schudi in München.
Jn wenigen Wochen hat Geheimrat von Tschudi hier aus
der Alten Pinatothek sozusagen eine neue gemacht. Das ist
schon rein quantitativ eine erstaunliche Arbeitslcistung, die denn
auch den richtigen Münchner, soweit er davon Notiz nimmt,
fast unbehaglich berührt. So lange wurde in diesen heiligcn
Räumen nichts vom Fleck gerührt, wo es die Spinnen gut hatten
hintcr Rahmen und Leinwänden seit einem halben Jahrhundert
u»d länger. Awar restauriert wurde von Zeit zu Zeit irgend ein
kostbares Bild und meistens dann so radikal, daß man einigemal
bedcnklich den Kopf schüttelte. Um so ungewaschcner ließ man
dafür die übrigen. Sie wurden als noli ms tangors behandelt.
Und wie es immer geht, man war so an den Schmutz gewöhnt,
daß man ihn nicht mehr wahrnahm.
Nun erst, nach der gründlichen Wäsche, die Herr von Tschudi
veranstaltet, wird man sich bewußt, worans gefehlt hat und
welche Genüsse man so lang entbehren mußte. Noch in höherem
Grad aber tat eine andere Reform not, die allerdings nicht allein
mit Waffer und Seife zu bewerkstelligen war. Die Säle unserer
Alten Pinakothek haben wahre Turmhöhcn. Und turmhoch hingen
die Bilder übereinander. Nicht selten nach dem Grundsatz, daß
man das Gute nicht hoch genug — aufhängen kann. Tschudi
machte nun kurzen Prozeß, hing das Gute hcrunter, wo man cs
sehen kann, und das Geringe noch höher, nämlich, symbolisch
gesprochen, auf den Speicher. Sogar inehreren hundert Nummcrn
soll das passiert sein. Dennoch vermißt man kein einziges Bild.
Jm Gegenteil, man cntdeckt auf Schritt und Tritt neue. Sie
waren schon immer da, aber man hat sie «orher nicht gesehen.
So etwa im altdeutschen Saal die beidcn Altarstügel von
Michael Pacher. Jch möchte wiffen, wer von diesen vcrblllffend
großartigen (und großzügigen) Tafeln sagen könnte, daß er sic
zuvor gekannt hat. Und so ist nun endlich auch dem großen
Griinewald der Ehrenplatz eingeräumt, der ihm gebührt. Gerade
aus diescm Saal ist vielcs verschwunden. Wer wirds bedauern?
Kein Verständiger sichcrlich. Jn Manchem tuts dic Menge; in
der Kunst nicht. Und bei den früheren „hohen Negionen" war
doch nur zweierlei möglich, entweder es war einem schnuppe,
was da oben sich herumtrieb, oder man fühlte sich davon ge-
quält und beunruhigt. Nun kann einem fast kein Bild mehr
gleichgültig sein in dem ganzen Saal: ein unschätzbarer Gewinn
sowohl fllr den Genießenden wie den, der sich orientieren will.
Zugleich hat Tschudi die dunkle Wand in eine helle ver-
wandelt und damit das sehr mäßige Licht dieses Turmsaals, der
wie von eincr Kuppellaterne erleuchtet scheint, so weit als mög-
lich verstärkt. Überhaupt hat der neuc Mann beim Mangcl aus-
reichender Mittel oft durch einfaches Übcrüreichen der Tapete
wahre Wunder gewirkt. Die dunkelsten Niederländer hängcn
jetzt gegen helles Grün; man hätte kein wirksameres Mittel
ersinnen können.
Ganz erstaunlich hat Rubens gewonnen. Die zwei Haupt-
räume sind durch die glücklichste Verteilung dcr starken Akzente,
woran es vorher ganz und gar gefehlt hat, zu wahrhaftigen
Festsälen geworden, in denen uns nun, was vorher unartikuliert
und allzu ungestüm auf einen einstllrmte, mit ruhig grandioser
Wirkung entgegentritt, daß man nicht genug staunen kann, wie
ein fast lärmender Cindruck in cinen so eminent symphonischen
verwandelt werden konnte. Und den ehemals zu hart belichteten
und stimmungslosen (auch formlosen) Nebenraum zu Rubens
hat Tschudi durch halbe Zwischenwände in ansprcchende Kabinette
verwandelt, in denen nun die klcinen Prachtstücke, darunter aller-
wertvollste, zu intimem Genuß einladen und dic Eigenhandskizzen
zu den Marie-Mcdici-Bildern überhaupt zum crstenmal in ihrem
zarten Knospenzauber ganz empfunden werden können.
