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M. Lempertz' Antiquariat (P. Hanstein)
Sammlung Carl Roettgen Bonn: Werke der Holzplastik des 13. bis 17. Jahrhunderts, Mobiliar der Gotik und Renaissance, Kunstgewerbe [Versteigerung zu Köln 11., 12. und 13. Dezember 1912] — Köln, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.1275#0007
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Die Skulpturen der Sammlung Roettgen.

Die Sammlung Boettgen ist hinsichtlich der Skulpturen die umj'angreichste, die jemals
auf den Markt kam, und wird mit ihren 378 Nummern auch wohl unerreicht bleiben. Ihr
Schwergewicht liegt bei den Arbeiten der niederländischen und rheinischen Gebiete; aber auch
die übrigen deutschen Kunstzentren, vor allem die südlichen, sind in zahlreichen charakteristischen
Stücken vertreten. Ebenso ist sie hinsichtlich der Zeit nicht eng begrenzt und führt durch alle
Epochen vom Romanismus bis zum Barock. Allein 3 romanische Madonnen zählt man, sodann
mehrere Werke des 14. Jahrhunderts; das iveitaus meiste aber gehört der für die Plastik so
ungewöhnlich produktiven späten Gotik an.

Das Glanzstück der Sammlung ist wohl die schöne Pietä des beginnenden 14.
Jahrhunderts (Nr. 117), die in ihrem herben Realismus eigenartig wirkt im Zeitalter der minniglichen
Marienbilder. Im Gegensatz zu der bisherigen Annahme, die sie dem Niederrheine zuwies, ist
sie als ein Produkt der Kunst des Mittelrheins anzusprechen, der in der Pietä des Domes zu
Wetzlar und namentlich im prachtvollen Vesperbilde der Städtischen Galerie zu Frankfurt a. M.
zwei weitere glänzende Lösungen dieses Themas bietet. Die sitzende Madonna mit Kind
(Nr. 119), die in einem Buche liest, ein für diese Zeit seltenes Motiv, ist wohl ebenfalls am
Mittelrhein entstanden und der Pietä in manchem verwandt. Das in der Frühzeit beliebte Thema
der thronenden Madonna mit dem stehenden Kind auf den Knien begegnet uns noch häufiger
in der Sammlung, auch in charakteristischen Beispielen der Kölner Kunst.

Die zahlreichen niederrheinischen und niederländischen Stücke in naturfarbenem Eichen-
holz geben der Sammlung ihr eigentliches Gepräge. Vieles entstammt dem unteren Stromgebiete
des Rheines, das irrtümlich meist als Kalkarer Arbeit bezeichnet wird, manches auch dem oberen
Laufe, für dessen plastische Kunst in der Spätzeit wohl nur Köln und Aachen mit dem Zwischen-
gebiete von einiger Bedeutung waren. Bei den niederländischen Skidpturen sind vielfach die
der nördlichen Territorien von denen der mittleren und südlichen deutlich zu trennen. Jene
gruppieren sich vermutlich im wesentlichen um das Zentrum Utrecht, dem man mehrere Arbeiten,
darunter die gute Abendmahlsgruppe (Nr. 3) und die köstliche kleine Beweinung (Nr. 135) wohl zu-
weisen darf. Die Heimat des durchaus eigenartigen Meisters des Reliefs der Auferstehung Christi
(Nr. 2), dem auch 4 Apostelfiguren des Erzbischöflichen Museums zu Utrecht angehören, ist
wohl ebenfalls in den nördlichen Gebieten zu suchen.

Aus den südlichen Niederlanden, deren Kunst vor allem durch die Brüsseler und Ant-
werpener Werkstätten charakterisiert wird, sieht man bezeichnende Stücke mit den bekannten
Marken, namentlich Brüsseler Statuetten, die noch heute irrtümlich vielfach als Kölner Arbeiten
gelten.

Westfalen ist verhältnismässig gering vertreten. Dagegen erwarb Roettgen einige gute
Beispiele der thüringischen Schnitzerkunst, von denen das grosse Retabel (Nr.251) mit der Kreuzigung
und den seitlichen Heiligenfiguren, das sonderbarerweise an der Mosel erworben wurde, und der
stattliche Altarschrein vom J. 1490 hervorgehoben seien (Nr. 253).

Die süddeutsche Plastik nimmt in der Sammlung einen fast ebenso grossen Raum ein
wie die rheinisch-niederländische. Von den Hauptgebieten Franken, Sehwaben und Bayern
sieht man charakteristische Werke. Eine grosse Gruppe der hl. Familie gehört dem Kunst-
kreise Tilmann Riemenschneiders an (Nr. 232). Dem Süden sind auch die Palmesel zuzuweisen,
deren die Sammlung ungewöhnlich viele vereinigt.

Bei der Lokalisierung der Skulpturen in dem nachfolgenden Verzeichnis wurde nur
bei sicheren Anhaltspunkten ein genau und engbegrenztes Kunstgebiet genannt. Beim Nieder-
rhein wurde, so weit als möglich, zwischen dem unteren und oberen Stromgebiet unterschieden,
deren Kunst in ihren guten Werken sich stets deutlich trennt. Jenes reicht etwa von der Ruhr- und
Lippemündung bis Nymwegen, das für den Begriff „niederrheinisch" als nördliche Grenzegalt.
Mehrfach wurden Uebergangszonen angenommen, in denen sich die Kunst zweier Gebiete
vermengt. Für die Skulpturen der Sammlung Roettgen kommen namentlich das niederrheinisch-
westfälische und niederrheinisch-niederländische Grenzgebiet in Betracht.

Heribert Reiners.
 
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