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I Anfänge und frühe Reife

1. Ismael Mengs - Vater, Zuchtmeister und Lehrer

Anton Raphael Mengs wurde am 12. März 17281 als drittes Kind
des Miniatur - und Schmelzmalers Ismael Mengs (Abb. I-l)2 in
der böhmischen Stadt Aussig (Üsti) an der Elbe geboren (s. biogr.
Dok.).3 Sein Vater stand seit 17144 in den Diensten des sächsi-
schen Hofes und war in Dresden ansässig. In der Aussiger Tauf-
urkunde seines Sohnes vom 13.3.1728 wird er als Hofmaler be-
zeichnet, während die Mutter hier mit dem falschen Vornamen
Carolina aufgeführt ist.5 Das Haus der Geburt (Abb. 1-2), das ver-
mutlich als Gasthof diente, war eines der stattlichsten Häuser am
Marktplatz von Aussig6 und gehörte damals der Witwe des »Kai-
serrichters« Fischer.7 Aussig war eine der drei Poststationen auf
dem Weg von Dresden nach Prag und scheint, wegen seines »sü-
ßen und starken Weines, Poszkalzky genannt«8, beliebt gewesen
zu sein. Ob sich die Eltern zufällig dort befanden als die Geburt
erfolgte9 oder ob sie sich anläßlich der bevorstehenden Geburt
des Kindes eigens dorthin begeben hatten,10 wie es die Biogra-
phen übereinstimmend angeben,11 läßt sich nicht klären, da bis-
lang keine weiteren dokumentarischen Belege bekannt gewor-
den sind, die genauer über Ismael Mengs’ Lebensverhältnisse
Aufschluß geben. Der äußerlich nicht unattraktive Hofmaler12
scheint dafür bekannt gewesen zu sein, daß er nach den dama-
ligen Maßstäben in ungeregelten persönlichen Verhältnissen
lebte. Da er in seiner Stellung und mit seinem Gehalt von min-
destens 600 Talern jährlich13 zum gehobenen Hofdienst gehörte,


I-l Ismael Mengs, Selbstbildnis, um 1720.
Dresden, Staatl. Kunstsammlungen Gemäldegalerie Alte Meister


1-2 Geburtshaus von Anton Raphael Mengs in Aussig (Üsti nad Labern),
Marktplatz 210 (1987 abgerissen)

scheint seine unbürgerliche Lebensweise gelegentlich Ärgernis
erregt zu haben.14 Mit der Mutter seiner fünf Kinder soll er seit
etwa 1720 in Dresden - zunächst angeblich ohne Trauschein -
zusammengelebt haben. Ihr Name wird in der bisherigen Litera-
tur mit Charlotte Bormann angegeben. Wie jedoch aus dem Ein-
trag zur Taufe des Sohnes Otto Guedo (s. biogr. Dok. 17.1.1729)
hervorgeht, lautete ihr vollständiger und richtiger Name Christi-
ana Charlotta Bornmannin.
Bereits die ersten Biographen versuchten den Makel, der über
den Umständen der Geburt lag, durch phantasievolle Erfindun-
gen zu übertönen.15 Azara machte die Mutter sogar zur Nichte
von Ismaels Kopenhagener Lehrer Benoit Coffre.16 Becker und
Prange haben die Hintergründe der auswärtigen Geburt wie
folgt begründet: »Raphaels erstes sonderbares Schicksal war
dies, daß ihn seine Mutter unter ihrem Herzen an den Ort seiner
Geburt trug, und in wenig Wochen in Windeln wieder in seine ei-
gentliche Vaterstadt brachte, denn Ismael zeugte ihn in Dresden
mit einer Person geringen Standes, der er, bevor er sich mit ihr
verband, sein Hauswesen verwalten ließ, und gieng zur Zeit ih-
rer nahen Entbindung mit ihr ein und halbe Meile über die säch-
sische Grenze, in den nächsten böhmischen Ort Außig, von da er
bald nach erfolgter Ankunft des erwünschten Erben mit ihm und
seiner Mutter (...) in die königliche Residenz zurückkehrte.«17
Heinecken zufolge entschloß sich Ismael Mengs erst nach der
Geburt des Sohnes Anton Raphael dazu, die Mutter seiner Kin-
der zu ehelichen.18 Dies trifft zu, denn als knappe zehn Monate
nach Anton Raphael ein weiterer Sohn geboren wurde, der be-
reits am Tag nach der Geburt verstarb, werden die Eltern als
Eheleute bezeichnet (s. biogr. Dok. 17.1.1729). Der älteste Sohn
aus der Verbindung mit Charlotte Bornmannin war Karl Mo-
ritz,19 dessen genaue Lebensdaten nicht bekannt sind.20 Er soll
bereits als Knabe von zu Hause entlaufen sein und wirkte später
als Sprachlehrer in der Stadt Kremsmünster (s. biogr. Dok.
20.2.1766). Seinen Bruder Anton Raphael überlebte er nur um
wenige Monate. 1779 wurde seine Witwe Maria Klara dadurch

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