Cin recht ncues Gesicht macht auch der Venediger Saal.
Hier ist Titians Karl V. aus seiner Ccke herausgenommen und
auf den ersten Chrenplatz gestellt, dieses überwältigende Bildnis,
das ein vergangener Konservator — der auch an dcr Madonna
mit der Wickenblüte ein so schönes Unfehlbarkeitsbcwußtsein ge-
zeigt hat — immer als einen ganz und gar verdorbenen Schuukcn
und mit dem verächtlichsten Achselzucken abzutun beliebte. (Wil-
helm Trllbner war einmal bei einer solchcn Gelegenheit dabei.)
Dor allem abcr stößt man in diesem Saal auf zahlreiche, darunter
allerwichtigste, Neuheiten. Man steht da auf cinmal einer ganzen
Reihe Bilder von Tintorctto gegenübcr, der hier bis jetzt ganz
gefehlt hat. Zwar der sogenannte Gonzaga-Iyklus in acht
Stücken aus der Schleißheimer Galerie ist mehr eine Saal-
Dekoration ganz großen Stils als etwas anderes; aber schon die
Kreuzigung aus demselben Schleißheim hat andere Bedeutung,
und gar der Tintoretto aus Augsburg wird, obwohl vielleicht
ein Jugendbild des Meisters, seinen erfreulichsten Schöpfungen
zugezählt wcrden dürfen. Jhm nicht unebenbürtig ist cine andere
Crwerbung von Augsburg her, eine thronende Madonna, einst-
weilen dem Jakob Baffano zugeschneben.
Und damit ist denn ein weiterer Hauptpunkt in Tschudis
reformatorischer Tätigkcit berührt: die zweckmäßige Crgänzung der
Pinakothek aus ihrcn Filialen. Bis jetzt hats immer geheißcn:
an den Bestand der Schleißheimcr Galerie dürfe nicht gerührt
werden, und ein Unausgesprochenes schicn auf geheimnisvolle
höhere Mächtc zu deuten. Cs waren faule Ausreden oder Aus-
rcden der Faulheit. Tschudi kommt und holt sofort alles herein,
was ihm für den Aushau dcr Pinakothek nur immer wünschens-
wert scheint; so außcr den genannten Tintoretto einen Boucher,
,Ruhendes Mädchen", einen Lukas Cranach, „Kreuzigung", einen
Dürer (?), „Heiligc Familie", einen Georg von Marses, „Selbst-
bildnis", und vor allem den reitenden Olivarez, der abcr wohl
nicht mit Unrecht dem Belasquez neuerdings abgssprochen wird,
und den nun auch seine Cingefügthcit in die Wand nicht vor
der Auswanderung bewahrt hat, zum Glück. Denn so gern man
im Sommer n»ch dem schönen Schleißheim pilgert, mit solchen
Ausflügen wollte ein Galeriebesuch nie recht zusammengehen,
und war man dann gerade einmal willig, so war es die
Galerie wieder nicht, und man stand geärgert vor geschlossenen
Türen.
Nein, es ist kein Dortcil in der Zersplittertheit, nur zu Un-
kosten führt sie, und zu sammeln vermag allein das Gesammelte.
Natürlich, zum Sammelsurium darfs nicht werden. Daß aber
gerade dies in hohem Grade die Meinung des neuen Direktors
ist, davon, denke ich, sollen die vvrausgegangenen Zeilen über-
zeugt haben. Um so lebhafter werden wir seiner Tendenz der
Sammlung zustimmen. Von einer schädlichen und einscitigen
Zentralisation sind wir ja noch sehr weit entfernt.
Und wenn die Stadt Augshurg jetzt wegen der entführten
Bilder — außer den schon angeführten handelt es sich nm einen
dem Lionardo zugeschriebenen Mädchcnkopf — einen großen Lärm
macht, so ist das, mit Verlaub zu sagen, ein wenig Lärm um
nichts. Die Sachen waren dort so gut wie begraben. Ich kam
Lfter hin, ohne je eine lebcndige Seele in den vcrstaubten Näumen
anzutreffen, dcnn die „Fremden", nämlich was man so nennt,
sahen in Augsburg immer vor allem — Augsburg. Mit ver-
fchwindenden Ausnahmen suchte niemand in Augsburg Bilder.
