III. Rom 1755-1761:
Winckelmann und die Folgen
1. Die Geschichte einer Freundschaft
Winckelmanns Ankunft in Rom am 18. November 1755 fiel mit-
ten in die Zeit der schriftlich geführten Auseinandersetzung zwi-
schen Brühl und Mengs. Obwohl bereits auf die Einkünfte aus
privaten Aufträgen angewiesen, führte Mengs weiterhin ein offe-
nes und gastliches Haus, in das der ihm bis dahin persönlich
nicht bekannte Gelehrte dank eines Empfehlungsschreibens von
Christian Wilhelm Ernst Dietrich sogleich mit großer Selbstver-
ständlichkeit aufgenommen wurde. Am 20.12.1755 (s. biogr.
Dok.) schreibt er an Berendis, daß er eben diesen Brief in
Mengs’ Zimmer schreibe, während der Maler gerade »Akade-
mie« halte, gemeint ist damit der Unterricht im Zeichnen nach
dem Modell. Nachrichten dieser Art aus Winckelmanns Feder,
die über Mengs’ Privatleben, seinen Umgang und seine alltäg-
lichen Gepflogenheiten berichten, gibt es aus den nun folgenden
Jahren mehrfach. Da Winckelmann bis zum Juni 17561 Mengs
direkt gegenüber im Palazzo Zuccari, der damals durch einen
hölzernen Bogen mit der casa de’Stefanoni verbunden war, ein
Zimmer bewohnte, war der Weg kurz. Man gewinnt aus den
Briefen den Eindruck,2 daß er für eine ganze Weile mehr bei
Mengs als in seinen eigenen vier Wänden lebte. Anhand der
zahlreichen Dokumente, vor allem der Briefe, hat Noack, ausge-
hend von Justi3, eine lebendige und farbenreiche Schilderung
des alltäglichen Umgangs der beiden Männer gegeben,4 die
auch die römische Situation berücksichtigt.
Die Entstehung ihrer Freundschaft wurde durch Ähnlichkei-
ten im Lebenslauf, durch die deutschen Wurzeln und wohl auch
durch die beiden gemeinsame Zäsur der Konversion zum Katho-
lizismus begünstigt, auch wenn diese unter völlig konträren
Auspizien gestanden hatte. Winckelmann fand in Mengs’ Haus
in Rom etwas von der ihm vertrauten Dresdner Welt wieder,5
zugleich aber führte der Maler ihn in die römischen Verhältnisse
ein, d.h. in die Gesellschaft der Fremden und in die vorwiegend
klerikalen Kreise, zu denen er damals bereits Zugang hatte. Es
spricht einiges dafür, daß er es war, der die Verbindung zum
Kardinal Albani herstellte, die für Winckelmanns weiteres Leben
so entscheidend wurde. Denn in dem Jahr, als Winckelmann
nach Rom kam, hatte er gerade die Kopie nach Raffaels »Schule
von Athen« für den Duke of Northumberland fertig gestellt (Bd.
1, Kat. Nr. 120), einen Auftrag, bei dem er direkt mit dem Kardi-
nal zu tun hatte. Angeblich soll Winckelmann durch Mengs auch
den Baron Philipp von Stosch in Rom kennen gelernt haben6.
Dazu kamen die Künstler, denen Winckelmann im Laufe der
Jahre bei Mengs begegnete - Giovanni Casanova, mit dem es
dann zum Zerwürfnis kam, Anton Maron, der ihn später porträ-
tiert hat. Dessen Frau Therese Concordia Mengs und der Vater
Ismael Mengs gehörten mit zur familiären Runde, in die Win-
ckelmann als Freund aufgenommen wurde. Dem Zeugnis Gia-
como Casanovas zufolge liebte es Winckelmann, mit den Kin-
dern von Mengs nach dem Essen Purzelbäume zu schlagen (s.
biogr. Dok. 1760). Auch scheint er die Küchenfreuden sehr ge-
nossen zu haben, die das Haus Mengs bot, seien es die Ravioli,
die Margarita Mengs zubereitete7 oder eine durch Leonhard
Usteri per Kurier übersandte Austernmahlzeit, zu der reichlich
getrunken wurde (s. biogr. Dok. 9.5.1761).
