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Ross, Ludwig; Schaubert, Eduard; Hansen, Christian
Die Akropolis von Athen nach den neuesten Ausgrabungen, Erste Abtheilung: Der Tempel der Nike Apteros — Berlin, 1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.949#0014
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10

Krbauungszeit des Niketempels

Beschreibung desselben.

Olympiade gelebt haben muss", so könnte der Tempel spätestens während der letzten Hälfte der Lebensperiode des
Alkamenes erbaut worden, und müsste wenigstens bereits einige Jahre vor dem Ende seines künstlerischen Wirkens
vollendet gewesen sein. Allein von Olympiade 87, 2 bis 94, 1 fällt der Peloponnesische Krieg; und dass während
desselben, wo alle finanziellen Hülfsquellen der Athenäer kaum zur Kriegsführung und zur Erhaltung der Mauern
und andern Vertheidigungsmittel ausreichten "b, an überflüssige und kostspielige Prachtbauten nicht zu denken
war100, bedarf wol keiner weiteren Erörterung. Eben so leuchtet cs von selbst ein, dass in den nächsten Jahren
nach dem unglücklichen Ausgange des Peloponnesischcn Krieges nicht von Erbauung eines Tempels des Sieges, unter
dem stolzen Namen des ungeflügclten, die Rede sein konnte. Wir werden also vor Olymp. 87, 2 zurückgewiesen.
Hier begegnen wir nun, von Olymp. 79 bis 87, 4, der Periode der Perikleischen Staatsverwaltung; wäre also der
Tempel während dieser Periode erbaut worden, so würde seine Erbauung dem Perikies zugeschrieben werden müssen.
Nun unterrichten uns aber Plutarchos und andere Schriftsteller von den grossartigen Prachtbauten dieses hochsinnigen
Kunstfreundes, wenigstens von den in Athen selbst ausgeführten, mit solcher Vorliebe und Vollständigkeit, dass
durchaus nicht anzunchmen ist, dass sic ein so bedeutendes Gebäude, wie den Siegstcmpel, mit Schweigen hätten
übergehen sollen ‘.
So gelangen wir denn auf negativem Wege zu dem ziemlich sichern Resultat, dass die Erbauung des Siegs-
tempels vor Olymp. 80 anzusetzen ist, d. b. in die Zeit, in welcher Kimon den grössten und fast ausschliesslichen
Einfluss in Athen ausübte. Halten wir dies Resultat fest, und erinnern wir uns auf der andern Seite, dass, wie wir
oben gesehen haben2, der Tempel nicht vor Olymp. 78, 1 oder gar 78, 2 gebaut worden sein kann, da doch
wenigstens ein bis zwei Jahre nöthig waren, ehe die zwanzig bis dreissig Schuh dicke, aus lauter grossen Werk-
stücken aufgeführte südliche Mauer3 der Akropolis, auf welcher das Gebäude steht, beendigt sein konnte, so liegt,
glaube ich, der Schluss sehr nahe, dass der Tempel in Folge und zum Andenken desselben Sieges am Eurymedon,
der nebst dem um einige Jahre früheren Siege am Strymon damals und auf lange Zeit die glänzendste Waffenthat
der Athenäer war, von Kimon erbaut und geweiht worden sei. Wir dürfen demnach Olymp. 78 als runde Zahl
für die Erbauungszeit dieses Monumentes annehmen4.
Die vorstehende Annahme findet eine weitere Stütze darin, dass die Schriftsteller5 nur in allgemeinen, unbe-
stimmten Ausdrücken von der Verschönerung Athens durch Kimon und von den prächtigen Bauten dieses Staatsmannes
sprechen, ohne Alles und Jedes einzeln aufzuführen. Dass es ihm aber persönlich darum zu thun war, das Andenken
seiner Siege auch durch Monumente zu befestigen, zeigen schon die Hermen mit rühmenden Inschriften, welche zu
errichten er sich vom Volke die Erlaubniss verschaffte, wenn gleich die Sitten der Zeit noch nicht gestatteten, dass
der Name des Feldherrn darin erwähnt werde6. Ohne Zweifel benutzte er auch andere Gelegenheiten, seinem Ruhme
Denkmäler zu errichten. Cornelius Nepos wenigstens deutet bestimmt an, dass die Bauten des Kimon auf der Süd-
seite der Akropolis sich nicht bloss auf Befestigungszwecke, sondern auch auf Verschönerung bezogen7.
Ein nicht ganz verwerfliches Zeugniss für sein Alter giebt endlich vielleicht der Tempel selbst, wenn man den
Styl seiner Bauart und seine architektonischen Verhältnisse (wie z. B. die starke Verjüngung der Säulen) mit denen
anderer Gebäude ionischer Ordnung, deren jüngere Entstchungszcit bekannt ist, zusammenstellt und vergleicht. In
der folgenden Erörterung kann indess hierauf nur theilw eise Rücksicht genommen w erden, da der Gesammtcindruck,
den eine Vergleichung durch das lebende Auge des Nike-Tempels z. B. mit dem nur einige hundert Schritte entfernten
Erechtheion giebt, sich in Worten nicht wiedergeben lässt.
Der Tempel der Nike Apteros oder des ungeflügelten Sieges ist also ein Amphiprostylos Tetrastylos,
der auf drei Stufen ruht5. Er hat in seiner ganzen Anlage, seiner Grösse, seinen Verhältnissen und selbst in dem