Die Stadt ist das Bild, deffcn man sich dort in Bewunderung
erfreut. Und die Augsburger selber? Sie kommen jetzt hierher
und sehen sich in der Pinakothek an, was sie — es geht ja ein
wenia allen Leuten so — zu Haus in ihrer eigenen Stadt nic
angesehen hatten. Ieden Tag kämen welche, sagte mir noch
gestern ein Saalaufseher, dcr trotz Uniform den Humor der Sache
zu begreifen schien. Und vielleicht waren die Herren der Deputation,
die hierher gekommen sind, um dem Kultusrninister Feuer unters
Dach zu machen, zum Teil in dem gleichen Fall. Cs wäre zu
denken spaßig genug.
Doch haben die Augsburger, wie wenig Bedeutung ihr seit-
heriger Besitz auch für sie haben mochte, zweifellos das Recht
sich zu wehren. Auch ist dieses Sichwehren bereits ein Gewinn
und hoffentlich bringt Tschudi bald noch einige Städte in die
gleiche Lage. Je mehr Staub er aufwirbclt, wörtlich und bildlich
gesprochen, desto beffer, obgleich der Natur der Sache nach der
aufgewirbelte Staub für den Augenblick eine unbehaglichere
Wirkung tut als der Staub, der festsitzend ruhig liegen bleibt.
Das strikte juridische Rccht ist das Geringste, was Tschudi
dabei auf sciner Seitc hat. An einem Ort, wie die Münchner
Pinakotbek, wirkt ein Bild auf so viele Tausende wie sonst Cin-
zelne. Das dürfte entscheiden.
Kaum glauben sollte man, daß Tschudis Tätigkeit sogar
hier in München nicht wenig benörgelt wird. Gerade sein Auf-
räumen mit dem „Sammclsurium" erregt hier zum Tcil großen
Anstoß. Denn wo man nichts so hoch schätzt als die liebe
Bequemlichkeit, da scheut man über alle Maßen — nun, eben
den aufgewirbelten Staub; der sitzenbleibende ist, wie gesagt,
lange nicht so lästig. Dicse Leute hcucheln nun eine ungehcurc
Sehnsucht nach dcn «erschwundenen Bildern, von denen sie reden
hören. Nämlich darauf wirds hinauskommen, sic hören davon
74
Jn wenigen Wochen hat Geheimrat von Tschudi hier aus
der Alten Pinatothek sozusagen eine neue gemacht. Das ist
schon rein quantitativ eine erstaunliche Arbeitslcistung, die denn
auch den richtigen Münchner, soweit er davon Notiz nimmt,
fast unbehaglich berührt. So lange wurde in diesen heiligcn
Räumen nichts vom Fleck gerührt, wo es die Spinnen gut hatten
hintcr Rahmen und Leinwänden seit einem halben Jahrhundert
u»d länger. Awar restauriert wurde von Zeit zu Zeit irgend ein
kostbares Bild und meistens dann so radikal, daß man einigemal
bedcnklich den Kopf schüttelte. Um so ungewaschcner ließ man
dafür die übrigen. Sie wurden als noli ms tangors behandelt.
Und wie es immer geht, man war so an den Schmutz gewöhnt,
daß man ihn nicht mehr wahrnahm.
Nun erst, nach der gründlichen Wäsche, die Herr von Tschudi
veranstaltet, wird man sich bewußt, worans gefehlt hat und
welche Genüsse man so lang entbehren mußte. Noch in höherem
Grad aber tat eine andere Reform not, die allerdings nicht allein
mit Waffer und Seife zu bewerkstelligen war. Die Säle unserer
Alten Pinakothek haben wahre Turmhöhcn. Und turmhoch hingen
die Bilder übereinander. Nicht selten nach dem Grundsatz, daß
man das Gute nicht hoch genug — aufhängen kann. Tschudi
machte nun kurzen Prozeß, hing das Gute hcrunter, wo man cs
sehen kann, und das Geringe noch höher, nämlich, symbolisch
gesprochen, auf den Speicher. Sogar inehreren hundert Nummcrn
soll das passiert sein. Dennoch vermißt man kein einziges Bild.
Jm Gegenteil, man cntdeckt auf Schritt und Tritt neue. Sie
waren schon immer da, aber man hat sie «orher nicht gesehen.