Die Geschichte der Beziehung zwischen Mengs und Winckel-
mann kann nicht losgelöst von den jeweiligen biographischen
Stationen und dem weiteren geistigen bzw. künstlerischen Wer-
degang beider Männer betrachtet werden, wobei neben den Hö-
hepunkten auch die Krisen dieser Freundschaft einbezogen wer-
den müssen. Auf die erste, von Begeisterung getragene Phase
folgte, bedingt durch Winckelmanns Umzug in die Cancelleria
im Januar 1757, eine gewisse Distanzierung. In dem Maße, wie
Winckelmann selbst Verbindungen zur römischen Gesellschaft
von Gelehrten und hochstehenden Klerikern anknüpfte, gewann
er Abstand von der Künstlerwelt und damit auch von Mengs,
mit und bei dem er gleichwohl auch in den kommenden Jahren
noch viel Zeit verbracht haben muß. Obwohl die Freundschaft
mit Mengs nie zu der vertraulichen Form und Anrede des »Du«
geführt hat,8 wie sie Winckelmann mit seinen Freunden aus al-
ten Tagen pflegte, löste sie sich kraft des geistigen Gehaltes, von
dem sie getragen war, aus den Konventionen der barocken Welt.
Dies gilt sowohl für die unkomplizierten Umgangsformen, in
die Winckelmann im italienisch geprägten Haushalt von Mengs
hineingeriet, als auch für die Art und den Inhalt der Gespräche,
die von dieser gesellschaftlichen Lockerung profitierten. Ob es
zutrifft, daß Mengs vor Winckelmanns Ankunft in Rom »bereits
unermeßlich viel über seine Kunst nachgedacht und theoretisiert
hatte«9, ist nicht belegbar. Die Neigung zum Dozieren und zur
Erklärung der Kunstwerke hatte er sicherlich schon ausgebildet,
wie aus den Berichten seiner Schüler in diesen Jahren - Guibal,
Artur, Beyer oder Pecheux - hervorgeht. Mit einem Mann von
der Bildung Winckelmanns hatte er bis dahin jedoch nicht zu
tun gehabt. Sein geistiger Austausch mit diesem ersten »Intellek-
tuellen«, der in seinem Leben eine nachhaltige Bedeutung ge-
wann, spornte ihn offenbar mehr zur Niederschrift seines Wis-
sensschatzes und seiner Beobachtungen über Kunstwerke an als
das ihm geläufige Gespräch mit Künstlern. Schon zwei Monate
nach der Ankunft in Rom meldet Winckelmann an Bianconi in
Dresden (biogr. Dok. 18.1.1756), daß er zusammen mit Mengs
den Plan zu einem großen Werk über den Geschmack der grie-
chischen Künstler (»anciens artistes«) entworfen habe und daß
sie gemeinsam Pausanias und Strabo läsen und daraus für ihre
weiteren Untersuchungen Exzerpte zögen. Auch in den folgen-
den Monaten ist immer wieder von diesem gemeinsamen Plan
die Rede, der nichts anderes war als die erste Idee zur »Ge-
schichte der Kunst des Alterthums«10. Im Verlauf des ersten Jah-
res änderte sich an dem Plan nur insofern etwas, als Winckel-
mann auf Drängen von Mengs (biogr. Dok. 29.8.1756) damit
begann, eine vorläufige kleinere Schrift zu verfassen, nämlich
eine Beschreibung der Statuen des Belvedere-Hofes.11 Dabei
klagte er einerseits darüber, daß Mengs ihm »die Saiten bei die-
ser Arbeit so hoch spanne«, so daß er nicht wisse, wie er ihm
Genüge leisten könnte (biogr. Dok. 20.3. 1756), andererseits äu-
ßerte er sich voller Dankbarkeit über die Aufmunterung, die von
156 Rom 1755-1761
Winckelmann und die Folgen
1. Die Geschichte einer Freundschaft
Winckelmanns Ankunft in Rom am 18. November 1755 fiel mit-
ten in die Zeit der schriftlich geführten Auseinandersetzung zwi-
schen Brühl und Mengs. Obwohl bereits auf die Einkünfte aus
privaten Aufträgen angewiesen, führte Mengs weiterhin ein offe-
nes und gastliches Haus, in das der ihm bis dahin persönlich
nicht bekannte Gelehrte dank eines Empfehlungsschreibens von
Christian Wilhelm Ernst Dietrich sogleich mit großer Selbstver-
ständlichkeit aufgenommen wurde. Am 20.12.1755 (s. biogr.
