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M. Lempertz' Antiquariat (P. Hanstein)
Sammlung Carl Roettgen Bonn: Werke der Holzplastik des 13. bis 17. Jahrhunderts, Mobiliar der Gotik und Renaissance, Kunstgewerbe [Versteigerung zu Köln 11., 12. und 13. Dezember 1912] — Köln, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.1275#0005
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Lessing nahegetreten, deren erfahrenen Bat er nun gerne suchte, wie in Köln das sachverstän-
dige Urteil von Alexander Schnütgen.

In den neunziger Jahren war seine Sammlung bereits eine der stattlichsten am Rhein
geworden. Die Besuche von Kennern und Liebhabern, von Gelehrten und Museums-Direktoren
häuften sich; die Kaiserin Friedrich tvar Gast in dem Hause Nassestrasse 1 und warb eifrig
um zwei kostbare Schränke, von denen sich der Eigentümer zuletzt doch nicht trennen konnte;
die Schwester des Kaisers, die Prinzessin Viktoria von Schaumburg-Lippe, besuchte die Samm-
lung, der Kronprinz in seiner Bonner Studienzeit bewunderte sie — ein reizolles Pult aus der
Sammlung Boettgen schmückt heute in Schloss Oels das Arbeitszimmer des Kronprinzen. Eine
Ausstellung im Bonner Provinzialmuseum zeigte einem weiteren Publikum die hervorragendsten
Stücke; auf den beiden denkwürdigen kunsthistorischen Ausstellungen zu Düsseldorf 1902 und
1904 waren Möbel wie Skulpturen aus seiner Sammlung reich vertreten. Für die Studierenden an
der Bonner Universität war das Museum Boettgen längst eine Art Studien- und Lehrsammlung
geworden dank der Liberalität seines Besitzers. In dem letzten Jahrzehnt konnte der Schreiber
dieser Zeilen ihn gelegentlich beraten, vor allem bei der Konservierung seiner Kunstwerke —
er durfte in Carl Boettgen einen väterlichen Freund wie einen eifrigen Hörer seiner Vor-
lesungen und einen immer anregenden Teilnehmer an den Uebungen und Ausflügen des kunst-
historischen Seminars sehen.

Auf den öffentlichen Auktionen in Westdeutschland, in Holland, Belgien, Frankreich
war der Bonner Sammler ein ziemlich häufiger Gast, aber nur ein zögernder Käufer. Seine Lieb-
haberei war es, die Kunstwerke selbst draussen aufzuspüren, in den ersten Jahrzehnten
in den Kirchen und Schlössern zumal Westfalens und Süddeutschlands, später bei den kleinen
Händlern und Liebhabern. Monatelange Fahrten führten ihn durch ganz Norddeutsehland bis
Danzig hin und durch Franken, Schwaben und Bayern; vor allem aber hat er Westfalen und
die Bheinprovinz, die er schwärmerisch liebte, immer wieder durchwandert, am Niederrhein war
ihm fast jedes Dorf, jede Kirche bekannt. Gefährdete Stücke, die ihm aufstiessen, brachte er
ofl in übergrosser Zahl ins Haus, auch Dinge zweiten und dritten Banges, und wenn ein
freundschaftlicher Zweifel an der Zweckmässigkeit solchen Erwerbs geäussert ward, erfolgte die
lächelnde Antwort: „Dann bleiben sie wenigstens im Lande." Sein Lehrgeld hat er zahlen müssen
wie alle Sammler am Anfang. Dass er lieber kleine Preise zahlte als grosse, teilte er mit
allen Sammlern, die zugleich gute Hausväter waren. — In den letzten Jahrzehnten, da klug ge-
mehrter Reichtum es ihm gestattete, ganz seiner Sammelleidenschaft nachzugehen, hat er es aber
nicht gescheut, auch ungewöhnliche Aufwendungen zu machen, wenn es galt, ein ausserordent-
liches Stück in seine Sammlung einzureihen.

Ein Kenner im höchsten Sinne zu sein, mit weitem Blick kunsthistorische Perioden zu
übersehen, hat Carl Boettgen in seiner Bescheidenheit nie prätendiert, und willig hat er hier
immer die Ueberlegenheit der Kölner Sammler, vor allem des Bürgermeisters Thewält und des
Domkapitulars Schnütgen, anerkannt. Aber er hatte seinen eigenen Geschmack und ein feines
und höchst persönliches Urteil in Kunstdingen; seine hölzernen Heiligen liebte er wie seine
nächsten Freunde und mit seinem eindringlichen Blick hatte er mancherlei in ihnen gesehen,
was anderen entging. Praktische Beschäftigung mit technischen Fragen hatte ihn zu einem
guten Kenner der Technik gemacht. Seine Kunstanschauung wandelte noch in den Bahnen von
Franz Goerres und August Beichensperger — von dem letzteren hatte er auch seine Hingebung
für die alte deutsche Kunst geerbt, in der er etwas wie ein Evangelium der Wiedergeburt
des künstlerischen Gewissens sah; in seinem inneren Verhältnis zu zeitgenössischen Künstlern war
er nicht über Wilhelm Leiht hinausgegangen, mit dem seine Familie alte Bande verknüpften.
Gerade weil er mit soviel Zärtlichkeit an seinen Eriverbungen hing, konnte er sich so schwer
wieder von ihnen trennen. Minder Wichtiges wieder auszuscheiden, mochte er sich nicht gerne
entschliessen — er sah dann doch in den hunderten von Truhenbrettern und Füllungen immer
wieder neue Varietäten, und es reizte ihn mehr, die ganze Entwicklungsreihe zusammenzustellen
als nur einzelne isolierte Hauptstücke allererster Qualität zu zeigen. Die notwendige Katharsis
seiner Sammlung halte eben erst begonnen, als der Tod ihn abrief.


 
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