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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

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Heft 6
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Benedix, Peter: Wie Johannes Sälzle zu keiner Frau kam: eine Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0218

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Wie Iohannts Sälzle zu keiner Frau kam.

der Verehrten entdeckte, mfolgcdeffen die begonnene
Geschichte zu keinem fröhlichen Ende kam.

So wandelten in dem Dorfe drei Jungfrauen herum,
die den Herrn Johannes einmal gern genommen hätten,
abgesehen von den andern, die auch nicht abgeneigt ge-
wesen wären, denn die Frau Lehrer braucht nicht draußen
auf dem Felde zu arbeiten und hat daheim nicht viel
Vieh zu versorgen, sondern sie ist eine Frau von Stand
und hat ein sicheres Einkommen, welche Vorzüge vicle
Bauernmädchen zu würdigen wiffen. Außerdem war
Herr Sälzle eine schlanke und annehmbare Person, und
gar manche blieb in der Dämmerung unter seinem
Fcnstcr stehen, wenn er vor seinem Harmonium saß
und mit seiner wohllautenden Stimme ein geiftlich oder
wcltlich Lied in den schönen Abend hinaussang.

Die erste unter ihnen, welche in einer sicheren
Hoffnung lebte und meinte, ihr könne es nicht fehl
gehen, war die Anna Knops. Alö Tochter des reichen
Baucrn und Gemeinderates Leonhard Knopf, der
droben am Krappenbuckel über dreihundert Tagwerk
schlagbaren Waldes besaß, glaubte sie dem unbemittel-
ten Lehrer nur mit einem Schrittc entgegenkommen
zu dürsen, um von ihm mit beiden Armcn in daö
Schulhaus hineingeführt zu werden. Sie gab ihm
daher bald ein Ieichen ihrer Wertschätzung, indem sie
ihn bei einer Begegnung zuerst grüßte, oder von dem
geschlachteten Schwein einige srische Würste senden ließ,
oder bei der Damenwahl im Kirchweihtanz ihn kühn
und mit einigem Gepolter hinter seinem stillen Glase
Wein hervorholte.

Dieses Versahren war nun freilich nicht geeignet,
den Johannes Sälzle zu gewinnen, und wenn er auch
die runden Taler des Vaters wohl zu schätzen wußte,
so war ihm doch sein bescheideneö und einfaches Mahl
lieber als die schönfte Suppe, die ihm dicse Frau gekocht
hätte. Er ging darum ruhig seines Weges und ließ
das Mädchen geduldig neben sich herlaufen, bis sie
selber eines Tages die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen
einsah und unter dem Spott und Gelächter der Freun-
dinnen sreiwillig zurücktrat und sich mit mehr Erfolg
dem Sohne deö Bürgermeisterö zuwandte, der ein
Paar Ochsen und zur Not wohl auch eine Frau regieren
konnte.

Hatte sich der gute Johannes bei diesem Handel
ganz ruhig verhalten und alles an sich herankommen
laffen, so wirkte er bei der zweiten Geschichte dagegen
cin wenig mit und trug am Ende auch sein Teil an
Schuld nach Hause.

Eö lebte da in der Hintergaffe unter den kleinen
Handwerkern der ehrsame Schneider Dörsam, der sünf
blonde, blauäugige Töchter, aber sonft keinen Heller
auf dieser Welt besaß. Er hatte es mit sciner Frau
so einzurichten gewußt, daß immer nach einer gewiffen
Zeit wieder ein Mädchen angckommen war, wodurch
die ganze Gesellschast zum Schluffe eine schöne, sanft
anfteigende Linie vorstellte, angefangen von der munteren
sechöjährigen Juliana bis hinauf zu der freundlichen,
siebzehnjährigen Ev'. Als diese lebendige Galerie sertig
geworden war und das Jüngste sich srei und selbständig
bewegen konnte, hatte die Mutter sich niedergelegt und
war gestorben. Da gingen denn alle Pflichten und

Sorgen auf die Nlteste über, und wenn auch jedeö
der jüngeren Geschwister in seiner Weise schon zu
brauchen war, so mußte die Ev' doch allen aus die
Finger sehen, denn sie nahmen die gegebene Arbeit ost
zu leicht und sprangen lieber in den Wald oder aus
der Wiese den Geißböcken nach, recht wie ein lustiger
und vergnügter Schneider.

Nach dieser Eva nun hatte der Johannes zu ver-
schiedenen Malen ausgeblickt, und da der Hinneigung
der einen Seite eine Iuneigung der andern entgegen-
kam, so währte eö garnicht lange, bis die zwei bei-
einander waren. Aus einem Umwege kam das Mädchen
eines Abends in den dunklen Garten deö Schullehrers,
und dort erzählten die beiden sich, wie einsam und
allein ein jedes sei.

„Jch weiß net," sagte die Ev', „manchmal da ist
mir so . . .", worauf der gute Johannes bemcrkte, daß
ihm manchmal auch so sei. Kurz, unter wenigen Wortcn
und vielem Schweigen entstanden Hoffnungen und
Wünsche und am Ende die bestimmte Zuversicht auf
einen guten und glücklichen Ausgang.

AlS aber der Lehrer wieder allein in seinem Iimmer
war und sich eben niederlegen wollte, fiel ihm ein, daß
er vielleicht einmal die ganze Familie Dörsam ernähren
müsse, denn der Vater schien ihm keiner der Jüngften
und Gesündesten mehr, und daß dcm kleinen Glücke,
daö die Eva ins Haus bringe, ein großer Kummer
und eine große Sorge nachfolgen könntcn; und zwischen
Iweifel und Verlangen saß er aufrecht in seinem Bett
und wußte nicht, was er tun sollte.

Aber wie die Menschen leicht schuldig werden, so-
bald sie einmal mit der Liebe sich befaßt haben, so
geschah es auch hier, indem JohanneS kein rasches und
kurzes Eude machte, sondern sich noch eine Weile der
angenehmen Gegcnwart dcö Mädchens freute. Erst
als eine Leidenschaft ihn überkam und seiner unsicher
machte, bcgann er die Geliebte wiffen zu lasscn, daß
aus der Geschichte nichts werden könne. Er brauchte
zwar in Hinsicht auf die guten Sitten sich keincn Vor-
wurf zu machen, aber so ost er dem Mädchen noch
begegnete, sah und empfand er, daß er nicht ohne
Schuld sei.

Die solgenden Jahre wandelte JohanneS darum
still und ohne Ehegedanken umher, kaufte sich cin
Kochbuch und beschloß ein Junggeselle zu bleiben, bis
eineö Tages ein drittcs weibliches Wesen, namens
Christine, diese Vorsätze wieder ins Wanken brachte.

Schön war die Christine Kloö nicht, aber bescheiden
war sie und arbeitsam, und der Vater hielt eine gute
Ausfteuer und Mitgist sür sie bereit. Schon seit
manchem Jahr hatte sie bemerkt, daß der Herr Lehrer
noch immer unverheiratet sei, aber sie sprach niemandem
davon und nahm sich auch in ihrer Arbeit nicht die
Ieit, darüber nachzudenken. Da geschah es, daß sie
sich niederlegen mußte, als sie, schon von einer Krank-
heit ergriffen, einen ganzen langen Tag aus dem naffen
Felde gearbeitet hatte.

Während der folgenden Wochen war ihr Leben in
einer beständigen Gesahr, und eS kam, daß die öftere
Gegenwart deö Lehrers, der gern einem Kranken und
Bedrängten hals, eine verborgene Hoffnung in ihr cr-
 
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