Dok.) schreibt er an Berendis, daß er eben diesen Brief in
Mengs’ Zimmer schreibe, während der Maler gerade »Akade-
mie« halte, gemeint ist damit der Unterricht im Zeichnen nach
dem Modell. Nachrichten dieser Art aus Winckelmanns Feder,
die über Mengs’ Privatleben, seinen Umgang und seine alltäg-
lichen Gepflogenheiten berichten, gibt es aus den nun folgenden
Jahren mehrfach. Da Winckelmann bis zum Juni 17561 Mengs
direkt gegenüber im Palazzo Zuccari, der damals durch einen
hölzernen Bogen mit der casa de’Stefanoni verbunden war, ein
Zimmer bewohnte, war der Weg kurz. Man gewinnt aus den
Briefen den Eindruck,2 daß er für eine ganze Weile mehr bei
Mengs als in seinen eigenen vier Wänden lebte. Anhand der
zahlreichen Dokumente, vor allem der Briefe, hat Noack, ausge-
hend von Justi3, eine lebendige und farbenreiche Schilderung
des alltäglichen Umgangs der beiden Männer gegeben,4 die
auch die römische Situation berücksichtigt.
Die Entstehung ihrer Freundschaft wurde durch Ähnlichkei-
ten im Lebenslauf, durch die deutschen Wurzeln und wohl auch
durch die beiden gemeinsame Zäsur der Konversion zum Katho-
lizismus begünstigt, auch wenn diese unter völlig konträren
Auspizien gestanden hatte. Winckelmann fand in Mengs’ Haus
in Rom etwas von der ihm vertrauten Dresdner Welt wieder,5
zugleich aber führte der Maler ihn in die römischen Verhältnisse
ein, d.h. in die Gesellschaft der Fremden und in die vorwiegend
klerikalen Kreise, zu denen er damals bereits Zugang hatte. Es
spricht einiges dafür, daß er es war, der die Verbindung zum
Kardinal Albani herstellte, die für Winckelmanns weiteres Leben
so entscheidend wurde. Denn in dem Jahr, als Winckelmann
nach Rom kam, hatte er gerade die Kopie nach Raffaels »Schule
von Athen« für den Duke of Northumberland fertig gestellt (Bd.
1, Kat. Nr. 120), einen Auftrag, bei dem er direkt mit dem Kardi-
nal zu tun hatte. Angeblich soll Winckelmann durch Mengs auch
den Baron Philipp von Stosch in Rom kennen gelernt haben6.
Dazu kamen die Künstler, denen Winckelmann im Laufe der
Jahre bei Mengs begegnete - Giovanni Casanova, mit dem es
dann zum Zerwürfnis kam, Anton Maron, der ihn später porträ-
tiert hat. Dessen Frau Therese Concordia Mengs und der Vater
Ismael Mengs gehörten mit zur familiären Runde, in die Win-
ckelmann als Freund aufgenommen wurde. Dem Zeugnis Gia-
como Casanovas zufolge liebte es Winckelmann, mit den Kin-
dern von Mengs nach dem Essen Purzelbäume zu schlagen (s.
biogr. Dok. 1760). Auch scheint er die Küchenfreuden sehr ge-
nossen zu haben, die das Haus Mengs bot, seien es die Ravioli,
die Margarita Mengs zubereitete7 oder eine durch Leonhard
Usteri per Kurier übersandte Austernmahlzeit, zu der reichlich
getrunken wurde (s. biogr. Dok. 9.5.1761).