So etwa im altdeutschen Saal die beidcn Altarstügel von
Michael Pacher. Jch möchte wiffen, wer von diesen vcrblllffend
großartigen (und großzügigen) Tafeln sagen könnte, daß er sic
zuvor gekannt hat. Und so ist nun endlich auch dem großen
Griinewald der Ehrenplatz eingeräumt, der ihm gebührt. Gerade
aus diescm Saal ist vielcs verschwunden. Wer wirds bedauern?
Kein Verständiger sichcrlich. Jn Manchem tuts dic Menge; in
der Kunst nicht. Und bei den früheren „hohen Negionen" war
doch nur zweierlei möglich, entweder es war einem schnuppe,
was da oben sich herumtrieb, oder man fühlte sich davon ge-
quält und beunruhigt. Nun kann einem fast kein Bild mehr
gleichgültig sein in dem ganzen Saal: ein unschätzbarer Gewinn
sowohl fllr den Genießenden wie den, der sich orientieren will.
Zugleich hat Tschudi die dunkle Wand in eine helle ver-
wandelt und damit das sehr mäßige Licht dieses Turmsaals, der
wie von eincr Kuppellaterne erleuchtet scheint, so weit als mög-
lich verstärkt. Überhaupt hat der neuc Mann beim Mangcl aus-
reichender Mittel oft durch einfaches Übcrüreichen der Tapete
wahre Wunder gewirkt. Die dunkelsten Niederländer hängcn
jetzt gegen helles Grün; man hätte kein wirksameres Mittel
ersinnen können.
Ganz erstaunlich hat Rubens gewonnen. Die zwei Haupt-
räume sind durch die glücklichste Verteilung dcr starken Akzente,
woran es vorher ganz und gar gefehlt hat, zu wahrhaftigen
Festsälen geworden, in denen uns nun, was vorher unartikuliert
und allzu ungestüm auf einen einstllrmte, mit ruhig grandioser
Wirkung entgegentritt, daß man nicht genug staunen kann, wie
ein fast lärmender Cindruck in cinen so eminent symphonischen
verwandelt werden konnte. Und den ehemals zu hart belichteten
und stimmungslosen (auch formlosen) Nebenraum zu Rubens
hat Tschudi durch halbe Zwischenwände in ansprcchende Kabinette
verwandelt, in denen nun die klcinen Prachtstücke, darunter aller-
wertvollste, zu intimem Genuß einladen und dic Eigenhandskizzen
zu den Marie-Mcdici-Bildern überhaupt zum crstenmal in ihrem
zarten Knospenzauber ganz empfunden werden können.
Cin recht ncues Gesicht macht auch der Venediger Saal.
Hier ist Titians Karl V. aus seiner Ccke herausgenommen und
auf den ersten Chrenplatz gestellt, dieses überwältigende Bildnis,
das ein vergangener Konservator — der auch an dcr Madonna
mit der Wickenblüte ein so schönes Unfehlbarkeitsbcwußtsein ge-
zeigt hat — immer als einen ganz und gar verdorbenen Schuukcn
und mit dem verächtlichsten Achselzucken abzutun beliebte. (Wil-
helm Trllbner war einmal bei einer solchcn Gelegenheit dabei.)
Dor allem abcr stößt man in diesem Saal auf zahlreiche, darunter
allerwichtigste, Neuheiten. Man steht da auf cinmal einer ganzen
Reihe Bilder von Tintorctto gegenübcr, der hier bis jetzt ganz
gefehlt hat. Zwar der sogenannte Gonzaga-Iyklus in acht
Stücken aus der Schleißheimer Galerie ist mehr eine Saal-
Dekoration ganz großen Stils als etwas anderes; aber schon die
Kreuzigung aus demselben Schleißheim hat andere Bedeutung,
und gar der Tintoretto aus Augsburg wird, obwohl vielleicht
ein Jugendbild des Meisters, seinen erfreulichsten Schöpfungen
zugezählt wcrden dürfen. Jhm nicht unebenbürtig ist cine andere
Crwerbung von Augsburg her, eine thronende Madonna, einst-
weilen dem Jakob Baffano zugeschneben.
