Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Stoessl, Otto: Egon und Danitza, [6]: Erzählung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0213

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gon und Danitza.

Erzählung von Otto Stoessl. (Fortsetzung.)
V.

llber dem leider allzusrüh zu Staub gewordenen
Sohne Wladan, den vergeblichen Wehen Egonö und
Danitzaö war eö Winter geworden, die weiße Zeit, wo
sich jeder Mensch gleichsani in den dicken Pelz des
eigenen Jch einhüllt, dem Sturme und der Kälte zu
entgehen. Sorgen und Not trägt man ftumm, alS
schmerze jedes Wort und jede Bewegung auch des
GemüteS ftärker, als sonst. Selbft die unleidliche
Arbeit, Schreibereien, Akten und Amtsgeschäfte sind
willkommen in der warmen Stube, wo die Kohle von
AmtS wegen verschwendet und nicht nach dem Preiö
und der Menge gefragt wird, man sitzt in Tabakwolken
wie in einem blauen Iaubermantel morgenländischen
Wohlgeruches und freut sich, daß die nasien Winter-
mäntel an den Haken hängen und dünsten, während
um die Gummischuhe sanfte Teiche ftehen. Jn dieser
Ieit verhielt sich auch Egon still und mäßig an seinem
Tische, raftrierte, malte, zeichnete mit gebcugtem Kopfe
und besah, eine Zigarette im Munde, seine Schreib-
kunftwerke, während er daS gewohnte Krügel Bier,
damit seine ungerechte Üppigkeit ungeschen bleibe, unter
dem Pult verbarg. Man kümmerte sich nicht viel um
ihn, auS den gleichen winterlichen Gründen, denn jeder
hatte seine eigenen näheren Sorgen.

Alte Außenftände von leichtsinnigen, fröhlichen Ieiten,
Mahnungen an einstige blühende Kreditgewährungen und
bekümmerte Darlehenöforderungen werden wie BZinter-
kleider aus dem Kasten genommen, nach allen Seiten
gedreht und auf ihre Tauglichkeit besehen. Was einem
anspruchsvolleren Sommerstolze recht dubioö erschien,
erweist sich der Bescheidenheit des winterlichen Genügens
als durchaus haltbar oder zumindest noch immer präsen-
tabel. Man hat ja Ieit genug, einmal auch die und
jene zweifelhaste Sache herauszuputzen, so gut es geht,
und sie in die Welt hinauszuschicken. Einen Bogen
Papier, eine schlaflose Bureaustunde und ein paar wie
im Traunie gedrechselte Floökeln ist sie immer noch wert.
Lauter warme Ofenträume, befliffene und abenteuer-
liche, werden lebendig und gewinnen wenigstenö eine
papierne Gestalt und Rede, sie werden auf Reisen zu
anderen Stuben und anderen Schreibern geschickt, wo-
durch sich eine leise, aber zähe Schlacht von entgegen-
gesetzten Beftrebungen, ablehnenden und hoffnungsvollen
Winken, höflichen Bescheiden, sinnigen Vorstellungcn
und ebensolchen Gegenvorstellungen entwickelt, bei der
es jedem Schreiber heiß wird wie einem General,
während der schwedische Ofcn dazu knattert und flackert.
Berge von dringlichen Aktenstücken türmen sich um
jeden Beamten, welcher wie ein Feldherr über seine
Armee von Buchstaben, Worten, Floökeln gebietet. Wer
hatte da Zeit, um Egon de Alamor zu fragen! Dieter
ftreifte ihn nur zuweilen mit einem Blicke und fand ihn
ein wenig ftumpf, ungepflegt, trübselig, zuweilen sogar
blödsinnig hinstarrend. Er nannte dieö im stillen den
Winterschlaf eines Faultiereö.

