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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

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Heft 1
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Hamann, Richard: Antike Plastik im Liebieghause zu Frankfurt a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0029

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Weiblicher Kopf mit Haube. Attisch. 5. Jahrhundert v. Chr. em hoch.

Antike Plastik im Liebieghause zu Frankfurt a. M.

einmal mit frischen Augen durch das
^ SHH Staedelsche Jnstitut gewandert ist, der wird
von dieser kostbaren Gemäldesammlung einen
so vollen und besriedigenden Eindruck mit-
genommen haben, wie von keiner der größeren, an
Schätzen reicheren Galerien Europas. Fast jedes Bild
ist von hervorragender O.ualität, alle Länder, Aeiten,
Schulen sind mit guten Beispielen vertreten. Das
restlos Besriedigende des Eindrucks resultiert aber in
erster Linie von der Kleinheit der Sammlung wie dem
handlichen Format der einzelnen Stücke. Iu diesen
Bildern handlichen Formates gewinnt man ein engeres
Verhältnis, vergleichbar dem eines Privatsammlers zu
seinem Eigentum. Iedes Stück sieht gepflegter aus als
in den großen Bilderscheunen der großen Sammlungen.
Stücke derselben Schule und Art machen sich nicht
gegenseitig Konkurrenz, jedes Bild ist nicht nur ein
Exemplar, sondern ein Spezimen, Vertreter und Beispiel
eines Stiles, und vor allem, die Sammlung prägt sich
der Vorstellung als ein Ganzes ein, ein köstlicher Schatz-
behalter, von dem man jedeö Stück kennt und an seineni
Platze weiß.

Jetzt verspricht daö neu eröffuete Skulpturen-Museum
im Liebieghause ein Gegenstück zu dieser Gemäldesamm-
lung zu werden, eine kleine aber gewählte Sammlung
von feinen und aparten Stücken, die die Entwicklung
der Plastik von ältester Ieit bis ins 18. Jahrhundert
demonstrieren. Auch hier sind die Stücke fast durchweg
handlichen Formates, von reizvoller Jntimität und in
ihrer beschränkten Zahl übersehbar und dem Gedächtnis sich
sest einprägend. Das ist bei plastischen Bildwerken um

so freudiger zu begrüßen, als jede Figur ein sehr viel
eigensinnigeres und eigenwilligeres Dasein sührt als ein
Gemälde. Es sehlt der Rabmen, der uns aus der
Realität heraushebt und in die Scheinwelt hineinführt,
es fehlt die Situation, mit der wir uns leichter ver-
traut machen als mit diesen Persönlichkeiten, in die sich
hincinzuleben und hincinzusühlen intensiverer Hingabe
bedars. Jn der Tat ist ja Skulptur die uns heute sehr
viel sremdere Kunst, obwohl sie durch ihre festere und
männlichere Art geradezu einen erziehlichen Wert vor
der Malerei voraus haben kann. Eine Sammlung aber
wie diese Frankfurter Glyptothek vermag den Sinn für
Plastik in besonderem Maße zu wecken, als sie uns
Ieit gönnt, vor jeder Figur Halt zu machen und ihr
eigentümlicheö Leben durchzuempfinden.

Erstaunlich und bewundernSwert ist es, wie in
kürzester Zeit diese reichhaltige, relativ vollständige Skulp-
turensammlung mit verhältnismäßig kleincn Mittcln von
Direktor Swarczenski zusammengebracht ist, und wie
unter den sast durchweg guten Stücken solche allerersten
Ranges sich befinden. Es gilt das selbst von der Antike,
von der man doch glauben möchte, daß „die Erde ver-
geben sei", und nur mit größten Opsern noch gute Er-
werbungen zu machen seien. Diese Sammlung belehrt
uns des Gegenteils. Jn ihrem Mittelpunkt steht ein
Werk, daö geeignet ist, die Ausmerksamkeit der ganzen
Welt aus diese Sammlung zu richten, die myronische
Athene, die Partnerin des seit langem bekannten Marsyas
des Myron. Diesen Marsyas, eine in heftiger Erregung
zurücksahrende Figur, hatte man als tanzenden Satyr
ergänzt, während man sich allmählich darüber klar wurde.

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