893 und
1212. Aus diesen mehr als drei Jahrhunderten haben wir keine Urkunde und keinen
Text, der sich ausführlich mit Neckarau beschäftigt, sondern nur einige zerstreute
und schwer deutbare Hinweise. Die Grundzüge der Entwicklung Neckaraus im
Hochmittelalter können also nur indirekt durch Fortschreibung des gesicherten Zu-
standes, durch vorsichtige Kombination der spärlichen Nachrichten und durch
Rückschlüsse dargestellt werden. Neben einem kurzen Überblick über die deutsche
Kaiserzeit ist dazu notwendig, das Hochstift Worms und die Pfalzgrafschaft bei
Rhein ins Auge zu fassen.

1. Überblick über die Deutsche Kaiserzeit (911-1254)

Die dreieinhalb Jahrhunderte zwischen dem Tod des letzten deutschen Karolingers
911 und dem Tod des Stauferkaisers Friedrichs IL 1250 nennt man Hochmittelalter
oder Deutsche Kaiserzeit.1 Drei Königsfamilien (Dynastien), die über die weibliche
Linie untereinander verwandt waren, lösten sich als Träger der deutschen Königs-
krone ab: die Ottonen, die Salier und die Staufer. Als im Jahr 911 Ludwig das Kind
starb, erlosch mit ihm die Linie der ostfränkischen Karolinger. Das einschneidende
Ereignis bei der Bestimmung der Nachfolge war nun, daß Ostfranken nicht mehr an
das noch von Karolingern regierte Westfranken fiel, sondern sich die deutschen
Stämme der Franken, Alemannen oder Schwaben, Sachsen, Thüringer und Baiern
gegenüber Westfranken als besondere Einheit empfanden und in dem Frankenher-
zog Konrad I. einen Nichtkarolinger zum König wählten. Nur die Herzogtümer
Ober- und Niederlothringen, die zwischen Burgund und der Nordsee lagen, erkann-
ten die Wahl Konrads I. nicht an, sondern gingen zum westfränkischen Reich über.
Nach dem frühen Tod Konrads I. (919) wählten die deutschen Stämme den mächti-
gen Sachsenherzog Heinrich I. (919-936) zum König. Damit bürgerte sich für
Deutschland schon sehr früh die Königswahl ein im Unterschied zu Westfranken
oder Frankreich, wo die salische Erbfolge galt, nach der die Krone im männlichen
Stamm über den jeweils ältesten Sohn bzw. den ältesten Bruder vererbt wurde.
Heinrich I. war der erste einer Reihe großer Herrscher, die die Macht des Deutschen
Reiches (Regnum teutonicorum) mehrten. 925 zwang er Lothringen, sich endgültig
an das Deutsche Reich anzuschließen. Sein Ansehen steigerte er durch seine Siege
über die Dänen und besonders über die Ungarn im Jahr 933. Sein Sohn Otto I. der
Große (936-973) sicherte die Vormachtstellung des deutschen Königtums im In-
nern gegen die unbotmäßigen Herzöge und nach außen durch den Erwerb Ober-
und Mittelitaliens (Reichsitalien) sowie den endgültigen Sieg gegen die Ungarn in
der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg 955. Dadurch zwang er die Ungarn zur
Beendigung ihrer Raubzüge, zur dauernden Ansiedlung im Donau-Theiß-Gebiet
und zur Annahme des Christentums. Infolge davon begann die Südost-Ausdehnung

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