Darüber wird es Neujahr, man teilt Trinkgelder
auö und bekommt selber die und jene Zulage oder Be-

förderung, welche daö Leben wicder heller macht, die
heiligen drei Könige wandern mit Sang und Klang an
dem Sterne von Bethlehem vorüber, man merkt später,
daß auch der Tag eö nicht mehr so eilig hat, zu gehen,
der Schnee nicht mehr sich ungestört breitmachen darf,
aber dafür schmutzt und sich durch Kot rächt, biö die
ersten parfümierten „Märzveigerln" von den Blumen-
weibern an jeder Ecke schmeichelnd angeboten werden.
Auf einmal ist man gegen die treue Ofenwärme un-
dankbar, das Herz vergißt die vielen Leichenbegängniffe,
Krankheiten und Unfälle des überstandenen Winters,
es legt den schwcren Pelz der Jchsucht ab und ver-
langt Geselligkeit, als seien auch seine eingefrorenen
Quellcn wieder lebendig geworden und rauschten in der
Brust und strebten nach anderen Bächen, um sich
zum ewigen Strom der Gemeinschaft und Menschlich-
keit zusammenzufinden. Hoho! Es wird ja Frühling!
Der Leichtsinn beginnt, und die alten törichten Seelen
bekommen Schwingen und hegen Wandergedanken,
Tanzwünsche, Reisehoffnungen. Die Akten verstummen,
die Geschäfte sickern langsamer, denn die Schreiber
haben andereö zu tun. Was gelten jetzt die alten, ver-
staubten, verjährten, verkommenden, bettlerischen Außen-
ftände? Jetzt wird auf den Feldern gesät, man treibt
neue Unternehmungen und pflegt neue Pläne. Man
besinnt sich plötzlich, daß der Mensch nicht wegen deö
Geldes, sondern das Geld wegen deö Menschen da sei.
Und jeder kommt sich selber wie ein zurückgebliebener
Außenstand vor, den der Lenz eintreibt, solange noch
ein Blutstropfen da ist. Und beim Himmel, wer ließe
sich vom Lenz nicht eintreiben nach Herzenslust, voni
rufenden Amselschlag, vom Sonnenlachen und Frauen-
schimmern! Selbst die eingesessensten Aktenherren denken
jetzt wenigftens nicht mehr auSschließlich im Schrift-
wege. Jst einer jung, so tut erö mündlich und sucht
einen Gegenmund, der ältere nimmt seinen Buben an
die Hand, oder ist er unfehlbar ledig, so greist er nach
dem Stecken und wandert nach dem erften Grün, und
sei es nur ein Fichtenkranz vor einer Heurigenschenke,
der einen Frühwein verheißt, oder nach den ersten
weißen Buschwindrööchen, nach den erften goldenen
Abendröten. Hoho, eö ist Frühling! Man wird ge-
sellig und liebenöwürdig und geschmeidig, denn der
Lenz macht alle Menschen, so gut es nur gehen will,
eifrig, ihm zu gleichen und sei eö mit einem leisen
Schmerz und einer stillen Verzweislung: Ach, warum
bin ich nicht jung genug, nicht schön, nicht frech, nicht
frei genug, dir zu gleichen, dich zu haben, du zu sein,
Frühling?

Jn dieser Ieit, deren heitereö Licht selbst zu den
Akten und Amtsleuten fiel, gab eö wieder Gespräche,
man traf sich auf den Gängen, versammelte sich zu
kleinen Erörterungen über politische und andere Dinge,
die kühnen jungen Leute wußten von Frühlingöabenteuern
zu berichten, die wie ein Blumenduft unversehens um
die nächste Ecke wehen, die älteren hörten sachverftändig
zu und genossen unbeteiligt den Iustand gelassener Be-
obachtung, neben den unbekümmerten Rufen der Mensch-
lichkeit läuteten gelegentlich wohlbekannte und unaus-
bleibliche Sauglöcklein, kurz, alles Menschliche kam an
die Sonne, besah sich und ließ sich besehen. Der
Versammlungöort, wo sich alle Amtöbrüder gelegentli'ch
 
Annotationen