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Geschmacke entsprechen, und sich niemals gefragt, was die Maler selbst
und ihr Publikum einstmals gewollt hatten. So begreift man freilich,
daß das Gruppenporträt, das gerade mit seiner spezifischen Eigen-
tümlichkeit des Porträthaften ohne hinreichend verbindende Hand-
lung dem modernen Geschmacke anscheinend so gar nichts zu bieten
hat, von der modernen Forschung als eine absonderliche, von der
großen Heerstraße der Entwicklung abgelegene Erscheinung auf-
gefaßt, mit Respekt verzeichnet, aber im übrigen nicht weiter beachtet
worden ist. Sobald man aber die Aufgabe der Kunstgeschichte darin
erblickt, in den Kunstwerken nicht das dem modernen Geschmacke
Zusagende aufzusuchen, sondern aus ihnen das Kunstwollen heraus-
zulesen, das sie hervorgebracht und so und nicht anders gestaltet hat,
wird man im Gruppenporträt sofort dasjenige Gebiet erkennen, das
wie kein anderes geeignet ist, den eigensten Charakter des hollän-
dischen Kunstwrollens zu offenbaren.

Es ist längst aufgefallen, daß der holländischen Kunst die Malerei
der Handlung, das ist die Historienmalerei, fehlt, und man hat auch
richtig bemerkt, daß die Holländer im Porträt den Ersatz dafür erblickt
hatten. Aber auch Landschaft und Genre und alle übrigen Fächer der
Malerei sind in Holland von der gleichen Kunstabsicht getragen ge-
wesen, die wir im dortigen Porträt verwirklicht sehen: entweder der
Unterdrückung aller äußeren Handlung schlechtweg oder wenigstens
der Zurückdrängung der physischen Bewegungen durch gewisse
psychische Begleiterscheinungen der Handlung. Die dem modernen
Geschmacke in so hohem Grade zusagenden holländischen Land-
schaften und Genrebilder enthalten in dieser Hinsicht nichts anderes
als die Gruppenporträts; nur finden wir an jenen dieHandlungslosigkeit
ganz natürlich und an den Genrebildern infolge eines äußeren
Scheines von Bewegung minder auffällig, während wir anderseits an
den einzelnen Figuren der Gruppenporträte die innere Handlung, das
psychische Leben, bei oberflächlicher Betrachtung leicht übersehen.
Hat man aber erst das Gemeinsame erkannt, das ihnen allen zugrunde
liegt, dann kann man sich auch nicht länger der Einsicht verschließen,
daß wir im Gruppenporträt gerade wegen seiner offensichtlichen Ab-
weichung von dem modernen Kunstwerk das am meisten charak-
teristische und daher kunsthistorisch wichtigste Erzeugnis der hollän-
dischen Malerei zu erblicken haben. Eine Entwicklungsgeschichte der
holländischen Gruppenporträte müßte hienach gewissermaßen gleich-
bedeutend mit einer Entstehungsgeschichte der holländischen Malerei
überhaupt erscheinen. Wenn nun im nachstehenden ein erster
Versuch unternommen wird, indas Wesen des holländischen Gruppen-
porträts einzudringen und seine Entwicklung in großen Zügen fest-
zustellen, so bedarf derselbe wohl keiner weiteren Rechtfertigung.

Aber nicht allein die Befriedigung eines wissenschaftlichen Inter-
esses dürfte man von dem Gelingen eines solchen Versuches erwarten;

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