") Sillig, Catal. Artificum p. 31.
"b) Vgl, C. I. Gr. 1, n. 76 mit Böcklis Anmerkungen.
10°) Es ist freilich wahr, dass während der letzten Hälfte des Peloponnesischen
Krieges, in Olymp. 91 und 92, die Wiederherstellung des Erechtheion
Statt fand, die ein nicht wenig kostspieliges Unternehmen war (vgl. C. I.
Gr. 1, n. 160. und vorzüglich die Fragmente der neuentdeckten Baurechnung
im Kunstblatt 1836. N. 39, 40, 60, so wie die hierauf bezügliche
Anspielung bei Aristoph. Vögel 612 folgg.) Allein dieser Bau ist nicht
allein unter dem Gesichtspunkt einer nothwendigen, durch die religiöse
Pflicht gebotenen Wiederherstellung eines längst vorhandenen Heiligthums
zu fassen; sondern ich bin auch nicht ungeneigt, nach einer freilich dunkeln
Andeutung in einer neulich von mir aufgefundenen sehr verstümmelten
Inschrift auf der Rückseite derselben Platte, auf welcher die Fourmontsche
Inschrift des C. I. Gr. 1, n. 76 steht, und wo neben der Riickzaldung der
aus den heiligen Kassen entlehnten Gelder auch von Architekten und Re-
staurationen (emßxsvccdai) die Rede ist, zu glauben, dass die Athenäer bei
dieser Gelegenheit sich auch noch besonders verpflichtet haben mochten,
zur Restauration des Ereohtheion zu schreiten. Eine ganz andere Sache
aber wäre es gewesen, zur Zeit grosser Finanzbedrängniss und wiederholter
Niederlagen, überflüssiger Weise und gleichsam aus Uebermuth, den Bau
eines Siegstempels zu unternehmen.
<) Plut. Perikl. 13. — Thukyd. 2, 13. — Diodor. 12, 40. — Vgl.
Leake, Topographie S. 11. 238, 426. folg, der deutsch. Uebers. und
Böokh, Staatshaush. I, S. 215 folg.
2) Vgl. oben den Text zu Anm. 90 und 91.
3) Vgl. oben Anm. 73.
4) Leake, Topographie S. 255, 256 spricht sehr unbestimmt über das Alter
des Tempels, indem er ihn zwischen 479 und 431 vor Christo errichtet
werden lässt; und zwar nimmt er an, dass er zunächst zur Verherrlichung
des doppelten Sieges der Athenäer an Einem Tage über die Booten und
Chalkideer (506 v. Christ. Herodot 5, 77.) und des Sieges bei Marathon
bestimmt gewesen sei. Er beruft sich hierbei darauf, dass ein Zehntheil
der Beute aus jenen Siegen zu Weihgeschenken auf der Akropolis verwandt
worden sei, und stützt sich im Uebrigen bloss auf die ihm bekannten Fries-
stiieke, deren Darstellungen er als Kampfscenen zwischen Griechen und

Persern und zwischen Griechen und Griechen erklärt; woraus, wie er meint,
«fast nothwendig» folge, dass sie sich auf die oben genannten Schlachten
beziehen. Ohne jene Erklärung der Friesstücke hier in Zweifel ziehen zu
wollen (vgl. den vierten Abschn.), erlauben wir uns daran zu erinnern, dass
der Zehnte von der Siegsbeute der Booten und Chalkideer zu Verfertigung
des ehernen Viergespannes links vom Durchgänge durch die Propyläen
(Herodot. a. a. O.; Paus, I, 28, 2; Leake S. 124), der Marathonische
Zehnte aber zur Errichtung der kolossalen ehernen Athene Promachos des
Pheidias verwandt wurde (Paus, und Leake a. a. O.); und es dürfte
schwerlich nachzuweisen, oder durch ähnliche Beispiele wahrscheinlich zu
machen sein, dass von diesen beiden Siegszehnten eine hinlängliche Summe
in Reserve geblieben sei, um respective ein halbes oder ganzes Menschen-
alter nach den gewonnenen Schlachten und nachdem dieselben durch glän-
zendere Siege (bei Salamis und Platäa) verdunkelt worden waren, noch
ein drittes gemeinschaftliches Monument zu ihrem Andenken zu errichten.
Jedenfalls konnte dies doch nicht geschehen, als bis die Kimonische Mauer
erbaut war, auf welcher der Tempel steht: ein Umstand, den Leake nicht
erwogen hat, als er seine wahrscheinliche Erbauungszeit schon um 479,
also wenigstens um zehn Jahre zu früh, anfangen liess. Wenn aber die
Erbauung des Tempels erst nach der Erbauung der Mauer (nach 469
oder 468) anzusetzen ist, so wird es noch weniger wahrscheinlich, dass
Kimon, der glücklichste Feldherr Athens und mitten im Laufe seiner ruhm-
vollen Siege, lieber zwei schon durch besondere Denkmale gefeierte Schlachten,
als seine eignen Heldenthaten durch dieses Monument sollte haben ver-
ewigen wollen.
5) Plut, Kimon 13. — Diodor 11, 62. — Vgl. Leake, Topographie S.
427 der deutsch. Uebers.
6) Plut, Kimon 7 und 8.
7) Corn. Nepos, Kimon 2, (nach den Siegen am Strymon und Eurymedon,
und der Unterwerfung von Skyros und Thasos): hin ex manubiin Athena-
rum arx. qua ad meridiem vergit, ent ornata.
8) Wegen alles architektonischen Details, so weit nicht der Zusammenhang
nöthigt, einzelne Maasse u. s. w. im Texte anzuführen, verweisen wir auf
die Kupfertafeln und deren Erklärung.
 
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