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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

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Heft 5
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Müller, Paul: Die Spindeluhr als Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0179

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Ein Blumengewinde trägt dcn
kleinen Hebcft der ein Über-
ziehcn dcr Fedcr und cin da-
mit verbundeneö Abrcißen der
Kettc verhindern soll, kürz, alleS
ift voll poetischer Einfälle.
Übcr die Ausstattung dcr

ührwcrke deutscher Hcrkunst
läßt sich nicht viel Besondcreö
sagcn. Auch abgesehen von
HenlcinS Erzeugnissen, die, noch
recht plump im Auösehen, nur
den Bcdürfnisscn deö Alltags
angepaßt, faft ohne jedcn
Schmuck hergestellt waren.

Iwar fehlt bei den Arbeitcn deö
l7. und 18. Jahrhundertö der
reiche ornamcntale Schmuck,
mit dem die englischen Meister
ihre Werke ausftatteten, auch

finden wir nicht jene Iartheit und Anmut, die den
französischen Erzeugnissen so eigen ift.

Vom gewöhnlichen Schmiedeeisen, das Henlein,
vielleicht auch noch der eine oder andere seiner Nach-
folger, zur Herftellung der erstcn Taschenuhren benutzte,
ging man sehr bald zu einem besseren Material, dem
Messing über. Doch auch dicseö schicn cinzelnen Meiftcrn
zur Wiedergabe ihrer Kunstempfindungen nicht aus-
druckövoll und edel gcnug zu sein, da unS noch viele
ühren erhalten sind, deren Platinen und Iifferblätter,
besondcrö jedoch dcr ünruhkloben, auö Silbcr gearbeitct
sind. Ein in Süddeutschland besonders häufig zur
kunstvollen Auöschmückung dcö Klobenö verwcrtetes
Motiv ist der Abschluß jener großen Tragödie, auf der
sich die Religion des Chriftentumö aufbaut. Chriftus
am Kreuze auf Golgatha, neben ihm stehen Maria und
Magdalena und schaucn schmerzerfüllt auf dcn Erlöser
hin. Die Szene ift meiftens auf einem dünnen Silber-
plättchen erhaben dargestellt, das mit zwei winzigen
Schräubchen auf dem eigcntlichen Messingklobcn, von
dem man nur den rändierten Rand sehen kann, be-
fcstigt ist (Abb. 7).

Einen andern deutschen Kloben (Abb. 8) birgt
meine Sammlung, der wohl einzig in seiner Art da-
ftehen dürfte. Er zeigt, wieder in Silber getrieben, daS
ungarische Wappen, über das zwei zu beiden Seiten
schwebende Engel eine Krone halten.

Den unteren Teil füllt ein Blüten- c
zwcig aus, während der Rand wie-
der von dem eigentlichen Messing-
kloben gcbildct wird. Leider ift von
dcr ganzen ühr nur der Kloben er-
halten, dieser allerdingS so vollkom-
men, daß man meinen könnte, er
hätte soeben erft die Werkftatt ver-
lassen. Es ist schwer, über die Ent-
ftehung dieses Stückes Nähereö zu
sagen. Jch vermute, daß die Uhr

Abb. 7. Deutsche Spindeluhr.

auf besondcre Beftellung irgend eines

Abb. 8. Deutscher Klobcn.

ungarischen Edelmanns ange-
fertigt wurde.

Es wäre noch einiges über
die Ausführung der Ziffer-
blätter zu sagen. Hier ift es
nicht nörig, einen Untcrschied
zwischcn deutschen, cnglischcn
und französischen Uhren zu
machen, da sich beftimmte
Merkmale für die einzelncn
Länder nicht auffindcn lassen.
Da gibt es Blätter, mit gol-
dcnen Arabeskennetzen über-
sponnen, zart und fein aus-
zisclicrt, von wahrhaft köst-
lichcr Ieichnung, andcrc wicdcr
zeigen auf ihrer versilberten
Oberfläche in transluzidem
Email, unter dem besonders in
der Ieit der antiken Moden des
Klassizismus ein wundervolles,
durchleuchtendes Emailleblau,
mit dem man auch gern die Rückseite der ganzen Uhr
überzog, hervorragt.

Sehr häufig sind auch Iifferblätter auö getriebenem,
reich vergoldetem Messing. Auch sie zeigen, wie alle
andern Teile, bei längerer Betrachtung bis in die letzte
Einzelheit hinein reiches dekoratives Leben, vollkommen
ausgereifte künstlerische Geschlossenheit. Mit dem Be-
ginn des 18. Jahrhunderts begann man diese reich
gravierten, deshalb wenig übersichtlichen Iifferblätter zu
verlaffen und dieselben durch solche aus weißer Emaille
zu ersetzen, die nun wieder für die feinfte Miniatur-
malerei Gelegenheit bot. Landschaften, Genrebildchen,
Liebesszenen, Porträts, bisweilen auch allegorische Dar-
stellungen fanden Platz auf dem kleinen zwischen den
Iiffern freibleibenden Raum und entzücken noch heute
nach vielen Jahren unser Auge durch den ftrahlenden
Glanz und die sichere Wahl der Farben.

Wo ist nun all diese Schönheit an jedem noch
so kleinen Teilchen alter Spindeluhren bei unsern heuti-
gen Taschenuhren geblieben? Hat sich denn nichts
von dieser Schmuckfreudigkeit in unsere moderne Ubren-
industrie hinübergerettet? Mit den zunehmenden Fort-
schrilten der Technik und den damit verbundenen stetig
wachsenden Ansprüchen an größere Genauigkeit ging
ein langsamer Verfall künstlerischer Schmuckfreude bei
der Herstellung der Uhr Hand in Hand. Und trotz-
dem läge doch gerade hier eine feine
Formentfaltung und die Betätigung
künftlerischer Phantasie sehr nahe.
Das Gehäuse wie das Werk, die Seele
der Uhr, vertrügen einen künstlerischen
Schmuck, der, ohne ihrer präzisen
Gangleiftung im mindesten zu scha-
den, den Gesamtwert um ein Viel-
faches erhöhen könnte.

Hierin könnte der moderne Uhr-
macher trotz seiner Fortschritte immer
noch von Henlein und seinen Nach-
folgern lernen. Paul Müller.
 
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