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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

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Heft 1
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Hamann, Richard: Antike Plastik im Liebieghause zu Frankfurt a. M.
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https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0031

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Äntike Plastik im Liebieghause zu Frankfurt a.

gebundener und unfreier alS jetzt, und in ursprünglicher
Ausstellung das vielleicht stärker als jetzt erkennen
ließen.

Und nun kann man, anknüpfend an den gehaltenen
archaischen Charakter dieser Statue, zurückgchen bis aus
alkägyptische ReliesS und Freiskulpturen, in denen das
stereometrische Gefüge des Steinblockes oder der Tasel
die Figuren gan; in ihren Bann zwingt, oder von
der lebhastcn scelischcn Jnterprctation der Situatiou
zwiscben Athene und Marsyas zu den Freiheiten der
späteren Kunst, der weichen und lässigen Art des
Prariteles, durch Kopf und Torso eines guten Exemplars
des flötespielenden SatyrS repräsentiert, dem durch-
schciuendc», wic durchuäßt dem Körper anklcbenden Ge-
wande eineö FrauentorsoS in der Art der Nike von
Samothrake, der bacchantischen Bewegung einer tanzen-
de» Mänade mit wirbelndem Herumwersen des Körpcrs,
zurückgehend aus ein Lriginal deö Skopas, den for-
ciertcn Krafttypen athletischer Körper mit derben Muskel-
schwelluugen der barocken pergamenischen Kunst cineö
Tritonentorsos, dem impressionistisch flüchtigen, huschenden
Lächel» jugendlicher Satyrköpse der hellenistischen Kunst
biö zu dem Naturaliömuö der Römer, die in PorträtS
ihr BesteS gcleistet habcn. Iwei solcher Römerköpfe, die
vielleicht die Einwirkung dcr festen Formenbestimmtheit
ägyptischer Werke erfahren haben, geben in besondcrö
intcressanter Weise das Eherne und Selbstbewußte des
yOivi» liomrmus siiin^.

Diese klciue und gewählte Sammlung monumentaler
Plastik erfährt eine Ergänzung durch eine herrliche
Sammlung von Klcinplastiken, vor deren Vitriuen man
mit lüsternem Blick steht und überschlägt, wie köstlich
ein solcher Besitz im eigenen Hause sein müßte. Es
handelt sich hier auch nicht um ursprünglichen Museumö-
besitz, soudcrn um die Kostbarkeiten, die ein Privat-
sammler, der verstorbene Archäo-
loge Furtwängler, mit erlesencm
Geschmack und feinster Keuner-
schast zusammengebracht hat. Das
Schauspiel der Entwicklung der
griechischen Plastik rollt sich hier
vor unserem Auge wie in einem
Marionettenspiel noch einmal ab,
von kleinen ältesten Jdolen zu

beginncn, wo das hieratisch Steife, in der Kleinbeit
an kunstgewerbliche Geräte erinnernd, unmittelbar
neben dem sratzenhast Verzerrten und grotesk Dä-
monischen liegt. Gewandstatuettcn in der Art des
würdigen und strengen Stilcö der Acit des Phidias
bieten willkommene Ergänzung der größereu Stückc.
Die leichtbeschwingte und leichtgeschürzte Kunst der
Tanagrafigürchen ist in allen Spielarten koketter Grazie
zu genießen. Auch diese Statuettenkollektion ift in sich
von relativcr Vollständigkeit, ohne das Betäubende er-
drückender Fülle. Von den seltensten und wertvollsten
Stücken hebcn wir hervor eine archaische Götterstatuette
auö Erz, dic ArtemiS von Lusoi, die wie ein Pseiler
kantig mit glatten Seitenwänden gebildet ist und zu
Bctrachtungcn über daö herbe, cckige Wesen der pelopon-
nesischen (dorischen) Kultur und ihren Gegensatz zu der
runderen, weicheren, genießenderen jonischen Kunst heraus-
fordert, und einen weiblichen Kopf aus Ton, nicht
größer als ein Daumcn einer ausgewachsenen Hand, an
dem aber alle Flächcn und Linicn eines strengen, noch
archaischen Typus deS 5. Jahrhunderts v. Chr. mit
einer Sicherheit und Präzision berauögeschnitten sind,
wie man es nur an sestercm Matcrial, Stein, Metall,
sür möglich hält.

Proben antiker Wandmalerei ergänzen das Bild der
antiken Kunst, Proben vom Ansaug und Ende, so ent-
gegengcsetzt im Stil wie nur möglich, ägyptische Linear-
zeichnung sitzendcr Profilfigurcn, regelmäßig wie cin
Ornament, und lebendig malerische Darstellung eines
Vogelstillebens von illusionistischer Wirklichkeit, wie
vlämische Stilleben des 17. Jahrhunderts, oder eine
sliegende Göttin, impressioniftisch leicht und slüchtig
gemalt wie die Luft, in der sie sich bewegt. DaS Vogel-
stilleben ift an Qualität ersten Ranges und gut geeignet,
die These zu erläutern, daß die Nömer vermöge ihres
Wirklichkeitssinnes geeignet waren,
den Boden für eine malerische
Kunst im modernen Sinne zu be-
reiten. Ein malerischer Jmpressio-
nismus gilt heute als spezifische
Leistung der sonft alö kopierend
und unselbständig verschrieenen
römischen Kunst.

Richard Hamann.

Kopf der Athena des Myron.

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