Die Geschichte der Beziehung zwischen Mengs und Winckel-
mann kann nicht losgelöst von den jeweiligen biographischen
Stationen und dem weiteren geistigen bzw. künstlerischen Wer-
degang beider Männer betrachtet werden, wobei neben den Hö-
hepunkten auch die Krisen dieser Freundschaft einbezogen wer-
den müssen. Auf die erste, von Begeisterung getragene Phase
folgte, bedingt durch Winckelmanns Umzug in die Cancelleria
im Januar 1757, eine gewisse Distanzierung. In dem Maße, wie
Winckelmann selbst Verbindungen zur römischen Gesellschaft
von Gelehrten und hochstehenden Klerikern anknüpfte, gewann
er Abstand von der Künstlerwelt und damit auch von Mengs,
mit und bei dem er gleichwohl auch in den kommenden Jahren
noch viel Zeit verbracht haben muß. Obwohl die Freundschaft
mit Mengs nie zu der vertraulichen Form und Anrede des »Du«
geführt hat,8 wie sie Winckelmann mit seinen Freunden aus al-
ten Tagen pflegte, löste sie sich kraft des geistigen Gehaltes, von
dem sie getragen war, aus den Konventionen der barocken Welt.
Dies gilt sowohl für die unkomplizierten Umgangsformen, in
die Winckelmann im italienisch geprägten Haushalt von Mengs
hineingeriet, als auch für die Art und den Inhalt der Gespräche,
die von dieser gesellschaftlichen Lockerung profitierten. Ob es
zutrifft, daß Mengs vor Winckelmanns Ankunft in Rom »bereits
unermeßlich viel über seine Kunst nachgedacht und theoretisiert
hatte«9, ist nicht belegbar. Die Neigung zum Dozieren und zur
Erklärung der Kunstwerke hatte er sicherlich schon ausgebildet,
wie aus den Berichten seiner Schüler in diesen Jahren - Guibal,
Artur, Beyer oder Pecheux - hervorgeht. Mit einem Mann von
der Bildung Winckelmanns hatte er bis dahin jedoch nicht zu
tun gehabt. Sein geistiger Austausch mit diesem ersten »Intellek-
tuellen«, der in seinem Leben eine nachhaltige Bedeutung ge-
wann, spornte ihn offenbar mehr zur Niederschrift seines Wis-
sensschatzes und seiner Beobachtungen über Kunstwerke an als
das ihm geläufige Gespräch mit Künstlern. Schon zwei Monate
nach der Ankunft in Rom meldet Winckelmann an Bianconi in
Dresden (biogr. Dok. 18.1.1756), daß er zusammen mit Mengs
den Plan zu einem großen Werk über den Geschmack der grie-
chischen Künstler (»anciens artistes«) entworfen habe und daß
sie gemeinsam Pausanias und Strabo läsen und daraus für ihre
weiteren Untersuchungen Exzerpte zögen. Auch in den folgen-
den Monaten ist immer wieder von diesem gemeinsamen Plan
die Rede, der nichts anderes war als die erste Idee zur »Ge-
schichte der Kunst des Alterthums«10. Im Verlauf des ersten Jah-
res änderte sich an dem Plan nur insofern etwas, als Winckel-
mann auf Drängen von Mengs (biogr. Dok. 29.8.1756) damit
begann, eine vorläufige kleinere Schrift zu verfassen, nämlich
eine Beschreibung der Statuen des Belvedere-Hofes.11 Dabei
klagte er einerseits darüber, daß Mengs ihm »die Saiten bei die-
ser Arbeit so hoch spanne«, so daß er nicht wisse, wie er ihm
Genüge leisten könnte (biogr. Dok. 20.3. 1756), andererseits äu-
ßerte er sich voller Dankbarkeit über die Aufmunterung, die von
156 Rom 1755-1761