Und damit ist denn ein weiterer Hauptpunkt in Tschudis
reformatorischer Tätigkcit berührt: die zweckmäßige Crgänzung der
Pinakothek aus ihrcn Filialen. Bis jetzt hats immer geheißcn:
an den Bestand der Schleißheimcr Galerie dürfe nicht gerührt
werden, und ein Unausgesprochenes schicn auf geheimnisvolle
höhere Mächtc zu deuten. Cs waren faule Ausreden oder Aus-
rcden der Faulheit. Tschudi kommt und holt sofort alles herein,
was ihm für den Aushau dcr Pinakothek nur immer wünschens-
wert scheint; so außcr den genannten Tintoretto einen Boucher,
,Ruhendes Mädchen", einen Lukas Cranach, „Kreuzigung", einen
Dürer (?), „Heiligc Familie", einen Georg von Marses, „Selbst-
bildnis", und vor allem den reitenden Olivarez, der abcr wohl
nicht mit Unrecht dem Belasquez neuerdings abgssprochen wird,
und den nun auch seine Cingefügthcit in die Wand nicht vor
der Auswanderung bewahrt hat, zum Glück. Denn so gern man
im Sommer n»ch dem schönen Schleißheim pilgert, mit solchen
Ausflügen wollte ein Galeriebesuch nie recht zusammengehen,
und war man dann gerade einmal willig, so war es die
Galerie wieder nicht, und man stand geärgert vor geschlossenen
Türen.
Nein, es ist kein Dortcil in der Zersplittertheit, nur zu Un-
kosten führt sie, und zu sammeln vermag allein das Gesammelte.
Natürlich, zum Sammelsurium darfs nicht werden. Daß aber
gerade dies in hohem Grade die Meinung des neuen Direktors
ist, davon, denke ich, sollen die vvrausgegangenen Zeilen über-
zeugt haben. Um so lebhafter werden wir seiner Tendenz der
Sammlung zustimmen. Von einer schädlichen und einscitigen
Zentralisation sind wir ja noch sehr weit entfernt.
Und wenn die Stadt Augshurg jetzt wegen der entführten
Bilder — außer den schon angeführten handelt es sich nm einen
dem Lionardo zugeschriebenen Mädchcnkopf — einen großen Lärm
macht, so ist das, mit Verlaub zu sagen, ein wenig Lärm um
nichts. Die Sachen waren dort so gut wie begraben. Ich kam
Lfter hin, ohne je eine lebcndige Seele in den vcrstaubten Näumen
anzutreffen, dcnn die „Fremden", nämlich was man so nennt,
sahen in Augsburg immer vor allem — Augsburg. Mit ver-
fchwindenden Ausnahmen suchte niemand in Augsburg Bilder.
Die Stadt ist das Bild, deffcn man sich dort in Bewunderung
erfreut. Und die Augsburger selber? Sie kommen jetzt hierher
und sehen sich in der Pinakothek an, was sie — es geht ja ein
wenia allen Leuten so — zu Haus in ihrer eigenen Stadt nic
angesehen hatten. Ieden Tag kämen welche, sagte mir noch
gestern ein Saalaufseher, dcr trotz Uniform den Humor der Sache
zu begreifen schien. Und vielleicht waren die Herren der Deputation,
die hierher gekommen sind, um dem Kultusrninister Feuer unters
Dach zu machen, zum Teil in dem gleichen Fall. Cs wäre zu
denken spaßig genug.
Doch haben die Augsburger, wie wenig Bedeutung ihr seit-
heriger Besitz auch für sie haben mochte, zweifellos das Recht
sich zu wehren. Auch ist dieses Sichwehren bereits ein Gewinn
und hoffentlich bringt Tschudi bald noch einige Städte in die
gleiche Lage. Je mehr Staub er aufwirbclt, wörtlich und bildlich
gesprochen, desto beffer, obgleich der Natur der Sache nach der
aufgewirbelte Staub für den Augenblick eine unbehaglichere
Wirkung tut als der Staub, der festsitzend ruhig liegen bleibt.
Das strikte juridische Rccht ist das Geringste, was Tschudi
dabei auf sciner Seitc hat. An einem Ort, wie die Münchner
Pinakotbek, wirkt ein Bild auf so viele Tausende wie sonst Cin-
zelne. Das dürfte entscheiden.
Kaum glauben sollte man, daß Tschudis Tätigkeit sogar
hier in München nicht wenig benörgelt wird. Gerade sein Auf-
räumen mit dem „Sammclsurium" erregt hier zum Tcil großen
Anstoß. Denn wo man nichts so hoch schätzt als die liebe
Bequemlichkeit, da scheut man über alle Maßen — nun, eben
den aufgewirbelten Staub; der sitzenbleibende ist, wie gesagt,
lange nicht so lästig. Dicse Leute hcucheln nun eine ungehcurc
Sehnsucht nach dcn «erschwundenen Bildern, von denen sie reden
hören. Nämlich darauf wirds hinauskommen, sic hören davon
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